Süddeutsche Zeitung

Tiroler Alpen:Baggern im Graubereich

Lesezeit: 3 min

Die Betreiber der Pitztaler Gletscherbahnen wollen den Zusammenschluss mit dem Nachbarn aus dem Ötztal zum weltweit größten Gletscherskigebiet. Für Naturschützer ist das Projekt Symptom für einen rigorosen Verteilungskampf.

Von Dominik Prantl

Natürlich laufen am Pitztaler Gletscher die Lifte für den Skibetrieb, ist ja bereits Oktober. Für den Wochenauftakt wurden bis zu 40 Zentimeter Schnee gemeldet; vier Bergbahnen waren in Betrieb, zudem konnte der geneigte Herbstskifahrer unter vier Pisten auswählen. Aber so richtig ruhig war es um das Eis des hinteren Pitztals ja auch im Sommer nicht geworden. Schließlich soll hier nach dem Willen der Bergbahnbetreiber möglichst bald eine unter dem Namen "Gletscherehe" diskutierte Verbindung mit dem Liftbetrieb des benachbarten Ötztals her. Damit würde das größte Gletscherskigebiet der Welt entstehen.

Werbung in eigener Sache gelang den Machern des Pitztaler Gletscherskigebiets zuletzt allerdings eher selten. Erst kürzlich machten Bilder die Runde, welche Anfang September vom World Wide Fund for Nature (WWF) in Umlauf gebracht worden waren und den schonungslosen Umgang mit der Hochgebirgslandschaft dokumentieren sollten. Auf den Fotos sind zwei Schaufelbagger zu sehen, die Gletscherspalten zuschütten und dabei die Gletscherfläche umpflügen.

Eberhard Schultes, Geschäftsführer der Pitztaler Gletscherbahn, ist seitdem damit beschäftigt, den Vorgang zur Normalität zu erklären. "Seit es Gletscherskigebiete gibt, wird das in Tirol so gemacht." Auch wenn er die Aufregung durchaus nachvollziehen könne, seien die Grabungsarbeiten jedes Jahr aufs Neue notwendig, um im Frühherbst einen sicheren Skilauf zu gewährleisten. Auch seitens der zuständigen Behörde heißt es, die Aktion sei rechtskonform.

Rechtswidrige Talabfahrt

Es ist allerdings kein Zufall, dass die Aufnahmen ausgerechnet am Pitztaler Gletscher entstanden - stehen die Bergbahnbetreiber des am höchsten gelegenen Skigebiets in Österreich doch schon seit einigen Jahren unter besonderer Beobachtung. Selbst Schultes ist sich "bewusst, dass in der Vergangenheit nicht alles richtig gelaufen ist, von mehreren Seiten". So wurde etwa 2006 rechtswidrig eine Talabfahrt angelegt, die erst nachträglich von der Politik genehmigt wurde - allerdings nur als sogenannter "Notweg" etwa für den Fall einer Evakuierung, also eine Art Sicherheitsmaßnahme, wofür keine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig ist.

Erst im vergangenen Jahr wurden schließlich am Grat des Hinteren Brunnenkogels mehr als 8000 Kubikmeter Gestein zur Verbreiterung eines Skiwegs abgesprengt. Weil der Eingriff jedoch naturschutzrechtlich nicht von entsprechender Stelle genehmigt worden war, sperrte die zuständige Behörde den Skiweg vorübergehend; der Grat musste rekonstruiert werden. Selbst Tirols nicht unbedingt als Seilbahnkritiker bekannter Landeshauptmann Günther Platter tadelte die Lust der Pitztaler am Modellieren der Landschaft als "unüberlegte Aktion". Schultes, seit Juni dieses Jahres als Geschäftsführer im Amt, spricht von einem "Graubereich". Oft lasse sich die Grenze zwischen genehmigungspflichtiger Erweiterung und üblichen Erhaltungsarbeiten, die für einen sicheren Skibetrieb nötig sind, nicht exakt definieren.

Josef Schrank, Landschaftsökologe vom WWF Österreich, sieht die Sache naturgemäß anders. "Es scheint, als würde im Pitztal in spezieller Art und Weise vorgegangen." Seiner Meinung nach zeigen die Fälle der jüngeren Vergangenheit, dass dort auf rechtliche Bestimmungen nicht immer Rücksicht genommen wird und stattdessen in der Natur Tatsachen geschaffen werden. So stelle sich bei gewissen Bautätigkeiten die Frage, ob es dafür vorher die Genehmigung gegeben hätte. "Da wird die Politik vorne hergetrieben." Er könne sich das nur mit dem großen Einfluss der Seilbahnbetreiber erklären.

Für Organisationen wie den WWF oder die Alpenvereine ist der Fall ohnehin nur ein weiteres Symptom dafür, wie rigoros die Skiliftbetreiber im Verteilungskampf um eine weitgehend stagnierende Zahl an Pistenskifahrern selbst mit den schrumpfenden Gletscherflächen der Alpen umgehen. Da für Urlauber die Größe des Skigebiets eine extrem wichtige Rolle spielt, ist gerade in Österreich der Zusammenschluss mit benachbarten Skigebieten ein beliebtes Mittel.

Eine Verhandlung wird noch in diesem Jahr erwartet

Entsprechend kritisch sehen Naturschützer auch die mögliche Verbindung zwischen Pitz- und Ötztal. Für diese sollen 120 Millionen Euro unter anderem in drei neue Bahnen, 64 Hektar neue Pistenfläche und einen 614 Meter langen Skitunnel investiert werden. "Für mich kommt die Verbauung unberührter Natur in dieser Dimension einer Neuerschließung gleich", sagt Schrank vom WWF. Gemäß dem Tiroler Raumordnungsprogramm wäre eine Neuerschließung, anders als eine Erweiterung des Skigebiets, rechtlich nicht erlaubt.

Um was es sich bei der Gletscherehe genau handelt und ob das Projekt genehmigt wird, prüfen gerade amtliche Sachverständige mit Hilfe der laut Schultes 11 000 Seiten umfassenden Projektunterlagen. Eine Verhandlung wird noch in diesem Jahr erwartet. Allerdings schrieb der Alpenverein schon vor Wochen: "In den Fachgutachten zeichnet sich die Tendenz ab, dass das Vorhaben als naturverträglich eingestuft werden könnte."

Auch Schultes glaubt nicht, dass die Bilder aus der jüngeren Vergangenheit Einfluss auf die Entscheidung nehmen könnten: "Wenn die gesetzlichen Grundlagen laut Raumordnung nicht vorliegen würden, dann hätten wir das gar nicht eingereicht."

Mehr Österreich jeden Freitag im Österreich-Newsletter. Alle Infos und kostenlose Anmeldung: sz.de/oesterreich

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4630451
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.10.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.