Süddeutsche Zeitung

Internationales Brauchtum:Wie internationale Tölzer ins neue Jahr feiern

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Zu Silvester gibt es von Schottland bis Argentinien vielerlei Bräuche, welche die Menschen aus ihrer Heimat in die Region mitgebracht haben

Von Felicitas Amler und Alexandra Vecchiato

Bleigießen und Böllern, Raclette essen, kleine Kaminkehrerfiguren, Kleeblätter und Marzipanschweinchen verschenken: Bräuche wie diese sind überall in Deutschland verbreitet. Doch wie feiern andere Nationen, Kulturen und Religionen? Die SZ hat sich umgehört.

Neujahr am 21. August

Für Muslime ist Neujahr ein wichtiges Datum in der Geschichte des Islam. Es erinnert daran, dass im Jahr 622 (nach Christus) der Prophet und Religionsstifter Mohammed mit seinen Anhängern Mekka verließ, um in Medina den ersten islamischen Staat aufzubauen. Neujahr ist für Muslime daher kein Festtag im eigentlichen Sinne, sondern ein Gedenktag. "Groß gefeiert wird nicht", sagt Gönül Yerli, stellvertretende Direktorin der Islamischen Gemeinde in Penzberg. In der Nacht zuvor würden "bestimmte Gebete" gesprochen, aber vor allem die Geschichte von Mohammeds Aufbruch erzählt. "Vor allem für die Kinder", sagt Yerli.

Weil der islamische Kalender im Vergleich zum gregorianischen Kalender des christlichen Abendlandes um elf Tage kürzer ist - ein Jahr hat 354 Tage, ein Schaltjahr 355 - und nach Mondjahren gerechnet wird, fällt Neujahr jährlich auf einen anderen Tag. "Wir haben das Jahr 1441, dann fällt Neujahr auf den 21. August 2020", erklärt Yerli. Weil bei den Muslimen der neue Tag nicht um Mitternacht, sondern bereits mit dem Sonnenuntergang beginnt, feiern sie den Beginn eines neuen Jahres zwei Tage lang. Und zwar mit viel Süßem. "Wir wünschen uns auch ein ,süßes Neujahr', ähnlich wie im Jüdischen." Gerne gegessen wird Baklava oder Halva.

"Auld Lang Syne"

Die Schotten wissen zu feiern. Das gilt auch für "Hogmanay". Dieser wichtige schottische Festtag wird am Abend des 31. Dezember bis in die frühen Morgenstunden des 1. Januar gefeiert. Andrew Mottl lebt in Penzberg und hat schottische Wurzeln. Er erinnert sich an Silvester bei den Großeltern in Schottland. "Aber immer im kleinen Kreis. Wir waren nicht bei den Hotspots." Dennoch weiß er, dass man kaum woanders auf der Welt den Jahreswechsel derart zelebriert wie in der Hauptstadt Edinburgh. Wobei es eigentlich schon am 30. Dezember losgeht: mit einem Fackelzug der Wikinger.

Die Nordmänner reisen jedes Jahr mit dem Langboot von den Shetlandinseln an und ziehen mit Fackeln durch die Stadt. Ein Schauspiel, das Hunderttausende verfolgen. Silvester wird mit einem großen Feuerwerk begangen. Ganz wichtig sei auch der Klassiker schlechthin, erzählt Andrew Mottl: das Lied "Auld Lang Syne". Um Mitternacht stimmten alle auf der Straße dieses Stück an. "Es wird auch viel getanzt. Und an Mitternacht angestoßen, aber nicht so sehr mit Sekt. Eher Sherry." Die Glocken läuteten, die Schiffshörner erschallten. Brauch sei es ebenfalls, die Nachbarn auf ein Glas Whisky auf der Straße einzuladen.

Vassilopita

Kinder ziehen am 31. Dezember von Haus zu Haus, besingen das neue Jahr und werden mit Süßigkeiten und Geld belohnt. Das ist ein Brauch aus der Heimat, den die griechische Gemeinde in Geretsried und Wolfratshausen immer noch aufrechterhält. Petros Mastoridis, Vorbeter in der Petruskirche, erklärt, eigentlich bringe ja der Heilige Vassilios, dessen Namenstag der 1. Januar ist, in Griechenland die Geschenke. Mastoridis lacht: "Aber unsere Kinder sind ein bisserl verwöhnt, die kriegen zu Nikolaus was, zu Weihnachten und zu Silvester." Ein alter Brauch sei auch die Vassilopita. In dieses Gebäck wird eine Münze eingebacken. "Der Kuchen wird in der Familie gesegnet", sagt Mastoridis, "der Vater schneidet ihn an, und dann steht das erste Stück Jesus zu, das zweite Maria, das dritte dem Haus, je ein Stück für jedes Mitglied der Familie und zuletzt ein Stück für die Armen."

Wer schließlich die Münze findet, soll im ganzen Jahr Glück haben. Er oder sie muss mit der Münze in die Kirche gehen, sie in den Opferstock werfen und eine Kerze anzünden. Mastoridis hat drei Kinder im Alter von dreieinhalb, neun und elf. Auf das Singen von Haus zu Haus, so sagt er, freuten sich auch befreundete deutsche Familien immer. "Die warten schon und sagen: Vergesst uns ja nicht!"

Zweimal Geschenke

Winter in Argentinien - von Minusgraden keine Spur. Das Leben spiele sich draußen ab, erzählt Angélica Haas. Mit 33 Jahren zog die gebürtige Argentinierin nach Penzberg, wo sie mit ihrer Familie lebt. Damals sei die wirtschaftliche Lage im Land eine andere gewesen. "Daher kann ich nicht sagen, was heute noch üblich ist." Allerdings dürfte sich eines nicht geändert haben: Argentinische Kinder haben doppelt Grund, sich zu freuen. Nicht nur, dass "Papa Noel" an Weihnachten Geschenke bringt. An Silvester gibt es noch einmal Spielzeug und mehr.

Traditionell wird gegrillt. Üblicherweise Rind, aber auch Lamm und Schwein. "Man feiert mehr mit Freunden als mit der Familie", sagt Angélica Haas. Bei 35 bis 40 Grad seien Weihnachtsbäume aus Plastik üblich. "Andere halten nicht bei der Hitze." Die Geschenke lägen sowohl an Heiligabend als auch an Silvester unterm Baum. Wenn um Mitternacht sich alle draußen auf den Straßen ein gutes neues Jahr gewünscht hätten, gehe es nach drinnen zum Auspacken der Gaben.

In ihrer Jugend war die Nacht des Jahreswechsels traditionell für den ersten Disco-Besuch reserviert. "13-, 14-Jährige durften dann erstmals bis Mitternacht oder ein Uhr aufbleiben." Natürlich gibt es Feuerwerk. "Das haben wir übrigens auch schon am 24. Dezember abends."

Glücksbringer "lenticchie"

Mit Wehmut, so sagt eine Italienerin, die in Wolfratshausen lebt, erinnere sie sich an den Abend des 31. Dezember in ihrer Kindheit, mit Mutter, Vater und drei Schwestern. "Niente di grandioso", nichts Großartiges, aber für sie besonders schön: Ein einfaches Essen bei Kerzenschein, bei dem natürlich die Linsen (lenticchie) nicht fehlen durften - sie bringen im neuen Jahr Glück. Dann eine Tombola und ein Kartenspiel: "Mercante in fiera", der Kaufmann auf der Messe.

Kurz vor Mitternacht ging's eilig auf die Terrasse, und das sei für sie, sagt die Italienerin, der magische Moment gewesen - all die bunten Feuerwerkslichter. "Era un vero spettacolo", es war ein echtes Spektakel. Genau zu Mitternacht öffnete der Vater eine Flasche Sekt, große Umarmung, und alle wünschten einander "Buon Anno!"

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Quelle:
SZ vom 31.12.2019
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