Süddeutsche Zeitung

Täter in Psychiatrie eingewiesen:Schütze in Amerika polizeibekannt

Lesezeit: 3 min

US-Medien berichten von Verfahren gegen mutmaßlichen Täter von Unterföhring. Die Polizistin liegt weiter im Koma

Von Thomas Schmidt

Die 26-jährige Polizeikommissarin, die am Dienstagmorgen am Bahnhof in Unterföhring niedergeschossen wurde, schwebt weiter in Lebensgefahr. Nach Angaben der Polizei vom Donnerstag liegt sie derzeit im Koma, ihr Zustand ist nach wie vor kritisch. Die Eltern der in Sachsen geborenen Frau wurden schon bald nach dem Schusswechsel per Hubschrauber nach München geflogen, um bei ihrer Tochter sein zu können. Ein Schuss aus einer Dienstwaffe hatte die 26-Jährige am Kopf getroffen. Während die Ärzte um ihr Überleben kämpfen, werden neue Details über den mutmaßlichen Täter bekannt.

Wie Münchens Polizeipräsident Hubertus Andrä berichtet, wurde der Verdächtige zwar in Bayern geboren, lebte zuletzt aber bei seinem Vater in den USA und befand sich zum Zeitpunkt der Tat auf einer Reise durch Europa. Laut Berichten amerikanischer Medien stammt der 37-Jährige aus Fort Collins, einer Stadt in Colorado, wo seine Eltern einen Grill-Stand mit bayerischen Essen betreiben. Die Nachrichten-Seite Denver7 berichtet weiter, dass das Ehepaar drei Söhne habe und 1981 in die Vereinigten Staaten immigrierte.

Der 37-Jährige soll vor Kurzem in einen Sorgerechtsstreit verwickelt gewesen sein. Zudem bekam er es laut Denver7 bereits mehrfach mit der Justiz zu tun - wegen Alkoholmissbrauchs, Diebstahls und Körperverletzung. Auch in Deutschland beschäftigte sich die Staatsanwaltschaft schon mit ihm, nachdem er 2014 mit einer geringen Menge Cannabis erwischt worden war. Das Verfahren wurde jedoch wegen Geringfügigkeit eingestellt. Nun wurde der Tatverdächtige in die geschlossene Psychiatrie in Haar eingewiesen.

Am Abend vor der Tat landete der 37-Jährige laut Polizeipräsident Andrä mit einer Maschine aus Athen am Münchner Flughafen und verbrachte dort die Nacht. Am Dienstagmorgen stieg er um 8.03 Uhr mit einem Rucksack als Gepäck in eine S-Bahn in Richtung Innenstadt. Drei Stationen später, am Bahnhof Ismaning, stieg ein weiterer Mann hinzu und setzte sich laut Andrä mehrere Meter entfernt auf einen freien Platz. Er holte sein Smartphone aus der Tasche und las friedlich seine E-Mails, als der 37-Jährige "völlig unvermittelt" auf ihn zutrat und ihm mehrfach die Faust ins Gesicht schlug. Laut Zeugenaussagen gab es zuvor keinerlei Provokation, die die Schläge erklären könnte. Stattdessen berichten Zeugen von einem "psychisch auffälligen Verhalten" des Täters. So soll er beispielsweise vor dem Angriff Selbstgespräche auf Englisch geführt haben.

Mehrere Fahrgäste kamen dem im Gesicht blutenden Opfer zu Hilfe und zogen den Mann von seinem Angreifer weg. Als die Bahn in Unterföhring planmäßig hielt, stiegen alle Beteiligten aus. Auch der Täter verließ den Zug freiwillig. Inzwischen war dort eine Streife der Polizeiinspektion Ismaning eingetroffen, weil Fahrgäste in der S-Bahn einen Notruf abgesetzt hatten. Die 26-jährige Polizistin und ihr 30-jähriger Streifenpartner kontrollierten den Täter am Bahnsteig. Minutenlang, so berichtet es der Polizeipräsident, sei die Situation "völlig harmlos" gewesen. Dann, ebenso unvermittelt wie zuvor, griff der 37-Jährige die beiden Beamten massiv an. In diesem Moment hielt der 30-jährige Polizist lediglich einen Stift und einen Notizblock in den Händen.

Es folgte ein "heftiger Kampf", wie Andrä schildert, bei dem es dem Täter irgendwie gelang, dem Beamten die Dienstwaffe zu entreißen. Sofort feuerte der 37-Jährige das achtschüssige Magazin leer und traf die Polizistin am Kopf. Auch zwei Unbeteiligte wurden von Kugeln am Arm und am Bein getroffen. Die Polizistin erwiderte das Feuer, drückte zweimal ab. Ein Projektil verletzte den Täter am Gesäß. Er flüchtete, wurde aber kurz darauf von einer Streife der Bundespolizei festgenommen.

Bislang ist die Polizei davon ausgegangen, dass der Täter die Waffe aus dem Holster des Beamten gezogen hat. Ob das wirklich stimmt, ist aber noch Gegenstand der Ermittlungen. Auf den Videos vom Bahnsteig ist laut Andrä nicht eindeutig zu erkennen, ob der Täter die Pistole aus dem Holster oder womöglich doch aus der Hand des Polizisten gerissen hat, der die Waffe im Eifer des Gefechts gezogen haben könnte. Auch die exakte Reihenfolge der Schüsse muss noch rekonstruiert werden. Dafür setzt die Spurensicherung unter anderem eine 3-D-Kamera des Landeskriminalamts ein.

Gegen den mutmaßlichen Täter wurde inzwischen ein Unterbringungsbefehl in der Psychiatrie erlassen. Die Staatsanwaltschaft legt ihm versuchten Mord zur Last. Laut Andrä äußert sich der 37-Jährige bislang nicht zu der Tat. Ein Gutachten soll klären, ob er psychisch krank ist. Ob er in den USA gelernt hat, mit Waffen umzugehen, sei ebenfalls Gegenstand der Ermittlungen. Eine telefonische Befragung des Vaters habe "weitere Ermittlungsansätze" ergeben, die Andrä aber nicht verraten will, um Zeugen nicht zu beeinflussen.

Die Kollegen der Polizistin würden nun durch den Zentralen Psychologischen Dienst der bayerischen Polizei sowie durch Polizeigeistliche betreut, erklärt Andrä. Dienstagnacht hätten Streifen aus anderen Inspektionen in Ismaning ausgeholfen. "Die Inspektion bekommt jegliche Unterstützung, die sie benötigt", sagt der Polizeipräsident.

Der Tag der offenen Tür des Münchner Präsidiums, der eigentlich am Samstag stattfinden sollte, wurde abgesagt.

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Quelle:
SZ vom 16.06.2017
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