Süddeutsche Zeitung

Wahlen in der Türkei:Generalkonsulat in München rechnet mit hoher Wahlbeteiligung

Lesezeit: 3 min

120 000 Deutsch-Türken aus halb Bayern können noch bis Dienstag im ehemaligen Kaufhof am Stachus ihr Kreuzchen machen für die Wahl von Präsident und Parlament in der Türkei. Einige von ihnen erzählen, warum ihnen das wichtig ist.

Von Andrea Schlaier

Die Gruppe junger Männer winkt ab, auch die Frau mit dem dunklen Kopftuch will nicht: Nicht alle haben Lust zu reden, als sie am Samstag Münchens derzeit bemerkenswertesten Glaskasten verlassen. Sie haben gerade im leer geräumten und umfunktionierten Kaufhof am Stachus ihre Stimme abgegeben für die Präsidentschafts- und Parlamentswahl in der Türkei am 14. Mai. Vor Papp-Kabinen mit aufgedruckter Nationalflagge zwischen zwei goldenen Waagschalen sitzen hier wie auf einer Kette gereiht zumeist fünf Vertreter unterschiedlicher Parteien - als Beobachter. Darauf verweisen Mitarbeiter des türkischen Generalkonsulats München bei einem Rundgang. Und auch die offen einsehbaren Schaufenster sollen signalisieren: Hier geht alles transparent zu.

120 000 Deutsch-Türken können im Herzen der Landeshauptstadt noch bis Dienstag wählen. Die Zahl nennt das türkische Generalkonsulat für seinen Zuständigkeitsbereich, der Oberbayern, Niederbayern und Schwaben umfasst. Diesmal rechne man mit einem größerem Andrang als in der Vergangenheit, als die Wahlbeteiligung bei nur 50 Prozent lag. Den Prognosen nach liefern sich Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan von der AKP und Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu von der Republikanischen Volkspartei CHP ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Erdoğan Güneş, 51, ist hin- und hergerissen. Er und seine Frau Melal, 44, haben eben ihr Kreuzchen gemacht. "Wir wollen nicht den Leuten, die in der Türkei leben, Salz in die Suppe streuen und ihnen sagen, wie sie leben sollen." Der Modellbauer und stolze Weltmeister im Computer-Schach spricht von Erdoğans Autobahnen: "Die kosten 15 Euro, für die Touristen geht das gut. Aber da unten kann sich das vom eigenen Verdienst keiner leisten." Andererseits wolle er zur Rente in die Türkei zurückkehren, "und dann soll das Umfeld auch gut sein".

Das Paar ist aus Waldkraiburg zum Wählen nach München gekommen. Wie überhaupt busladungsweise Deutsch-Türken aus halb Bayern und oft organisiert von Parteien vor dem Wahllokal abgesetzt werden. 20 Wahlurnen stehen für sie am Wochenende von 9 bis 21 Uhr parat. Und bei Bedarf auch ein improvisierter Gebetsraum.

Die Geschwister Teo, 27, und Selin, 25, sind Mitglieder einer alevitischen Gemeinde. Wohler ist ihnen, ohne Nachname in Erscheinung zu treten. Die Studentin bezeichnet es als falsch, in Deutschland zu leben und als EU-Bürgerin über "das Leid der Türken" zu entscheiden. "Ich mache es aber trotzdem, weil das Stimmen gegen Erdoğan sind." Ihr Bruder nennt den amtierenden Staatspräsidenten charismatisch. "Er weiß, wie er Menschen beeinflussen kann. Für mich ist er ein Diktator der Moderne." Wichtiger als der Ausgang der Wahlen sei ihm dennoch, "dass sie korrekt ablaufen".

Ähnlich sieht es auch Yusuf Bulut, 58, aus Wolnzach, Lehrer für Islamunterricht in deutscher Sprache an Mittel- und Grundschule: "Egal, wer gewinnt: Wichtig ist, dass es ohne Zwang und Streitigkeiten stattfindet." Dabei setzt er auf den Präsidentschaftskandidaten des rechtsnationalistischen Ata-Bündnisses: Sinan Ogan. Seine Begründung: "Er hat keine Chance, aber ich möchte zeigen, dass wir Alternativen haben."

Einen Steinwurf vom Wahllokal entfernt steht an der Ecke Prielmayerstraße/Karlsplatz Erhan Lale am kleinen Stand der türkischen Arbeiterpartei TIP. Links und rechts von ihm hat sich die große Konkurrenz aufgebaut, die AKP mit Flyern und hochragendem Erdoğan-Konterfei spiegelbildlich zum Oppositionsblock mit Kılıçdaroğlu-Banner auf der anderen Seite. Erhan, Informatiker aus Augsburg, erzählt von den Protesten am Istanbuler Gezi-Park 2013. Er sei beschossen worden, habe zwölf Zähne verloren - und sich entschieden, nach Deutschland auszuwandern. "Ich will erst in die Türkei zurück, wenn ich dort wieder ein menschliches Leben haben kann."

Was er mit seinem Mikro-Stand hier denn ausrichten könne? Lale zuckt mit den Schultern: "Es gibt Leute, die nicht wissen, wie die Stimmen ausgezählt werden, wenn sie aus dem Ausland kommen." Sie hätten Bedenken, dass kleinere Parteien nichts bewirken. Lale versucht, sie vom Gegenteil zu überzeugen.

Wie viele Münchner Türken zurzeit am Stachus ihre Stimmen abgeben dürfen? Schwer zu sagen. Das Generalkonsulat hat nach eigenen Angaben keine verfügbaren Zahlen. Das Statistische Amt der Stadt bietet diese: 46 258 volljährige Personen, die die türkische erste oder zweite Staatsangehörigkeit haben, sind mit Hauptwohnsitz an der Isar gemeldet.

Wird Cumali Naz, SPD-Stadtrat und in der Türkei aufgewachsen, nach einer Prognose zum Münchner Wahlausgang gefragt, tippt er auf Erdoğan, "weil die Milieus der Auslandstürken konservativ-religiös geprägt sind". Bei über 60 Prozent lag die AKP vor fünf Jahren in Deutschland. "Aber der Vorsprung wird kleiner." Und: "Spannend wird's, ob er es im ersten Wahlgang schafft." Wenn nicht, kündigt das Generalkonsulat die zweite Wahlrunde von 20. bis 24. Mai im Glaskasten am Stachus an.

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