Süddeutsche Zeitung

Alpinflohmarkt des Alpenvereins:Wider die Materialschlacht

Lesezeit: 4 min

3000 Euro für eine Skiausrüstung? Nein, danke. Immer mehr Menschen decken sich mit gebrauchtem Equipment ein, weil sie den Konsumrausch nicht mitmachen wollen.

Von Tom Soyer

Ein Wochenende ganz im Zeichen des Berg- und Skisports: Während im österreichischen Sölden der Ski-Weltcup mit groteskem Aufwand in die Saison startet, strömen sie am Sonntag zu Hunderten in München auf das Gelände der Blumen-Großmarkthalle in Sendling - und huldigen bergsportlicher Nachhaltigkeit. Der Alpinflohmarkt der Alpenvereins-Sektion München und Oberland erlebt als riesige Gebrauchtwarenbörse für Ski- und Bergausrüstung gleich am Morgen einen gewaltigen Ansturm.

"Das Material ist so dermaßen teuer geworden", sagen die Studentin Natascha Muth und ihr Freund Jonas De Lorenzo. Sie ist 28, war Skilehrerin; er ist 31, und beide sehen es kritisch, "eine nagelneue Skitourenausrüstung für 3000 Euro" im Laden zu erwerben. Sie finden neue, gute Rucksäcke zu 60 statt 300 Euro Neupreis, und Natascha Muth hat sehr bald auch schon traumhaft schöne Tourenski mit Fellen für 320 Euro erwischt und rechts und links an den neuen alten Rucksack geschnallt. Sie finden den Flohmarkt "mega-sympathisch", loben die erfahrenen, fairen Verkäufer, "die gute Stimmung und die ehrlichen Preise". Sie kamen erst am Samstag vom Klettern aus Berchtesgaden zurück und strahlen jetzt zufrieden nach ihren Einkäufen in die Münchner Sonne.

Jonas De Lorenzo sieht aber auch eine bedenkliche Entwicklung im Bergsport. Er findet es "echt wild, dass Leute ins Sportgeschäft gehen, sich eine Maximalausrüstung zusammenkaufen, einmal in die Berge gehen - und das dann wieder verkaufen." Das sei auch eine Entwicklung in der Folge von Social Media, wo auf allen möglichen Kanälen "das Extreme schmackhaft gemacht wird". Das führe real zu mehr Unglücksfällen in den Bergen, weil manche sich überschätzten, auch im Vertrauen auf die teure Maximalausrüstung. Das sei trügerisch: "Die Ausrüstung gleicht das eigene Leistungslevel nicht aus."

Diese Gefahr besteht für Tobias Pannemann aus Grafing nicht. Der junge Erwachsene schaut zufrieden auf seine gebrauchten weiß-grünen Carver, die er gerade für 80 Euro ergattert hat. "Neue Skier aus dem Laden, um dann vielleicht ein Mal Skifahren zu gehen, das kostet halt a bisserl zu viel", lacht er. Sabine Pannemann, seine Mama aus München, hat sogar welche für 65 Euro bekommen und gibt damit nun ihren Retro-Status auf: Ihre alten, nach eigener Aussage 40 Jahre alten Skier, werden jetzt doch mal ausgemustert. Sie traue der alten Bindung nicht mehr.

Die Pannemanns waren schon eine halbe Stunde vor Öffnung am Sonntagmorgen da und konnten gleich durchstürmen, als das Absperrband um 9 Uhr aufging. Sie waren beileibe nicht die Einzigen, der Alpinflohmarkt mit seinen 86 angemeldeten Verkaufsständen ist ein Renner für alle, die mit Schrecken die Preissteigerungen bei Material und Liftkarten beobachten, ihren Sport aber dennoch betreiben wollen. Dazu ein kurzer Blick auf die Preistafel im nur 200 Kilometer entfernten Sölden: Da zahlen Erwachsene an der "Liftkassa" je nach Vor-, Haupt- oder "Topsaison" 69,50 bis 74 Euro, Jugendliche 55,50 bis 59,50 Euro und Kinder 38 bis 41 Euro.

Verständlich, warum auch Daniela Kowitz aus München mit ihren schulpflichtigen Söhnen Theo und Hannes an diesem Sonntag früh aufgestanden ist. Sie werden an einem riesigen Händlerstand eines Skiverleihs aus Jenbach in Tirol fündig und ziehen mit einem Paar Skiern, zwei Paar Skischuhen und einem Sportrodel zufrieden nach Hause. "Wir fahren bei schönem Wetter gern von München aus in die Berge zum Skifahren - lohnt sich ja!" Was sie beim Equipment sparen, steht eben für Liftkarten zur Verfügung, klare Rechnung. Und wohl auch ein innerfamiliärer Erfolg für die Mutter, weil die Söhne dafür sogar mal früh aus den Federn kamen. Gut, die Winterzeit-Umstellung gestaltete das um eine Stunde milder.

Während die Verkäuferin des Jenbacher Skiverleihs ihren Bauchbeutel beständig mit neuen Fünfzig-Euro-Scheinen füttert, weil das Geschäft bei herrlichem Wetter offenbar ganz besonders gut läuft, ist auch Hannah Trowal am Stand des Alpenvereins glücklich. Sie ist Pressesprecherin der Sektion München-Oberland und hat den Alpinflohmarkt mit organisiert. Trowal berichtet, dass es noch weit mehr Verkäufer-Anfragen gegeben habe - dass sich also auch unter Anbietern der Erfolg dieser Gebrauchtbörse herumspricht.

Seit Anfang der 90er-Jahre bietet der Alpenverein (DAV) diesen Flohmarkt an. Wie das ganz zu Beginn war, weiß Margot Lapp sehr genau. Sie steht auch am DAV-Stand, sportlicher Typ mit ebensolcher Bräune, 76 Jahre jung, immer noch aktiv beim Radeln, Skifahren, Langlaufen, Klettern. Sie hat sich den Alpinflohmarkt damals ausgedacht und erstmals organisiert, "in der Augustiner-Halle in der Hirtenstraße". Das sei sofort ein Riesenerfolg gewesen.

Wenn sich Margot Lapp heute vor der Blumen-Großmarkthalle umsieht, ist sie glücklich, wie stark sich das weiterentwickelt hat. Nebenbei preist sie einen analogen Höhenmesser bei einem jungen Interessenten an, "150 Euro, von einem älteren Herrn, der ihn nicht mehr braucht". Sie ist seit 55 Jahren beim DAV, kommt jedes Jahr und hilft mit, und erfahrene Verkäuferin ist sie auch: "Die Leut' wollen einfach immer noch weiter runterhandeln, aber da bin ich dann hart; lieber nehm ich's wieder mit heim." Es gibt ja einen nächsten Alpinflohmarkt.

Wie sehr es den Bergfreunden um Nachhaltigkeit geht mit diesem Flohmarkt, belegt auch ein Stand, an dem Schneidermeisterin Barbara Heinze kostenlos Ausrüstung flickt, näht und ausbessert. Der Alpenverein hat sie für den Flohmarkt gebucht. Die Schlange an ihrem Stand wird immer länger, irgendwann muss sie einen Annahmestopp verfügen und die Menschen an ihren Sendlinger Laden in der Oberländerstraße 20 verweisen. Dort kostet es dann zwar, aber immerhin ist bei ihr alles in erfahrenen Händen.

Heinze hat für große Outdoor-Ausrüsterfirmen gearbeitet, auch designt, und sich inzwischen neben maßgefertigten Outdoor-Sachen auch auf den Erhalt jenes oft teuren Equipments spezialisiert. Theresa Möhrle von der Bergwacht München reicht ihr gerade ihr Merino-Wollshirt zum Ausbessern über den Tisch - sie hatte es mal bei einem DAV-Alpinflohmarkt gekauft. Kreislaufwirtschaft im besten Sinne. Und irgendwie das sympathische Gegenteil jenes hochtourigen Kommerzes, für den der Weltcup-Auftakt auf dem 200 Kilometer entfernten Gletscher steht.

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