Süddeutsche Zeitung

Emerson schließt Standort mit 360 Mitarbeitern:"Wir waren eine große Familie"

Lesezeit: 2 min

Die Firma Emerson ist wie mit Weßling verwachsen, ganze Familien arbeiten dort, sogar der Bürgermeister jobbte als Student im Betrieb. Nun will der US-Konzern den Standort mit 360 Angestellten aufgeben - und Karin Endesfelder-Angerbauer steht nach vier Jahrzehnten vor dem Nichts.

Von Patrizia Steipe, Weßling

Viele Tränen seien in den vergangenen Wochen unter den 360 Mitarbeitern der Weßlinger Firma Emerson geflossen. "Wir waren eine große Familie", seufzt Karin Endesfelder-Angerbauer. Doch jetzt droht das Aus. Die Firma will den Standort aufgeben. Der Betriebsrat versucht noch mit Unterstützung der Ingenieure und Fachkräfte und der IG Metall ein gutes Konzept zu entwickeln, um einen Teil des Unternehmens zu retten, und im Juni gab es eine Demonstration gegen die Schließung vor dem Firmensitz - aber, egal wie alles ausgeht, "unsere Firma wird das nicht mehr sein", bedauert die Betriebsrätin.

Auf der Betriebsversammlung im Juli wurde die Schließung für 2023 bestätigt. Dann wird Endesfelder etwa vier Jahrzehnte ihres Lebens in der Firma, die anfangs noch Rosemount geheißen hatte, verbracht haben. Nicht nur sie. Viele Weßlinger Familien haben und hatten hier eine Arbeitsstelle gefunden. "Der Name hat Gewicht", erklärt die Weßlingerin. Auch Bürgermeister Michael Sturm hat dort als Werkstudent gejobbt.

Karin Endesfelder ist 1983 zu Rosemount gekommen. Sie hatte im Betrieb mit Montagearbeiten für Transmitter begonnen, die in der Industrie zur Durchflussmessung benötigt wurden. Ihre Schwester hatte ein Jahr zuvor angefangen und vom tollen Arbeitsklima geschwärmt. Auch Bruder Markus, Betriebsratsvorsitzender, ist seit etwa 30 Jahren dabei. Doch die Stimmung ist mittlerweile auf dem Tiefpunkt angelangt. "Jedem Mitarbeiter geht es schlecht. Wir haben Angst", hatte er bei der Demonstration erklärt. Auch der Bürgermeister, Landrat Stefan Frey (CSU) und Wirtschaftsförderer Christoph Winkelkötter protestierten mit ungewöhnlich scharfen Worten.

Die Wurzeln hat das Unternehmen in den USA. 1956 wurde Rosemount in Minneapolis gegründet. Um die Absatzwege zu verkürzen, wurden Niederlassungen in Europa gegründet. Darunter die in Weßling. 1976 erwarb das US-Unternehmen Emerson Electric Rosemount.

Anfangs hatte die kleine Firma ihren Sitz mitten in Weßling. "Es war total familiär", erinnert sich Endesfelder-Angerbauer. Die junge Frau arbeitete sich hoch und begann nach einer Umschulung 1990 im Labor. In diesem Jahr zog das expandierende Unternehmen ins Gewerbegebiet Argelsrieder Feld. 1992 verschmolz der Betrieb mit Fisher Controls zu Fisher-Rosemount. 2001 wurde der Name in Emerson Process Management geändert, um die Zugehörigkeit zum Mutterkonzern zu demonstrieren. Dieser beschäftigt sich mit mehr als 20 integrierten Firmen weltweit mit Dienstleistungen und Produkten, um verfahrenstechnische Anlagen zu optimieren.

Mit dem Wachstum der Firma sei die Stimmung anonymer und der Druck größer geworden. "Amerikanisch" nennt es Endesfelder-Angerbauer. Der Profit und die Aktionäre des börsennotierten US-Konzerns rückten ihrer Ansicht nach mehr in den Vordergrund. Sie vermisste Unterstützung nach einer längeren Erkrankung und immer war da dieses Gefühl, "es wird etwas passieren".

Anfang des Jahres kam dann der große Knall. Aus Kostengründen wird die Fertigung nach Rumänien ausgelagert, und der Standort soll geschlossen werden. Dabei hatte die Gemeinde 2016 sogar den Bebauungsplan geändert, damit Emerson im Gewerbegebiet erweitern hätte können. "Die Veränderungen wollen wir möglichst sozialverträglich gestalten. Vorgesehen ist die Bildung einer Transfergesellschaft sowie ein Freiwilligenprogramm, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestmöglich zu unterstützen und viel Flexibilität zu geben", erklärt ein Sprecher des Unternehmens. Eine Transfergesellschaft biete Möglichkeiten zur Qualifizierung und damit neue berufliche Perspektiven für die Mitarbeiter in Weßling. Vielleicht gibt es dann auch eine Chance für die jungen Männer aus dem Asyl-Containerdorf. "Die hatten sich so toll integriert", so Endesfelder-Angerbauer. "Es ist uns bewusst, dass dies eine schwierige Zeit für die Betroffenen ist. Wir schätzen die Leistung und den Einsatzwillen, den alle Mitarbeiter über die Jahre für unsere Kunden gezeigt haben", sagt der Unternehmenssprecher.

Bereits jetzt haben Mitarbeiter zu anderen Firmen gewechselt. Endesfelder wird im August 59 Jahre alt: "Wir Älteren haben schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt." Viermal sei ihr ein Aufhebungsvertrag angeboten worden. Für sich sieht sie keine Zukunft im Unternehmen. Sie wird sich mit ihrem Hobby ablenken müssen, dem Tierschutz - mit der dreibeinigen Hündin Emma und Kaninchen aus dem Tierheim, die im Garten ihr Gnadenbrot bekommen.

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Quelle:
SZ vom 08.09.2021
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