Süddeutsche Zeitung

Tierdetektivin Eveline Kosenbach:Wenn Kater Egon S-Bahn fährt

Lesezeit: 3 min

Knapp 4000 Hunde und Katzen verschwinden jährlich im Großraum München. Eveline Kosenbach leitet die Vermisstenstelle im Tierheim und löst mehr als 90 Prozent der Fälle - mit viel Spürsinn, manchmal auch mit hartnäckiger Detektivarbeit.

Von Michael Bremmer

Die Arbeit von Eveline Kosenbach beginnt meist mit Tränen und Verzweiflung. Eveline Kosenbach leitet die Vermisstenstelle im Münchner Tierheim. An die 4000 Hunde und Katzen verschwinden jährlich im Großraum München. Wird ein Tier als vermisst gemeldet, landet die Anfrage auf ihrem Schreibtisch - und das gesuchte Tier schon bald wieder bei der Familie. Die Erfolgsquote von Kosenbach ist außergewöhnlich hoch: Mehr als 90 Prozent der Fälle löst sie mit ihrem Spürsinn und hartnäckiger Detektivarbeit. Ihre spannendsten und lustigsten Erlebnisse hat sie nun in einem Buch aufgeschrieben ("Liebling verzweifelt gesucht", dtv).

"Den Tieren gehört mein Herz", sagt sie, "und ich versuche stets, mich mit meiner ganzen Kraft für sie einzusetzen." Dass dieser Satz nicht einfach dahingesagt ist, sieht man in ihrer Wohnung auf den ersten Blick. Im Wohnzimmer liegen auf allen Sesseln und auf dem Sofa flauschige Decken, auch der Teppich ist kuschelig weich, damit sich Shadow, 7, ein Chow-Chow-Mix, und Danka, 3, ein Neufundländer, wohlfühlen.

Jeden Morgen um 5 Uhr klingelt ihr Wecker, dann werden die beiden Hunde von Eveline Kosenbach und ihrem Lebensgefährten Gassi geführt, um 7 Uhr ist sie spätestens in ihrem Büro im Tierheim. Und dort wartet jeden Tag jede Menge Arbeit auf sie. 4000 vermisst gemeldete Hunden und Katzen im Jahr bedeutet im Schnitt elf Tiere täglich, etwa 40 Anrufe und zahllose E-Mails gehen bei ihr ein. "Eigentlich müsste ich 24 Stunden am Tag arbeiten", sagt sie.

Gerade der Montag sei am schlimmsten, 20 Anrufe und an die 30 Mails müssen dann zusätzlich abgearbeitet werden - und dafür hat sie fast schon kriminalistische Methoden entwickelt. "Ich frage die Menschen, die ihr Haustier als vermisst melden, ununterbrochen aus", sagt sie.

Kater Egon fährt mit der S-Bahn nach Unterhaching

Für jede Vermisstenmeldung werden die wichtigsten Punkte wie Rasse, Alter und Aussehen abgefragt und die Tiere in dem dazu passenden Ordner abgeheftet. "Ich habe alles im Kopf, was da ist - auch aus den vergangenen Jahren", sagt sie. Wird dann ein herrenloses Tier gefunden, kann es Eveline Kosenbach aus dem Stegreif zuordnen.

Das ist dann Kommissar Zufall, oft sind ihre Fälle kniffliger. Häufig muss sie Fotos der vermissten Hunde und Katzen an Medien weitergeben, ehrenamtliche Helfer um Mithilfe bitten oder ihr Glück im Internet versuchen - gerade in den vergangenen Jahren hat sich ihre Erfolgsquote dank Facebook und Twitter verbessert. Aber das ist nur die eine Seite der Arbeit, die andere: kriminalistischer Spürsinn.

Zum Beispiel bei Kater Egon. Der graue British-Shorthair-Kater lief vor einiger Zeit morgens während des Berufsverkehrs am Münchner Hauptbahnhof am Bahnsteig der S-Bahn entlang. Als die S-Bahn nach Unterhaching einfuhr, stieg Egon ein. Er folgte einer Frau bis zu ihrem Sitzplatz, setzte sich vor ihr hin und starrte sie an. In Unterhaching stieg die Frau aus, nahm den Kater mit in die Arbeit und rief bei Eveline Kosenbach im Tierheim an.

Deren erster Gedanke: ein Kater aus der Münchner Innenstadt. Ein Blick auf die Tätowierung erstaunte allerdings die Tierfahnderin. Die Nummer, oftmals nicht mehr einfach zu lesen, ist aufgebaut wie ein Autokennzeichen. Der Ort, an dem der behandelnde Tierarzt beheimatet ist, lässt sich dadurch ablesen - und das war im Fall Egon Unterhaching. Der British-Shorthair-Kater ist demnach von Unterhaching nach München gefahren, später wieder zurück - und konnte schon nach einigen Telefonaten zu seiner Familie zurück gebracht werden.

Oft sind die Katzen nicht so weit von ihrer Wohnung entfernt. "80 Prozent der vermissten Katzen sind aus Versehen in einem Raum eingesperrt", sagt Kosenbach. Wird eine Katze als vermisst gemeldet, spendet sie daher erst einmal Trost, macht Mut. Sie weiß, was Menschen in so einer Situation durchmachen, "die Leute hängen ja auch an dem Tier", aber "auch ein Tier leidet, sehnt sich nach dem Zuhause". Nahezu jeden Tag schaut sie im Tierheim zu den Fundtieren. "Ich bin schuld, wenn sie nicht nach Hause kommen", denkt sie. Das treibt sie an.

Zehn Jahre vom Herrchen getrennt

Seit 18 Jahren arbeitet sie in der Vermisstenstelle, hat sie damals aufgebaut- es ist die einzige in ganz Deutschland, vermutlich sogar der ganzen Welt. Zuvor war sie im Arbeitsamt beschäftigt, auch hier hatte sie mit Vermittlung zu tun, "aber der Job hat mich nicht ausgefüllt", sagt sie. Hier im Tierheim ist es nun ganz anders: "Wenn ich heimgehe, weiß ich, was ich getan habe. Das ist schön."

Natürlich gehen nicht alle Geschichten gut aus. "Ich habe gelernt abzuschalten", sagt sie, auch, sich nicht alles zu sehr zu Herzen zu nehmen. Auf der anderen Seite gibt es auch die Erfolgsgeschichten, die Momente, die Kraft geben.

Der 19 Jahre alte getigerte Kater etwa. Zäh und zerzaust wirkt er. Hören kann er noch, mit dem Sehen ist es schwer, aber soweit ein 19 Jahre alter Kater gesund sein kann, ist er es. Die Tätowierung ist kaum lesbar, aber Eveline Kosenbach hat etliche Haustierregister durchgearbeitet, Tierärzte angerufen und dadurch sein Zuhause wieder gefunden: zehn Jahre war das Tier von seinem Herrchen getrennt. Eveline Kosenbachs Mission ist abgeschlossen - und sie endet, wie sie begonnen hat: mit Tränen. In diesem Fall aus Freude.

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Quelle:
SZ vom 25.10.2013
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