Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Der Plan unter der Plane

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Wer Monate in Flüchtlingscamps verbracht hat, sieht sich nicht unbedingt vor einem Camping-Zelt sitzen und die nächste Bergtour planen. Über die ungeahnte Kraft des Ortswechsels.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Das Dasein in einem Flüchtlingscamp geht nicht gerade als Galavorstellung des Lebens in meine Biographie ein. Sieben Monate habe ich in einem Münchner Aufnahmelager gelebt, dankbar, klar. Aber ich habe in dieser Zeit die weniger farbigen Strähnen auf meinem Haupt zahlreicher werden sehen - oder wie wir in Syrien sagten: Die Haare arbeiteten in meinem Kopf.

Und dann hatte ich Glück, aus dem Camp ausziehen zu dürfen. Fast sieben Jahre sind vergangen, seit diesem Tag. Seinerzeit war es für mich wie eine Erlösung.

Es ist vielleicht nicht so einfach zu verstehen: Menschen, die vor Krieg flüchten, kommen an einem sicheren Platz an. Der Platz ist trocken und es gibt Nahrung. Man möchte meinen: Es ist geschafft. Aber es beginnt die nächste Reise. Manche Reisen bringen einen zurück - und trotzdem voran.

Nach zehn Monaten meines Aufenthalts in Deutschland und nachdem ich in einer ruhigen und komfortablen Wohnung gelebt habe, lud mich ein deutscher Freund zu einem Camp in Nürnberg ein, um fünf Tage zu genießen. Wieder ins Camp?

Ich hatte ihn offenbar nicht ganz korrekt verstanden und teilte ihm mit, dass ich wenig Verständnis dafür habe, warum er freiwillig die Souveränität über das Kochen, das Schlafen, das Verdrängen von Schmutz, Regen und Insekten aufgeben wolle. Er entgegnete, dass es sich nicht um das Phänomen eines Flüchtlings-Camps, sondern um einen Camping-Urlaub handeln sollte.

Bei all der Wortklauberei konnte ich damit wenig anfangen. Meine Laune explodierte nicht gerade. Man sollte wissen: In Syrien war Camping ein Ritual unter staatlicher Aufsicht. Für Schüler war Zelten zu meiner Zeit obligatorisch, um das Abiturzeugnis zu erhalten. Ziel des Camps war meinen Erlebnissen nach, der Jugend die Ideologie zu vermitteln, dass man den Führer Baschar al-Assad zu lieben hat, auch wenn sich das Gefühl in Grenzen hält. Jeden Morgen mussten wir ihn grüßen: "Mit unserer Seele und unserem Blut werden wir dich erlösen, Bashar."

Die Erlösungswünsche von einst machten mir die Camping-Ambitionen an neuer Wirkungsstätte nicht unbedingt leichter. Zumal es nicht auf einen Campingplatz gehen sollte, sondern auf einen Berg. Wir trugen die künftige Behausung auf dem Rücken. Oder wie in meinem Fall: den Schlafsack an einem Rucksackband, auf der Seite verknotet. Kurz aber nur, nachdem einer meinte: Depp. Dann montierte er mir den Schlafsack unter die Rucksackpatte.

Depp kann lieb gemeint sein. Aber auch unnett. Campen kann schön sein, wenn man es freiwillig betreibt und nicht Politiker "erlösen" soll.

Ich war vielleicht ein Depp und bin womöglich bis jetzt kein Dauercamper geworden. Aber: Ich campe. Ich folge dann einem ausgedehnten Ritual, das sich inzwischen wiederholt: Kontaktlinsen einsetzen, raus aus dem Schlafsack, anziehen, Morgentoilette (außerhalb des Zelts), Kaffee kochen, eine Tasse schlürfen, frühstücken. Danach den Schlafsack und die Isomatte einrollen, Zelt abbauen, Rucksack packen.

Perfektion ist bei alldem höchstens eine Idee. Ich plane jeden Abend, am nächsten Morgen auszuschlafen. Und stehe dann sehr früh auf, weil es unter der Plane sehr heiß wird. Man kann eben trotz Plan oder Plane nicht alles im Leben planen.

Typisch deutsch

Ihre Flucht hat drei Journalisten nach München geführt. In einer wöchentlichen Kolumne schreiben sie, welche Eigenarten der neuen Heimat sie mittlerweile übernommen haben.

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