Süddeutsche Zeitung

Bayerisches Brauchtum:Ins Zeug legen für den Segen

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Wenn derzeit vielerorts wieder Leonhardi-Ritte und -Fahrten stattfinden, ist oft die Familie März aus Oberbuchen mit ihren Kaltblut-Pferden dabei. Die Tiere sind bei ihnen kein Beiwerk, sondern Mittelpunkt von Tradition und Alltag

Von Barbara Szymanski, Bad Heilbrunn

Ulimas Langmut hat nun ein Ende. Die Stute schüttelt ihre nasse lichtblonde Mähne, hebt und senkt den Kopf, scharrt mit einem Vorderhuf und lässt ein deutliches, aber manierliches Wiehern hören. Dass Ulima nun gleich ausrastet, das ist nicht zu befürchten. "Sie will nur zu den anderen zurück, sind halt Herdentiere", beruhigt Johann März. Die anderen, das sind vier weitere Pferde der Rasse Süddeutsches Kaltblut, die in der vierten Generation von der Familie März auf dem Stillhof in Oberbuchen gezüchtet werden. Sie sind allesamt "Fuchsen", also leicht fuchsfarbene Rösser, die in zwei Linien miteinander verwandt sind. Mit einer sogenannten Schweißklinge wird das Wasser von den mächtigen, bis zu 850 Kilogramm schweren Leibern abgeschabt, und Thomas März legt den Pferden Wolldecken über die noch feuchten Rücken.

Die Prozedur des Waschens, Striegelns und Schmückens geschieht in diesen Tagen aus einem besonderen Grund: die beiden sowie die Stuten Nanni und Ulrike haben wieder einmal Einsätze bei Leonhardifahrten, in Benediktbeuern am vergangenen Sonntag und am Mittwoch, 6. November, in Bad Tölz. Mindestens ebenso wichtig ist den Brüdern März und ihren Söhnen und Töchtern der Leonhardiritt um die Kirche Maria Heimsuchung in Oberbuchen am Sonntag, 10. November. Dieser Brauch gehört seit gut 70 Jahren einfach zu diesem großen Bauernhof mit Kühen, drei Schweinen, einem Hofhund, Katerchen Xaver und einer Hühnerschar mit wachsamem weißen Gockel und natürlich den Oberbuchenern und den Bewohnern anderer Ortsteile von Bad Heilbrunn sowie Königsdorf.

Was bedeutet Leonhardi für die Familie März? Bei dieser Frage machen Johann März, sein Bruder Thomas und die Söhne Hansi, Kilian und Benedikt ernste Gesichter. "Wir zeigen die Rösser nicht bloß her auf den Leonhardifahrten. Wir brauchen den Segen für alle unsere Viecher", sagt Johann März leise. Dass alle gesund sind, die Familie, Nachbarn und Freunde zusammenhalten, sei absolut nicht selbstverständlich.

Gleichwohl sind die Tiere des Hofes für die Familie nur ein Hobby, "und zwar ein zeitaufwendiges und nicht ganz billiges". Auch, und vor allem die Pferdezucht. Sein Brot verdient Johann März als Zimmerer, dessen Söhne als Handwerker und Thomas März betreibt ein Baugeschäft. "Nur der Vater konnte damals noch vom Hof leben", sagen die Brüder. Schon im Alter von sieben Jahren durfte Hansi März mitreiten bei Leonhardi. Ob er auch vernarrt ist in Rösser und vor allem Kaltblüter ist für ihn eine seltsame Frage: "Ja, klar. Seit ich lebe."Auch Barbara März, die Frau von Johann, und die Töchter Franzi und Kathi stehen voll hinter der Kaltblutzucht.

Gut drei Tage lang schmücken sie in präziser Handarbeit den Kastenwagen mit Buchs, Daxen, heimischem Miers und dem hellem irischen Moos. Sie sind einige der sogenannten Schalkfrauen, die mit den Rosslenkern am Mittwoch um 7 Uhr in Oberbuchen starten werden, um pünktlich um 9 Uhr zur inzwischen weltberühmten und zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit gehörenden Bad Tölzer Leonhardifahrt starten zu können. Es mag vorkommen in Oberbayern, dass Kaltblüter nur zu diesen Wallfahrten gehalten werden und ihr restliches Leben überwiegend im Stall und ohne richtigen Job zubringen müssen. Dieses Schicksal bleibt den insgesamt sechs Zuchtstuten der Familie März jedoch erspart. Einige Kutschen auf dem weitläufigen Hof zeugen davon, dass die Pferde oft Ausflüge machen dürfen. So gönnt sich auch die Familie immer wieder einmal Kutschfahrten, aber auch Ausritte. Außerdem leisten die Rösser gute Dienste beim Holzrücken. "Einen Harvester, der dem Waldboden zusetzt, den brauchen wir nicht", betont Johann März.

Der Pferdezüchter mag es gar nicht, wenn sich Leonhardifahrten zu Saufgelagen auswachsen. Nüchtern bleiben, die schön geschmückten Rösser mit ihrem Festtagsgeschirr möglichst nicht galoppieren lassen, weil es nicht nur gefährlich, sondern "gar nicht gut ist für die Tiere", und sich auf den eigentlichen, christlichen Anlass zu besinnen, das ist der Familie März ein echtes Anliegen. Alle Jahre wieder mit den "Fuchsen" und ihren lichtblonden Mähnen und Schweifen.

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SZ vom 05.11.2019
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