Süddeutsche Zeitung

Umweltprojekt an der A 8:Göttinnen der Autobahn

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Veritas, Diagriene und Aella grasen neben der A 8 zwischen München und Augsburg. Die schottischen Hochlandrinder haben einen Auftrag: die Natur schützen.

Von Gerhard Fischer

Joe Engelhardt füttert die Göttinnen mit Brot. Veritas schnappt zu, auch Diagriene beißt rein, und man wundert sich, wie die Göttinnen überhaupt sehen können, wo sich Engelhardts Hand mit dem Brot befindet - die Augen von Veritas und Diagriene sind nämlich mit Haaren bedeckt. Es hat geregnet, und das Wasser hat die Mähne der schottischen Hochlandrinder nass und schwer über Augen und Nüstern gelegt. Es sieht aus, als hätten sie einen Vorhang vor dem Gesicht.

Joe Engelhardt, 54, und seine Rinder stehen neben der Autobahn A 8 zwischen München und Augsburg. Hinter ihnen rauschen Lastwagen vorbei, und das Wasser, das sich auf dem Asphalt gesammelt hat, spritzt in die Höhe. Die Hochlandrinder sind Naturschützer. Vögel, Insekten, Reptilien kommen wieder oder vermehren sich besser, weil die Rinder hier grasen. Selbst ihr Kot fördert die Artenvielfalt. "Ein Kilo Kuhfladen ergeben ungefähr zehn Gramm Regenwürmer und zehn Gramm Insekten", rechnet Engelhardt vor. Er sagt das so trocken wie sein Brot ist, das er den Göttinnen gibt.

Ein Beweidungsmodell muss her. Schafe oder Rinder?

Engelhardt, der einen Cowboyhut und eine Regenjacke trägt, hat den weiblichen Rindern Namen von Göttinnen gegeben: Veritas (lateinisch für "Wahrheit"), Diagriene (keltisch für "Träne der Sonne"), Aella ("Meisterin der Doppelaxt", eine Amazone). Bei den männlichen Rindern hat er schottische, irische oder gälische Namen gewählt, etwa Gilledun, Lennie oder Lion, aber auch deutsche wie Gustav. Da heißt einer Gustav V und ein anderer Gustav D. Gustav D? "Das bedeutet, dass er aus der D-Linie kommt." D-Linie? "Ja, nach der Mutter. Seine Mutter ist Deidre, also D. Deidre ist eine griechische Göttin." Joe Engelhardt kennt die Namen von allen 114 Rindern an der Autobahn A 8.

Das Teilstück zwischen München und Augsburg ist eine private Autobahn. Engelhardt sagt, dass die Betreiberfirma Autobahnplus verpflichtet worden sei, für die Grünstreifen neben der Autobahn "ein Beweidungsmodell zu realisieren". Also wurde ein sogenanntes Beweidungsprojekt ausgeschrieben. Normale Landwirtschaft kam nicht infrage. Zu intensiv. Außerdem gibt es an der Autobahn viele Kabel, etwa vom Verkehrsleitsystem. "Wenn da jemand mit schwerem Gerät drüberpflügt, gehen die kaputt", sagt Engelhardt.

Also Schäfer mit ihren Herden. Oder Joe Engelhardt als Exot mit seinen Rindern. Engelhardt bekam den Zuschlag, und 2011 begann er mit der Beweidung; dass schottische Hochlandrinder an einer Autobahn grasen, um die Natur zu schützen - das war in Deutschland damals einzigartig.

Wieder da: Stieglitze, Rebhühner, Grillen und Zauneidechsen

Seit 2011 hat sich an der A 8 viel getan. Zum Beispiel kehrten die Lerchen zurück. "Lerchen nisten im Feldrain", sagt Joe Engelhardt, "und diese Feldraine waren nicht mehr da, also waren die Lerchen nicht mehr da." Seit die Rinder hier weiden, gibt es wieder Feldraine. Und es gibt wieder Lerchen. So einfach kann das sein. Auch Stieglitze, Rebhühner, Grillen und Zauneidechsen sind zurückgekehrt oder haben sich wieder vermehrt. "Die ökologische Wertigkeit dieser Flächen wurde immens gesteigert", sagt Joe Engelhardt. Anfangs redet er öfter gestelzt. So sagt er auch: "Wir beweiden Ausgleichsflächen, um höchstmögliche ökologische Qualität zu gewinnen." Später wird er lockerer. Redet einfach, macht Witze.

Joe Engelhardt lebt in Gangkofen im Landkreis Rottal-Inn, aufgewachsen ist er in Ampfing. Ampfing? Fußball! TSV Ampfing. Bayernliga. Franz Schick. Das war doch der lange Torjäger, der von Ampfing zum TSV 1860 gewechselt ist. "Mit dem war ich in der Schule, und ich habe mit ihm in der Jugend Fußball gespielt", sagt Engelhardt, "ich war im Tor." Er blickt an sich herab. "Ich war damals viel leichter." Dick ist er nicht, höchstens kompakt. Er kokettiert ein wenig.

Schick wird Profi, Engelhardt hört mit dem Fußball auf und spielt Gitarre in der Red House Bluesband, die in ganz Deutschland auftritt. Er lernt Gärtner, macht den Meister und sich selbständig. Er hat eine Stauden- und Wasserpflanzen-Gärtnerei und ist einer der Pioniere für Pflanzen-Kläranlagen.

Immer vorne dran - und manchmal zu innovativ

Engelhardt ist immer vorne dran, wenn es um Ökologie geht, er legt Tümpel an, pflanzt 20 Kilometer Hecke und 10 000 Erlen an Bächen, streitet mit schwerfälligen Politikern, kämpft gegen Widerstände in Behörden, denen er zu innovativ ist. Natürlich war er immer suspekt, zumal auf dem Land, obwohl er einer von ihnen war, kein zugereister Intellektueller oder spinnerter Grüner. Aber es war eben lange nicht sexy, Kröten über die Straße zu helfen und Häuser zu dämmen. Und Erlen zu pflanzen.

Später studiert er Landespflege. "Damit die Leute glauben, dass ich auch kann, was ich da mache", sagt er. Nur Titel zählen. Das ist fast wie beim Fußball.

Engelhardt ist auch einer der ersten, die mit autochthonem Saatgut arbeiten, das heißt: mit Saatgut aus der Region. Seine Firma begrünt damit Ausgleichsflächen, etwa am Flughafen in Frankfurt oder in und um München. Das Heu, das dabei übrig bleibt, verfüttert er an schottische Hochlandrinder, weil diese es am besten verarbeiten können, ohne abzunehmen. Damit hat, vor 20 Jahren, die Sache mit den Hochlandrindern angefangen. Anfangs hat er drei.

Seine Firma wächst, er stellt 15 Mitarbeiter an. Dann bekommt er einen Burn-out. "2012 war es für mich erkennbar", sagt Engelhardt. Er sagt das offen, aber über die Umstände mag er nicht reden; er will jedenfalls nicht, dass es in der Zeitung steht. "Ich will keinen Ärger haben", sagt er. Es geht dabei um andere, die ihn unter Druck gesetzt haben. Und es geht um eine "wirtschaftliche Schräglage" seiner Firma.

Die Rinder gehören nicht mehr ihm - aber zu ihm

Er hat seine Selbständigkeit aufgegeben, alles verkauft, auch die Rinder, an die Öko-Firma Benugo in Oberhaching. Dort ist er seit 1. März angestellt. "Ich kann mich jetzt um die Tiere kümmern und muss mich nicht mehr ums Wirtschaftliche sorgen", sagt er. "So passt mir das total gut." Der Burn-out ist besser geworden, aber nicht ganz vorbei.

Heute haben sie 114 Rinder, Benugo und er. Sie gehören ihm nicht mehr, die Tiere, aber doch noch zu ihm. Er hat erst 114 gesagt. Dann zögert er. Überlegt. Sagt schließlich: "Nein, Moment, gestern haben wir noch eins gekriegt, also 115." Die Zahl stimmt dann auch nicht, er hat noch ein paar vergessen, etwa jene, die in Gablingen hinter Augsburg weiden und jene im Landkreis Mühldorf. "Bei der Stückzahl komme ich immer durcheinander", sagt er und lacht. Es sind wohl insgesamt gut 120 Hochlandrinder.

Grasen an der Autobahn - 365 Tage im Jahr

Als Fotos gemacht werden, drängen sich die Rinder an den Zaun, vor die Kamera. Man meint fast, sie würden posieren, Diagriene hält den Kopf etwas schief. Engelhardt nimmt die Vorlage gerne auf. "Was glauben Sie", sagt er, "was der Tierdompteur gekostet hat, den wir dafür aus Hollywood eingeflogen haben?"

Joe Engelhardt steht mit seinem Hut und seiner gelben Jacke mitten in der Herde und erzählt dann noch, dass seine Rinder nicht nur gut für die Tiere an der Autobahn seien, sondern auch für die Pflanzen: "Sie tragen den Samen herum." Die Rinder treten auf Samen, dieser bleibt kleben und fällt anderswo wieder ab.

Die Rinder sind an 365 Tagen im Jahr an der Autobahn, im Winter legen sie sich manchmal auf den Boden und lassen sich einschneien. Das Fell isoliert sie gegen Kälte. "Sie heißen nicht umsonst Robustrinder", sagt Joe Engelhardt. Aber diesen Namen hat nicht er ihnen gegeben.

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Quelle:
SZ vom 02.05.2015
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