Süddeutsche Zeitung

Sankt Nikolaus in Jachenau:Gottes Weltenbummler

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Pater Chummar Gracious Naralakkattukunnel aus Nordindien predigt in Gemeinden rund um die Welt. Seit vergangenen September hat er in Sankt Nikolaus in der Jachenau eine neue Wirkungsstätte.

Von Nora Schumann

Drei K, vier A und 18 Buchstaben insgesamt hat der Nachname des Pfarrers von Jachenau, der seit März dieses Jahres die Gemeinde betreut: Pater Chummar Gracious Naralakkattukunnel. Doch statt auf dem Zungenbrecher zu bestehen, belässt es der Pater bei seinem zweiten Vornamen. "Mich nennen hier alle Pater Gracious. Das ist in Indien genauso", sagt er lächelnd.

Eingebettet im Alpenvorland, umgeben von grünen Wiesen und Kühen, schlängelt sich eine schmale Straße steil den Berg zur Kirche von Jachenau hinauf. 870 Einwohner, fast ebenso viele Gemeindemitglieder - ein Kulturschock für jemanden, der aus dem zweitbevölkerungsreichsten Staat der Erde stammt?

Chummar Gracious Naralakkattukunnel stammt aus Kerala, einem Bundesstaat in Südwestindien. Als Jüngstes von sechs Geschwistern durchlief er dort eine zwölfjährige Ausbildung in einem Orden der Thomaschristen. "Von Kindheit an habe ich heilige Bücher gelesen und hatte den Wunsch, diese Schule zu durchlaufen", erklärt Gracious in beinahe fehlerfreiem Deutsch. Nach der Weihe zum Priester habe er zunächst zehn Jahre lang in Nordindien missioniert, bevor der Orden 1999 anfragte, ob er sich eine Arbeit in Deutschland vorstellen könne. "Unser Orden hat einen Vertrag mit der Diözese Augsburg. Wir sind sieben oder acht Priester, die hier arbeiten", erklärt er. "Ich bin gefragt worden, ob ich kann und habe Ja gesagt. Dann habe ich acht, neun Monate Deutsch am Goethe-Institut in Indien gelernt."

Im Jahr 2000 kam Gracious das erste Mal nach Deutschland und arbeitete als Priester in Schwaben und im Allgäu. Mit der Umstellung auf eine andere Kultur habe er keine Probleme gehabt, erzählt er. Schon bevor er nach Deutschland kam, sei er mit einer anderen Kultur konfrontiert gewesen.

"Meine Heimat ist Kerala, das ist eine eigene Sprache, eigenes Essen", erklärt er. "Nordindien hat eine andere Kultur - alles ist ganz anders. Als ich hierher gekommen bin, war es eben auch anders", resümiert er schulterzuckend. "Da waren die Schwaben, dann war ich im Allgäu, dann an der Donau - das war auch unterschiedlich", erzählt Gracious. Aber die Menschen seien hauptsächlich gute Menschen. Besonders im ländlichen Bereich. "Am Anfang akzeptieren sie vielleicht nicht so etwas", sagt der Pater und zeigt dabei auf sich, "aber nach einigen Tagen oder Monaten ist es okay." Er lächelt ein strahlend weißes Lächeln.

Und dennoch sah es eine Zeitlang so aus, als würde Pater Gracious Deutschland den Rücken kehren. Nach 16 Jahren deutscher Gemeindearbeit wurde Gracious 2016 zurück nach Indien an eine Priesterschule berufen. Bis zwei Jahre später ein Anruf aus Jachenau kam: Ein Nachfolger für die Pfarrei wurde gesucht. "Es wurde vereinbart, dass ich am 1. September zurückkomme", erzählt der 51-Jährige. "Dann ist der Pfarrer gestorben und sie haben mich gefragt, ob ich schnell kommen kann. Innerhalb einer Woche bin ich dann zurück nach Deutschland gekommen", berichtet er. Seine Verwandten habe er abermals zurück in Indien gelassen. "Ich fliege meistens jedes Jahr nach Indien", sagt Gracious. Seine Cousine, die in Italien arbeitet, sei schon einmal zu Besuch gekommen, genauso ein Cousin der in den Vereinigten Staaten lebt. "Von meiner direkten Familie niemand. Es ist zu teuer für sie. Siebzig mal teurer ist alles, wenn wir es vergleichen mit Deutschland", erklärt der Pater.

Über das Thema Familie spricht der Pfarrer immer wieder, für ihn ist sie eines der wichtigsten Dinge im Leben. "Wenn die Familie da ist, ist das der Grundstein, für den Staat und auch für die Kirche", erklärt er. Hier bemerke er einen Unterschied zwischen dem Glaubensalltag in Indien und Deutschland. "Bei uns ist das noch stärker", sagt er und meint mit "uns" sich und die indische Gemeinde. "Fast 98 Prozent der Leute kommen in die Sonntagsgottesdienste, es ist immer voll", sagt Gracious. "Das Familiengebet ist sehr wichtig für uns. Dann sitzen wir zusammen und beten - normalerweise den Rosenkranz."

Dem Familiengebet schreibt er auch zu, dass der Glauben in der indischen Gesellschaft eine größere Rolle im Lebensalltag der Gläubigen einnimmt. Es sei eine Gelegenheit sich innerhalb der Familie auszutauschen, erklärt er. In Deutschland gebe es das weniger. "Wir geben alle unsere Traditionen weiter, wir sollten auch unseren Glauben weitergeben", fordert der Pater.

Auch wenn er nach dreißig Jahren des Nomadentums keine wirkliche Heimat mehr ausmachen kann, möchte der Pater im Ruhestand zurück nach Indien. Denn im Alter sei man in Deutschland einsamer, so Gracious. "In Deutschland, wenn mein Vater alt ist, hat er einen Raum im Seniorenheim - und da bleibt er. Bei uns ist das nicht so, wir haben viele Leute, Familienmitglieder und Freunde die einen besuchen. Das ist eine andere Erfahrung", erklärt er.

Bis dahin fühlt sich der weit bereiste Pater aber durchaus wohl im Voralpenland. "Ich finde es gut. Vom Dorf finde ich die Leute immer sehr nett", sagt der Pater. "In meinem Fall dauert das Kennenlernen ein bisschen - das braucht Zeit", fügt er hinzu. Nur mit dem Dialekt habe er so manches Mal noch Schwierigkeiten. "Wenn die Leute mit mir Dialekt reden, verstehe ich schon die Hälfte", sagt er und lacht. "Wenn sie untereinander reden, ist es aber immer etwas schwierig."

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SZ vom 05.08.2019
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