Süddeutsche Zeitung

Zugvögel im Alpenvorland:"Wie die Deutsche Bahn vom Schnee überrascht"

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Weil die Winter milder werden, verzichten manche Zugvögel auf ihre beschwerliche Reise in den Süden. Der Schneefall am Wochenende bedeutet aber keineswegs ihr Todesurteil.

Von Veronika Ellecosta, Bad Tölz-Wolfratshausen

Er heißt wie ein Zungenbrecher, stolpert aber beim Singen seines Namens nicht darüber: Der kleine Zilpzalp ist gelb bis olivfarben, und wenn er in Sträuchern sitzt, wippt er keck mit seinem Schwanz hin und her. Ihre innere Uhr schickt die meisten Zilpzalps bei kühler werdenden Herbsttagen zuverlässig auf eine lange, kräftezehrende Reise. Der Mittelmeerraum ist ihr Winterquartier.

Mit dem Klimawandel und den zunehmend milderen Wintern entscheiden sich aber einige Vögel, auf den Zug in den Süden zu verzichten. Überwintern sie in ihrem Brutgebiet, sparen sie ihre Kräfte, können im Frühjahr eher ihr Revier beziehen und haben freie Nistplatz-Wahl, wie Sabine Tappertzhofen vom Landesbund für Naturschutz (LBV) im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen erklärt. Gegenüber den Reisenden hätten die "Dableiber" dann klare Vorteile.

Dieses Jahr ist die Rechnung nicht aufgegangen, denn die rekordverdächtigen Schneemassen vom vergangenen Wochenende haben auch die Zugvögel im Oberland eiskalt erwischt. Der LBV hat zwar keine genauen Zahlen, wie viele von ihnen diesen Herbst als sogenannte Teilzieher hier überwintern. "Es gibt mit Sicherheit genug Vögel, die eigentlich ihr Winterquartier im Süden bezogen haben müssten, aber noch hier sind. Die wurden wie die Deutsche Bahn vom Schnee überrascht", sagt Tappertzhofen. Auch ein Zilpzalp im Schnee wurde im Umkreis von Bichl jüngst gesichtet.

Der Wintereinbruch bedeutet für die Vögel nicht zwingend den Tod. Vor allem größere Arten wie der Schwarzstorch können laut Tappertzhofen mehrere Tage ohne Futter auskommen. Kleinere müssen zwar häufiger fressen, finden aber leichter Nahrung. Bei Kälte und Schnee zieht es die Vögel ohnehin in die Städte und Dörfer, wo sie in Futterhäuschen ihren Hunger stillen.

Dass einige Zugvögel es überhaupt wagen, die Reise in den Süden zu vermeiden, sei von der Natur vorgesehen. "Jedes Jahr versuchen es ein paar innerhalb einer Spezies", erzählt Tappertzhofen. Für problematisch hält die Biologin aber, dass die Vögel mit dem schnellen Wandel durch die Klimaerwärmung vermutlich nicht zurechtkommen. Außerdem können den Vögeln, aber auch Insekten und Kleintieren wie dem Igel größere Temperaturgefälle gefährlich werden. Sprünge in den Temperaturen, wie sie bei Tauwetter und darauffolgendem Frost vorkommen, zehrten sie aus.

Jetzt, da der Schnee schon taut, könnte es für die Dableiber aber gut aussehen: "Wenn das nur ein kurzer Wintereinbruch war, und die restlichen Monate mild verlaufen, haben sie einen echten Vorteil gegenüber den Artgenossen, die in den Süden geflogen sind", sagt Tappertzhofen. Und auch der Mensch kann den Teilziehern mit Futterstellen helfen, damit sie gut durch den Winter kommen. "Wenn eine Fütterung Sinn macht, dann bei solchen Schneelagen", sagt Tappertzhofen. Die Singvögel nehmen die Angebote dankend an, sagt sie. Bei ihrer eigenen Futterstelle im Garten habe sie schon beobachtet, dass immer mehr Blau- und Kohlmeisen vorbeischauen.

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