Süddeutsche Zeitung

SZ Gute Werke:"Die Menschen nicht aus dem Blick verlieren"

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Das Spendenhilfswerk der Süddeutschen Zeitung feiert sein 75-jähriges Bestehen mit einer Matinée in den Münchner Kammerspielen. Über einen Vormittag der Freude, des Danks und der Zuversicht.

Von Karin Kampwerth

"Wir halten die Deutschen im Allgemeinen für ein ruhiges, phlegmatisches Volk, aber das ist weit gefehlt. Sie sind warmherzig, heißblütig und folgen der Eingebung des Augenblicks." Diese Erkenntnis stammt von Mark Twain und man könnte meinen, sie habe ihn 1878 auf seiner Deutschlandreise in München ereilt. Denn München ist nicht nur eine soziale Stadt im Sinne der politischen Gesetzgebung, sie ist vor allem auch "eine solidarische Stadt", sagte Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) am Sonntagvormittag in den Münchner Kammerspielen.

Dort feierte das Spendenhilfswerk der Süddeutschen Zeitung sein 75-jähriges Bestehen und machte sich zum Geburtstag selbst ein Geschenk: Der "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung", wie das Hilfswerk vollständig bis zu diesem Wochenende hieß, gibt sich einen neuen Namen. Er lautet künftig "SZ Gute Werke". "Wir wollen ganzjährig sichtbar sein und auch neue Zielgruppen erschließen", begründete die geschäftsführende Vorständin Sandra Geisler diesen Schritt, der sorgsam in vielen Runden abgewogen worden sei.

Nichts ändern werde sich jedoch an der Arbeit, die Not in einer augenscheinlich reichen Stadt wie München sichtbar zu machen und dabei zu helfen, diese zu lindern. Dafür, auch dieses Versprechen bleibt, wird jeder gespendete Euro eins zu eins ohne Abzüge den Bedürftigen zugutekommen. Sämtliche Verwaltungskosten trägt der Süddeutsche Verlag, so auch die Kosten für die Feier des Jubiläums.

So klang auch der Geburtstagswunsch, den Dietl in Vertretung des erkrankten Oberbürgermeisters Dieter Reiter im Namen der Stadt überbrachte, voller Zuversicht: "Mögen Sie für das, was seit 75 Jahren bewegt wurde, weiterhin genügend Geld zur Verfügung haben, die Menschen nicht aus dem Blick verlieren und mit Ihrer journalistischen Kompetenz die Not deutlich machen."

Der Einladung zum "schönsten Geburtstag, den man sich vorstellen kann", wie Karl Ulrich, einer von zwei Geschäftsführern des Süddeutschen Verlages und Vorsitzender des Hilfswerks, sagte, waren mehr als 300 Menschen gefolgt. Darunter zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter von karitativen Organisationen und sozialen Institutionen in München und den Landkreisen drumherum, mit denen SZ Gute Werke zusammenarbeitet. Aber auch viele, die dafür sorgen, dass das Hilfswerk seine Arbeit leisten kann, die Spenderinnen und Spender.

"Insgesamt wurden in den vergangenen 75 Jahren mehr als 200 Millionen Euro für gute Werke ausgegeben", sagte René Hofmann, Leiter des Ressorts München, Region und Bayern, der mit Britta Schönhütl, Ressortleiterin Social Media, durch die Veranstaltung führte. Die Matinée sei Gelegenheit, "wirklich einmal Danke zu sagen". An alle Dauerspender und Firmenspender, an alle Gewohnheitsspender und Gelegenheitsspender und an diejenigen, die ihr Erbe dem Hilfswerk überlassen hätten.

Auch prominente Unterstützer fanden sich auf der Gästeliste, darunter der Herzchirurg Bruno Reichart, die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes Simone Fleischmann, Nadja zu Sayn-Wittgenstein vom internationalen Charity-Verbund Oxfam. Und Rufus Beck, welcher Moderator Hofmann zufolge ein Beispiel für das stabile Netz aus Unterstützerinnen und Unterstützern sei, das das Hilfswerk über die Jahre aufgebaut habe. Beck, bekannt als Erzähler beim SZ-Familienkonzert, unterhielt die Matinée-Gäste gewohnt formidabel mit seiner Lesung von "Das große französische Duell" aus Mark Twains Werk "Bummel durch Europa".

Ebenfalls blendend unterhalten wurde das Publikum auch von Daniela Jung, Marije Grevink, Christiane Hörr-Kalmer und Jan Mischlich vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, welches seit 2009 Benefizkonzerte zugunsten des Hilfswerks ausrichten. "Eine gute Tradition", sagte Hofmann, die einst von Dirigent Mariss Jansons und dem damaligen Lokalchef Christian Krügel begründet wurde und nun vom jetzigen Chef-Dirigenten Simon Rattle fortgeführt werde. Musikalisch rahmte zudem der Schulchor "Musik für Schüler", ein Projekt der Internationalen Stiftung zur Förderung von Kultur und Zivilisation, die Veranstaltung. Und auch die Klinikclowns mit ihrer humorvollen Interpretation von "Gute Freunde kann niemand trennen", einst 1966 von Franz Beckenbauer eingesungen, nachdem die deutsche Mannschaft Vize-Weltmeister geworden war.

Die Geschichte von SZ Gute Werke indes liegt noch viel weiter zurück. So nahmen Britta Schönhütl und René Hofmann das Publikum gleich zu Beginn der Matinée mit auf eine Zeitreise ins Nachkrieg-München 1948. Die Not sei damals noch an vielen Orten in der Stadt sichtbar gewesen, während zugleich bereits am Stachus genussvoll Torten verspeist wurden. Gleichwohl suchten Zehntausende Geflüchtete Schutz und eine neue Heimat, die Arbeitslosigkeit war hoch.

Werner Friedmann, seinerzeit Lokalchef der Süddeutschen Zeitung und einer der Lizenznehmer und Eigentümer der Zeitung, brachte aus den USA eine Idee der New York Times mit nach München. Die hieß "Neediest Cases" und lief so: Die Zeitung berichtete über New Yorker in Not, denen die Leser dann unmittelbar halfen. "Das probierte Friedmann mit seiner Lokalredaktion in der Vorweihnachtszeit in München auch aus - und siehe da, die Hilfsbereitschaft der Leserinnen und Leser war überwältigend", berichtete Hofmann. Kurz vor Weihnachten machten sich prominente Münchnerinnen und Münchner auf und überbrachten die gespendeten Gaben. Von dieser "Christkindlfahrt zu den Vergessenen" wurde in der Weihnachtsausgabe berichtet.

Friedmann hat damals einen Kommentar geschrieben, in dem es hieß: "Nie war die Not so himmelschreiend wie heute. Nie war die Unkenntnis der vom Schicksal Begünstigten über das Elend der Enterbten größer als in diesen Tagen, weil man es einfach aus Gründen der Bequemlichkeit gar nicht wissen will, was sich in den Quartieren der Armut abspielt." Friedmanns Ziel sei gewesen, die Bedürfnisse sichtbar zu machen und aus vielen kleinen Steinen ein Mosaik der guten Taten zusammenzusetzen.

Dass das gelungen sei, unterstrichen auch Dörthe Friess vom Lichtblick Hasenbergl und Aicha A., die sagt: "Der Lichtblick war meine zweite Heimat." Die junge Frau berichtete darüber, wie sehr sie durch die Armut ihrer Familie als Kind belastet gewesen sei, wie sie darunter gelitten habe, dass ihre Eltern ständig im Krisenmodus gewesen seien, die Familie über Wasser zu halten. Sie erzählte von der Enge der acht Familienmitglieder in der Dreizimmerwohnung, von der Sorge, dass Mitschüler ihre Armut entdecken könnten. Dank der Spenden von SZ-Leserinnen und -Leser für die Lichtblicke gehört Aicha A., heute ausgebildete Versicherungsfachfrau und Bankkauffrau, zu diesem so angewachsenen Mosaik, das sich Werner Friedmann gewünscht hätte. So würde Mark Twain also auch heute zu Recht über die Münchner sagen, dass sie warmherzig seien und der Eingebung des Augenblicks folgten. Wie gut, dass er bereits den Winter 1878/79 in München verbrachte. Er hätte sonst Großes versäumt.

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