Süddeutsche Zeitung

Benediktbeurer Gespräche 2023:Keine Zukunft ohne Ökologie

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Die Politiker Manfred Weber und Sarah Wiener sowie Referenten aus Umweltschutz und Bauernverband diskutieren die Rolle der Landwirtschaft im Hinblick auf Natur- und Artenschutz. Über die Bedeutung des Themas ist man sich einig, die Umsetzung bleibt aber unklar.

Von Lorenz Szimhardt, Benediktbeuern

Im Allianzsaal des Klosters Benediktbeuern herrscht reges Treiben. Das Stimmengewirr legt sich erst langsam, als zum zweiten Mal ein Gong ertönt und ein junger Mann im Anzug an das Mikrofon herantritt: Es ist Benedikt Hartmann, Geschäftsführer des Zentrums für Umwelt und Kultur im Kloster Benediktbeuern (ZUK), der die zahlreichen, vorwiegend älteren Gäste zum Symposium der Benediktbeurer Gespräche 2023 willkommen heißt. Das Thema in diesem Jahr ist spannungsgeladen: die Rolle der Landwirtschaft im Hinblick auf Klima-, Arten- und Naturschutz.

Die hohe Diversität der Landwirtschaft betont Fritz Brickwedde, Vorsitzender des Stiftungsrates der Heinz-Sielmann-Stiftung, die als Mitveranstalter auftritt. "Ein Almbauer und ein Landwirt mit 5000 Hektar Land leben in unterschiedlichen Welten", sagt er. Das zentrale Problem sieht er in der Flächenkonkurrenz zwischen Bauern und Artenschützern. Dieses Problem könne nur mithilfe eines Dialoges gelöst werden, so Brickwedde.

Für Lutz Spandau, Vorstand des Trägerverbundes ZUK, befindet sich die Landwirtschaft in einem massiven Wandel. Während kleine Bauernhöfe nach und nach verschwinden, werden die großen Betriebe immer noch größer, wie Spandau darlegt. Dafür macht er unter anderem den "European Green Deal", ein umfassendes Projekt der EU zur ökologischen Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, verantwortlich. Nachhaltige Agrar- und Lebensmittelsysteme stehen im Mittelpunkt des Deals. Sollte dieser umgesetzt werden, sehen sich viele Landwirte in ihrer Existenz bedroht. Vielen Klimaschützern gehe er trotzdem nicht weit genug, meint Spandau.

Unter dem Klicken etlicher Kameras wendet sich Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Thema der Agrarfördermittel der EU zu. Diese sollten als "Kompensation für die erbrachten Leistungen der Bauern" und nicht schlichtweg als Subvention betrachtet werden. Aktuell fördere die EU landwirtschaftliche Betriebe ihrer Fläche entsprechend. Um kleinere Betriebe stärker zu unterstützen, habe man beschlossen, die ersten Hektare stärken zu fördern als die weiteren, so Weber. Dieser Weg solle weitergeführt werden. Zentral sei zudem, dass man nicht "gegen die Bauern diskutiert", sondern ihnen zuhöre und Respekt zeige, meint Weber.

"Nichts zu machen, kann auch nicht die Lösung sein", sagt Sarah Wiener

Als danach Sarah Wiener, Fernsehköchin und Mitglied im Europäischen Parlament für die österreichischen Grünen, an das Mikrofon tritt, wirkt sie aufgebracht. Sie kündigt an, ihren gesamten Vortrag umzuwerfen, um direkt Bezug auf ihren Vorredner nehmen zu können. Am meisten stößt Wiener auf, dass Weber behaupte, weitere Vorschläge zum Umwelt- und Tierschutz lägen auf dem Tisch. Genau diese Vorhaben blockiert laut Wiener nämlich die EVP, also Webers Partei. Der Fraktionschef wiederum erklärt später, dass die EVP bei diesen Vorschlägen kritisch sei, da man versuche, "einen Ausgleich zu finden". Als Beispiel nennt er das "Nature Restoration Law". Dieses beinhalte eine Reduzierung der Landwirtschaftsfläche um zehn Prozent zugunsten der Biodiversität: Das bedeute entweder eine intensivere Nutzung der Fläche oder eine geringere Nahrungsmittelproduktion. Aufgrund des Ukraine-Kriegs wäre dies allerdings aktuell keine Lösung, erklärt Weber. Wiener geht es vor allem um die "schlechte Situation" des Artenschutzes. "Nichts zu machen, kann auch nicht die Lösung sein", sagt die Österreicherin.

Vor allem am globalen Ansatz des EVP-Chefs stört sich Walter Heidl, Vize-Präsident des Deutschen Bauernverbandes. Weber sprach sich zum Beispiel für ein Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur aus, denn durch den Wegfall von Zöllen wären Agrarprodukte aus Südamerika auf dem europäischen Markt wesentlich konkurrenzfähiger. Wenn regionale Bauern hier zu hohen Kosten produzieren und gleichzeitig billige, ausländische Produkte importiert werden, seien die Subventionen der EU lediglich ein Ausgleich für ihren Wettbewerbsnachteil, entgegnet Heidl. Die Bauern würden "keine Frontalabwehr" gegen Naturschutz betreiben, der aber müsse in die Landwirtschaft integrierbar sein.

Die biologische Vielfalt hält Norbert Schäffer, Vorsitzender des Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV), für gefährdet. Ein Indikator dafür seien die Feldvögel, da es sie nur dort gibt, wo auch Insekten und andere Kleintiere leben. Mittlerweile verschwänden sie aufgrund des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln und wegfallenden Brachflächen jedoch mehr und mehr, so Schäffer. Die Hälfte der Feldvögel habe man bereits verloren. Das sei "kein Vorwurf, sondern lediglich eine Zustandsbeschreibung", fügt Schäffer hinzu. "Der Zustand ist desolat."

Da Manfred Weber die Runde wegen eines Termins schon vor der Diskussion verlassen muss, ersetzt ihn Florian Streibl, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Bayerischen Landtag. Er sieht die Landwirte in einer Art "Gärtnerfunktion", in der sie "die Natur am Laufen halten". Auf die regionale Umsetzung der EU-Vorgaben, auch hier im Landkreis, angesprochen, klagt Streibl vor allem über fehlendes gegenseitiges Verständnis. In den familiären Kleinbetrieben der Region herrsche eine andere Realität als in der Wahrnehmung von Brüssel.

Franz Sindlhauser, der sich selbst als einen Naturbauer aus Benediktbeuern bezeichnet, sieht die massiver werdende Fremdbestimmung als Hauptproblem. Dass ihm nach 50 Jahren als Bauer jetzt andere erzählen wollen, wie er zu Landwirtschaft zu betreiben habe, stört Sindlhauser. In seinen Augen sollte man den Bauern mehr Freiheiten lassen. "Wir sind ja ned bled, wir wissen scho, was richtig ist", kommentiert der Landwirt.

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