Süddeutsche Zeitung

TSV München Ost:Platz ja, Training nein

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Die neue Halle des TSV München Ost ist fertig. Bisher hat Corona jede Nutzung verhindert

Von Patrik Stäbler, Haidhausen

Die "deprimierende Situation", so nennt es Uli Hesse, wird dem Besucher im Schwitzkastl eindrücklich vor Augen geführt - oder genauer gesagt: vor die Nase. Denn im Fitnessraum des TSV München Ost, wo eigentlich der Geruch von Schweiß, verbrauchter Luft und Sportklamotten in der Luft hängen sollte, riecht es nach Farbe, Kleber und chemischer Sauberkeit. Kein Wunder, schließlich ist in dem 250 Quadratmeter großen Schwitzkastl mit seiner Glasfassade hin zur Auerfeldstraße noch kein einziger Schweißtropfen vergossen worden, weil kein einziges TSV-Mitglied dort bislang Hanteln gestemmt und Gewichte gedrückt hat. Ebenso unberührt ist auch die frisch sanierte Zweifachturnhalle unterhalb des Schwitzkastls und die darauf neu erbaute Dreifachturnhalle im ersten Stock. "Das ist alles wunderschön geworden", sagt Hesse, der den Besucher in den menschenleeren Fitnessraum geführt hat. "Aber leider können wir es nicht nutzen."

Diesen letzten Satz sagt der sonst so fröhliche 75-Jährige im Tonfall eines Trauerredners. Der frühere Gymnasiallehrer, den der Sport und der Umgang mit Jugendlichen sichtbar jung gehalten haben, ist Vorsitzender des TSV München Ost - mit circa 3000 Mitgliedern einer der größten Breitensportvereine der Stadt. Die neue Halle auf dem Klubgelände an der Sieboldstraße in Haidhausen ist für Hesse eine Herzensangelegenheit. Seit drei Jahren sei er täglich vor Ort, um als Projektleiter auf der Baustelle nach dem Rechten zu sehen, sagt er. "Das ist ein Fulltime-Job, 40 Stunden die Woche reichen da nicht. Wir hätten die Projektleitung auch extern vergeben können, aber das hätte uns 250 000 Euro gekostet - und am Ende hätten trotzdem wir entscheiden müssen."

Rückblick, Dezember 2016 - eine Zeit, in der Mundschutzträger in der U-Bahn noch schief angeguckt wurden. Damals stimmte eine überwältigende Mehrheit bei der TSV-Delegiertenversammlung für den Ausbau der vereinseigenen Sportanlage. Die 1954 erbaute Zweifachhalle sollte saniert und um eine neue Dreifachhalle aufgestockt werden. Das Ziel: die Vergrößerung der Sportflächen von 1500 auf 3200 Quadratmeter. Schließlich seien die Hallenkapazitäten schon damals unzureichend gewesen, erzählt Hesse. "In allen Abteilungen gab's Wartelisten." Zudem ging der Klub von einem Mitgliederanstieg aus, waren rundum doch Großprojekte mit Tausenden Wohnungen entstanden oder geplant. Zwölf Millionen Euro sollten Um- und Neubau kosten. Etwa die Hälfte gab's als Zuschuss von Stadt und Land, den Rest musste der Verein aufbringen. Dafür nahm der TSV Darlehen auf und beschloss eine zweckgebundene Beitragserhöhung um 50 Prozent, die bis heute gilt.

Im Februar 2019 ging's dann los mit den Bauarbeiten. Zwei Jahre später sei man wie geplant fertig geworden, sagt Hesse nicht ohne Stolz. Mit Baukosten von 12,8 Millionen Euro liege man bloß 7,8 Prozent über dem Budgetansatz - "für öffentliche Bauten ist das ein fast sensationelles Ergebnis", so der Vorsitzende. Er steht mittlerweile draußen auf dem Sportplatz, wo noch die Außenanlagen hergerichtet werden. Was er beim Anblick der neuen Halle empfinde? Vor allem Freude und ein bisschen Stolz, sagt Uli Hesse. "Es ist genau so geworden, wie wir uns das vorgestellt hatten." Doch dann verdüstert sich sein Gesicht. Denn noch stärker, sagt er, sei das "deprimierende Gefühl", da bisher noch kein einziger TSVler in der neuen Halle habe sporteln können. Grund hierfür ist ein Virus namens Sars-CoV-2, das allen Vereinen landauf, landab seit inzwischen 14 Monaten so arg zusetzt - auch wenn von diesem Mittwoch an wegen der sinkenden Inzidenzzahlen kontaktfreier Sport im Innenbereich und Kontaktsport im Freien wieder erlaubt ist, vorausgesetzt alle Beteiligten sind negativ getestet.

Bis 2019 hatte der Klub stets um die 4000 Mitglieder, sagt Hesse. Ein Jahr Bauzeit und ein Jahr Pandemie später sind es nur noch 3000. Dabei seien es gar nicht die Austritte, die seinem TSV zu schaffen machten, sagt Hesse. "Ich hatte in all der Zeit vielleicht vier Anfragen wegen einer Sonderkündigung." Was dem Verein stattdessen zusetzt, ist das Fehlen von Neueintritten, besonders im Kinder- und Jugendbereich. Der Mitgliederschwund von 22 Prozent sei natürlich auch ein "wirtschaftlicher Faktor", sagt Hesse. Allein bei den Beiträgen liege der jährliche Verlust bei 250 000 Euro - und das bei einem Gesamthaushalt von 1,3 Millionen Euro. Aktuell sei der Verein zwar in der komfortablen Lage, dass er infolge des Bauprojekts viele Darlehen aufgenommen habe und die Liquidität daher nie gefährdet war. "Aber auf Dauer geht das nicht gut", betont Hesse. "Wenn sich die Pandemie noch länger zieht, dann wird das für viele Sportvereine existenzbedrohend."

Und das Geld sei ja nur das eine, sagt Uli Hesse. Mindestens ebenso treiben ihn die gesellschaftlichen Folgen der Pandemie um. "Ich befürchte, dass viele Mitglieder nicht mehr in die Sportvereine zurückkehren werden. Dabei brauchen vor allem Kinder und Jugendlichen die Bewegung und den Sport, damit sie nicht nur vor dem Bildschirm sitzen." Immerhin das ist nach Aufhebung der Beschränkungen jetzt langsam wieder möglich. Auch in der neuen Turnhalle, wo es so viel Platz und Möglichkeiten für Sport und Bewegung gibt. Und ein Schwitzkastl, das im Zuge des Umbaus vom Keller ins Zwischengeschoss gezogen ist. Bald könnten dort die ersten Sportlerinnen und Sportler ihre ersten Schweißtropfen vergießen.

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SZ vom 12.05.2021
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