Süddeutsche Zeitung

Universalgenie aus Egling:Kunst im Quadrat

Lesezeit: 5 min

Herbert W. Franke ist einer der wichtigsten deutschsprachigen Science-Fiction-Autoren und ein Pionier der Computerkunst. Jetzt hat der 94-Jährige ein neues Projekt.

Von Kathrin Müller-Lancé, Egling

Auf den ersten Blick mag dieses Bauernhaus mit den knarzenden Treppenstufen gar nicht so recht zu ihm passen: Müsste der Science-Fiction-Großmeister und Digitalpionier Herbert W. Franke nicht eher in einem futuristischen Bungalow wohnen? Schaut man sich ein bisschen genauer um, erzählt das hier alles doch ganz gut vom vollen Leben des 94-Jährigen. Die kleine Galerie im Treppenhaus zum Beispiel, bis zur Decke ist die Wand getäfelt mit Bildern von Franke selbst, Postkarten und Arbeiten anderer Künstler. Im ersten Stock zeugen Vitrinen voller Souvenirs von der Reiselust des Künstlers und Wissenschaftlers. "San Salvador", "Oman", "Karibik" steht auf den Kärtchen neben den Mitbringseln. Und dann ist da natürlich noch das Herzstück, der Computer, zugleich Werkzeug und Archiv von Herbert W. Frankes zahlreichen digitalen Kunstwerken.

Franke, davon zeugt diese bunt gemischte Einrichtung, ist ein kreativer Tausendsassa, man könnte auch sagen: ein Universalgenie. Der gebürtige Österreicher studierte Mathematik, Physik, Chemie, Psychologie und Philosophie, wurde bekannt als Höhlenforscher, einer der ersten deutschsprachigen Science-Fiction-Schriftsteller und Mitbegründer der Computerkunst. Jetzt, mit 94 Jahren, hat er sich noch einmal eine seiner bekanntesten Arbeiten vorgenommen: die "Quadrate", mit denen er schon 1970 auf der Biennale in Venedig zu Gast war. Die bunten Bilder entstehen, indem ein Zufallsgenerator Quadrate immer wieder in verschiedenen Farben und Formationen zusammenbringt. Das eigentliche Kunstwerk Frankes sind also nicht die Bilder, sondern das Programm dahinter. Weil der ursprüngliche Algorithmus nicht erhalten werden konnte, wurde er nun aber auf Anregung des Zentrums für Kunst und Medien Karlsruhe rekonstruiert.

Ein Informatiker hat den Code für die Quadratbilder nachempfunden und zum sogenannten Non Fungible Token (NFT) umprogrammiert: Ein NFT ist eine Art digitales Wasserzeichen: Er macht ein elektronisches Kunstwerk, das prinzipiell beliebig oft kopiert werden könnte, identifizierbar und einzigartig, sodass es genauso gehandelt und gesammelt werden kann wie analoge Kunst - heute besonders im Kontext von Social-Media-Kunst wichtig. Eine Siebdruck-Grafik der Quadrate und die Rekonstruktion als NFT-Code sind derzeit in der Ausstellung "Proof of Art" im Francisco Carolinum Linz zu sehen.

Mit Blick auf Frankes Biografie erstaunt es nicht allzu sehr, dass er auch bei diesem digitalen Trend mitmischt, als Künstler war er immer irgendwie auf der Suche nach Neuland. Schon in den 1950er-Jahren, also nur kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, experimentierte Franke mit einem Analogcomputer, ein Oszillograf diente damals als Drucker. Ob er sich selbst als Grenzgänger bezeichnen würde? "Das kommt der Wahrheit wahrscheinlich nahe", sagt er lächelnd. Auch wenn er es als Naturwissenschaftler lange nicht leicht hatte, sich im Kunstbetrieb zu behaupten, versuchte Franke beharrlich, die Grenzen zwischen den beiden Bereichen zu öffnen.

Für die Kunst hat er sich schon früh interessiert: Mit zehn Jahren fotografierte Franke, damals noch mit einer Fotobox, die Statuen im Park des Wiener Schlosses Belvedere. Später im Physik-Studium entstanden seine ersten wissenschaftlich geprägten Kunstwerke - am Elektronenmikroskop. Ursprünglich nutzte Franke das Gerät für Abbildungen von Elektronenfeldern. "Eines Tages hab ich einen Fehler gemacht", erinnert er sich, "und da dachte ich mir: Das gefällt mir eigentlich viel besser, das sieht viel schöner aus als die parallelen Linien."

Als er später ein paar Jahre in der Werbeabteilung bei Siemens arbeitete, nutzte er das dortige Fotolabor für Versuche. Er spielte mit Belichtung und Bewegung. Im Jahr 1954 kam Franke durch einen Freund an seinen ersten analogen Computer. "Das war der Durchbruch." Ende der 1970er-Jahre folgte der erste digitale Rechner, ein Apple II, der damals noch an den Fernseher angeschlossen werden musste. Die Farben: Schwarz und Weiß.

Ihr Mann, erklärt Susanne Päch, Ehefrau und Pressesprecherin in Personalunion, betrachte Kunst vor allem als Experiment: Ihm gehe es nicht einfach darum, etwas Schönes abzubilden, sondern etwas Neues zu generieren. Deshalb spiele bei seiner Computerkunst auch der Zufall immer eine wichtige Rolle. Franke begreife den Computer nicht als Werkzeug, sondern als Partner. Was ihn daran reizt? "Na, dass man durch den Zufall immer etwas Neues sieht!" Reine Symmetrie habe er schon immer etwas langweilig gefunden, so der Computerkünstler, die gebe es ja schon seit der Steinzeit.

Kunst hat für Franke ohnehin vor allem mit Wahrnehmung zu tun. Über seine Kunsttheorie hat er Bücher geschrieben - er weiß sie aber auch an einer Anekdote zu erläutern. Für eine Ausstellung in Davos habe einmal ein Arbeiter seine Computergrafiken vom Lastwagen in den Ausstellungsraum tragen müssen. Zunächst habe der Mann auf seine Frage, wie er die Bilder denn fände, nicht antworten wollen. Wahrscheinlich sei er eingeschüchtert gewesen, mutmaßt Franke. "Dann habe ich ihn gefragt: Wie würde Ihnen so ein Muster denn auf einem Teppich gefallen? Und da hat er sich dann auf einmal eine Meinung zugetraut." Die Kunst hänge immer von ihrem Betrachter ab, sagt Franke.

In Griffweite neben dem Sofa liegt eine rote Mappe mit Ausdrucken, die Franke immer wieder heranzieht, um das ein oder andere Kunstwerk von sich zu zeigen. Seine Drucke und Fotos sind außerdem im ganzen Haus verteilt, sogar auf dem Dachboden. Susanne Päch wühlt sich durch Stapel und sortiert Bilderrahmen. "Mein Mann hat Zeit seines Lebens nichts weggeschmissen. Das ist schlecht für uns, aber gut für die Kunstgeschichte."

Päch hat sich in den vergangenen Jahren daran gemacht, das Werk ihres Mannes zu archivieren. Ein Großteil der Manuskripte und Briefwechsel liegt bereits beim Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe. Bei den digitalen Arbeiten ist die Archivierung deutlich schwieriger - viele der ursprünglich von Franke benutzten Programme laufen nicht mehr auf neueren Rechnern. Manche Arbeiten mussten sie deshalb mit einer Videokamera vom Bildschirm abfilmen, erzählt Päch.

Von der Kunst leben konnte Frank nie wirklich, erst spät wurde sein Werk von der Szene anerkannt. "Er hat keine auf den ersten Blick erkennbare Handschrift", sagt seine Frau. "Ihm ging es immer eher um die Logik hinter seinen Arbeiten." Seinen Lebensunterhalt verdiente Franke vor allem als freier Schriftsteller. Zur Science Fiction war er zufällig gekommen: Der Verleger Wilhelm Goldmann hatte ihn eigentlich nur als wissenschaftlichen Berater für die erste deutsche Science-Fiction-Serie im Taschenbuchformat angeheuert. Weil einer der Bände kurzfristig wegfiel, sprang Franke mit einer eigenen Geschichtensammlung ein: "Der grüne Komet" erschien im Jahr 1960.

Auch wenn Franke, wie mit dem NFT-Projekt, noch immer in der Kulturwelt mitmischt, hat sich sein Leben inzwischen entspannt. Morgens schläft er aus, am liebsten bis 11 Uhr, dann setzt er sich an den Computer, Betriebssystem Windows 7, um ein bisschen zu programmieren. "Mein Mann hat es immer schon verstanden, sich trotz seiner ganzen Aktivitäten den Alltag gut einzurichten", sagt seine Ehefrau.

Seine Bücher hat Franke übrigens, das erzählt seine Frau am Ende der Begegnung, erst sehr spät selbst am Computer geschrieben. Lange habe er den Text direkt in ein Diktiergerät gesprochen, vom Sofa oder vom Liegestuhl aus. "Deshalb ist die Sprache in seinen Büchern auch eine einfache, gesprochene." Erst in den 1990er-Jahren habe Franke angefangen, seine Texte selbst am Computer zu tippen - mit zwei Fingern.

Ausstellung "Proof of Art", bis 15. September im Francisco Carolinum Linz; Ausstellung "Math goes Art", bis 31. Oktober in der Kate Vass Galerie Zürich

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SZ vom 24.07.2021
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