Süddeutsche Zeitung

Im Festzelt:Klassenkampf und Sentiment

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Konstantin Wecker und Band beeindrucken beim Geretsrieder "Kulturherbst" alte Fans und neue VIPs

Felicitas Amler

- Hätte man das früher, in den großen alten Wecker-Zeiten, nicht entsetzlich angepasst gefunden? Der halbe Mittelgang im Geretsrieder "Kulturherbst"-Festzelt ist am Freitagabend reserviert: für Stadträte und VIPs. Für die Etablierten der Gesellschaft. Und zu Beginn seines Auftritts macht Konstantin Wecker selbst ganz den Eindruck, als sei er bestens angekommen im Establishment. Duzi-duzi mit Bürgermeisterin Cornelia Irmer, man umarmt sich unten in der Arena, bevor der Star die Bühne betritt - von wo aus er das Publikum dann auch noch wissen lässt: "Ihr habt's a nette Bürgermeisterin." So neckisch, der alte Revoluzzer, der sich doch immer noch gern von Erich Mühsams Lampenputzer abheben möchte?

Neckisch, kokett und ein bisschen ranwanzig: So fängt er an. Zudem mit einem Lied, das textlich ebenso wie in der überbetonten Art mimisch-gestischer Darbietung eher an Comedy denken lässt als an einen großen poetischen Rebellen. Vom Lächeln der Kanzlerin singt Wecker, das ihm angeblich den Verstand raubt. Ach ja, welche Ironie! Und dann auch noch "ihr pralles Dekolleté" und die Zeile "die Brüste meiner Kanzlerin rauben mir den Verstand" . . . Man möchte davonlaufen.

Gut, wenn man geblieben ist. Denn es wird ein grandioser Abend. Musikalisch ein Riesenvergnügen. Und inhaltlich, politisch, künstlerisch - als Wecker endlich aufhört, sich selbst zum Hanswurst und den Honoratioren der Stadt den Hof zu machen - eine anrührende und aufregende Wiederbegegnung. Mit jenem Wecker, dessen Hausgötter Kästner, Brecht und Rilke heißen und dessen Idole Joan Baez ("ein tolles Weib") und Mikis Theodorakis sind. Mit jenem Liedermacher, der sich zum Pazifismus bekennt. Mit einem, der von Zeiten schwärmt, in denen "es in diesem Land noch einen Grundsatz gab: Nie wieder Faschismus. Nie wieder Krieg". Ob das alles unten bei den VIPs angekommen ist? Oder haben sie es ebenso geflissentlich überhört wie Weckers Bemerkung, die Linke gewählt zu haben?

Geklatscht wird jedenfalls an diesem Abend vom ersten Ton an voller Enthusiasmus, auf den fast voll besetzten Rängen wie im Parkett. Und am Ende - nach dreieinviertel Stunden mit einer guten Mischung aus alten und neuen Liedern und nach vier ungeziert gewährten Zugaben - ist der frenetische Applaus wahrhaft angemessen. Weckers Band ist großartig: Pianist Jo Barnikel, Gitarrist und Perkussionist Jens Fischer-Rodrian und Pedal-Steel-Spezialist Nils Tuxen schaffen mal breite Klangteppiche, mal zwitschernd-plätschernde Gärten Eden, liefern sich mit Wecker nicht enden wollende, geistreiche Improvisationen oder heizen die Stimmung mit stampfenden Rhythmen auf. Manch Bekanntes, wie "Bleib nicht liegen", ist ein wenig schmalzig neu arrangiert. Manch Vertrautes, wie "Es herrscht wieder Frieden im Land", kommt mit der gewohnten musikalischen Wucht daher.

Der CD- und Tournee-Titel "Wut und Zärtlichkeit" klingt furchtbar bemüht und ist doch treffend. Wecker ist noch immer (weswegen die Frauen wohl so auf ihn stehen) ungeniert sentimental und gefühlig. Liebeserklärungen hören sich bei ihm so an: "Kann zaubern und segnen, Medusen besiegen, um dir zu begegnen, könnte ich fliegen." Und dann ist er wieder demonstrativ aufrührerisch. Singt an gegen eine "Banken-Spekulanten-Diktatur" und ruft auf zum Widerstand gegen Kapitalismus und Kriegshetzerei.

Konstantin Wecker in Geretsried - "ein Hammer", hatte Kulturforum-Sprecher Günter Wagner im Begrüßungsgeplänkel mit der Bürgermeisterin gesagt. Und Irmer hatte betont ungezwungen geantwortet: "Das hätte ich mir in meinem Leben nicht träumen lassen." So wie wir uns früher kein Wecker-Konzert mit VIPs hätten träumen lassen.

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Quelle:
SZ vom 08.10.2012
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