Süddeutsche Zeitung

Berlin:Kaffee in fliegender Untertasse

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Alles neu im alten Westen: Das ehrwürdige Café Kranzler auf dem Berliner Ku'damm hat wiedereröffnet. Das Kännchen Kaffee für die "Wilmersdorfer Witwen" gibt es nicht mehr. Dafür jede Menge Hipster.

Von Verena Mayer, Berlin

Das Café Kranzler auf dem Kurfürstendamm ist ein Symbol des Berliner Westens. Pflichtprogramm für alle Berlin-Besucher. Früher saßen hier Leute wie Hildegard Knef oder Harald Juhnke. Und jene alten Damen natürlich, die in Berlin nur "Wilmersdorfer Witwen" genannt werden und ihren Kaffee stets im Kännchen bestellen. Zumindest bis zum Jahr 2000. Da musste das Café schließen, weil das Gebäude, in dem es sich befand, ein gesichtsloses Einkaufszentrum wurde. Danach existierte das Kranzler in einer Rumpfversion unter der Kuppel, die allerdings so trostlos war wie eine Kuchenvitrine mit nur noch Krümeln darin. Und 2015 war dann endgültig Schluss.

Seit Sonntagnachmittag zur besten Kaffeezeit ist das Kranzler nun wieder geöffnet. Von außen sieht es aus wie früher, die Rotunde mit der rot-weißen Markise, die Balkone mit den weißen Geländern, alles behutsam restauriert. Sonst erkennt man den Ort allerdings kaum wieder, an dem der Schriftsteller Joseph Roth einst die "ganze Einheitsfront des westlichen Bürgertums" beobachtete, "löffelbewehrt und siegreich im Krieg gegen Schokoladeneis". Kniehohe runde Holztische, eine flache Treppe, auf der man auf Kissen fläzt. Dazu zwei schlichte Theken, an denen junge Leute den Vornamen notieren und dann "Dirk, your order!" in den Raum rufen. Kaffee gibt es auch. Nicht im Kännchen allerdings. Sondern als Sorten, die "Hunkute" oder "Cauca" heißen, handgebrüht und in kleinen Tassen serviert werden, die aussehen wie japanische Teeschälchen. Aus dem Oma-Café von einst ist eine Kaffeebar für Hipster-Publikum geworden.

Alter Ort mit neuem Bart: Ralf Rüller vor seinem Café Kranzler.

Das Café (hier um 1960) war lange Jahre eine Institution auf dem Berliner Kurfürstendamm.

"Löffelbewehrt und siegreich im Krieg gegen Schokoladeneis" verkehrte hier in der Nachkriegszeit das West-Berliner Bürgertum (Foto von ca. 1955).

Von außen sieht es aus wie früher, doch im Innern ist das Café kaum wiederzuerkennen.

Vor allem ein hippes, junges Publikum soll in der Kaffeebar angesprochen werden.

Das neue Café Kranzler ist so auch ein Symbol für diese Ecke Berlins, die einen Boom erlebt wie kaum eine andere in der Hauptstadt.

Chef ist hier Ralf Rüller. Er betreibt bereits mehrere Läden im Osten Berlins, in denen exquisiter Kaffee verkauft wird, lokale Bekanntheit erlangte er 2012, als er vor seiner "Roastery" einen Poller aufstellte, weil er keine Kinderwagen zwischen den Kaffeemaschinen haben wollte, was wiederum Berlins Hipster-Elternschaft gegen ihn aufbrachte. Jetzt steht er auf dem Balkon des Kranzler und guckt hinunter auf den Kurfürstendamm, wo sich bereits Schlangen bilden. Viele junge Leute, die meisten mit Bart, Touristen, aber auch eine ältere Dame mit Rollator.

Rüller sagt Dinge wie "Attention zum Detail", mit seinem Käppi und dem Vollbart passt er gut in die Gegend, die in den vergangenen Jahren einen Boom erlebte wie kaum eine andere in Berlin. Überall wird gebaut oder neu eröffnet, zuletzt ist auch ein heller Hochhausturm in die Höhe gewachsen, das "Upper West". Der lange berüchtigte Bahnhof Zoo wird renoviert, und das Haus, in dem jahrzehntelang das schmuddelige Erotikmuseum von Beate Uhse untergebracht war, wurde abgerissen. Mit dem Kranzler könnte nun auch aus dem letzten piefigen Rest ein angesagter Ort werden. Alles neu im alten Westen.

Wie "in einer fliegenden Untertasse über dem Ku'damm" sei das hier, sagt Rüller. Er hofft auf ein gemischtes Publikum, junge Freiberufler mit ihren Laptops genauso wie Touristen oder Leute, die im Sommer auf der Terrasse liegen, "wir wollen das Miteinander". Und die alten Damen? Seien hochwillkommen, sagt Rüller. Guter Kaffee sei schließlich guter Kaffee, und wer wisse das mehr zu schätzen als die Wilmersdorfer Witwen?

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Quelle:
SZ vom 05.12.2016
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