Süddeutsche Zeitung

Verkehr:Sie planen den Tunnel für Starnberg

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Der Chef war bei Stuttgart 21, ein Ingenieur arbeitet seit 32 Jahren an der Röhre. Die Entwürfe wollten sie schon in den Keller der Straßenbaubehörde verbannen - nun kommt der Spatenstich.

Von David Costanzo, Starnberg

Einen Tunnel planen, mitten in der Stadt, nah am See - bei so einem Job wird ein junger Ingenieur hellhörig. Der 29-jährige Rainer Pittrich bewirbt sich auf die Stelle, es ist die erste dieser Art, er wechselt von einem Planungsbüro zum Straßenbauamt. Das war vor 32 Jahren. Der junge Ingenieur ist heute 61 Jahre alt. Mehr als sein halbes Leben hat er also an dieser Idee gebastelt, nicht durchgehend, aber immer wieder. Er hat mit Kollegen den Boden untersucht, Trassen verglichen, Umfahrungen geprüft, Pläne entworfen und immer wieder verfeinert. Es gibt beim Staatlichen Bauamt in Weilheim Schränke voller Entwürfe, Studien, Akten - und Pittrich kennt sie alle. 1990 hatten sie die bis heute nahezu unveränderte Trasse schon fertig. Trotzdem hat er danach oft gedacht: "Das war's jetzt."

Einmal wollten sie beim Bauamt diese Schränke sogar ausräumen. Weg mit dem Zeug, ab in den Keller, damit Platz frei wird in den Regalen für neue Ideen in anderen Städten, über die nicht nur gestritten wird, sondern die auch wirklich gebaut werden. Es wären Dutzende Kisten voller Unterlagen gewesen. Sie haben sie nicht weggeschafft, sondern "einmal tief durchgeatmet", als der Stadtrat vor einem Jahr doch noch dem Bau zustimmte, wie Christian Probst sagt, der in der Behörde für den Landkreis Starnberg verantwortlich ist. Für einen Ingenieur ist so ein Schnaufer schon ein Gefühlsausbruch.

Ein paar Kisten und vor allem Festplatten werden dazukommen: Denn mit dem Spatenstich am kommenden Freitag beginnen die Arbeiten für den zwei Kilometer langen Tunnel - ein Jahrhundertprojekt, das die Stadt von 2026 an von täglich 18 000 Autos entlasten soll. Berlin übernimmt die Baukosten von etwa 200 Millionen Euro, die Stadt zahlt vier Millionen unter anderem für Geh- und Radwege. Nach 32 Jahren geht die Arbeit erst richtig los, erst mit den Straßen vor dem Tunnel, in drei Jahren mit der Röhre selbst.

Zehn Meter pro Tag wird sich der Bohrer mit zwölfeinhalb Metern Durchmesser durch die Erde fressen, durch drei Lagen Grundwasser und fünf Schichten - Seeton, Kies und Sand, Ton und feinkörniger Schluff, Nagelfluh und womöglich auch durch den ein oder anderen Findling, mit dem die Geologen rechnen.

Keine ganz einfache Aufgabe, aber nichts, das der Projektleiter beim Staatlichen Bauamt nicht schon gesehen hätte. Der 46-jährige Herwig Ludwig arbeitet seit 20 Jahren in der Branche. Er fungierte als Vize-Bauleiter beim Tunnel in Farchant, überwachte die Bohrung durch drei Schichten Grundwasser für die U-Bahn nach Garching, verantworte für ein internationales Unternehmen Projekte in Chile und Singapur. Der Ingenieur plante mit beim Koralmtunnel, der mit 33 Kilometern der längste Bahntunnel Österreichs sein wird, und leitete einen Abschnitt mit 18 Kilometern Tunnel beim Projekt Stuttgart 21.

Die Starnberger Tunnelplaner profitieren nun davon, dass die Frau des zweifachen Vaters Ludwig aus Weilheim stammt. "Wir waren gern zusammen in der ganzen Welt unterwegs", sagt er. Aber nun sei es an der Zeit, sesshaft zu werden. Die Starnberger Röhre nennt er "klein, aber fein", da sie mehrere spannende Aspekte umfasse - die Geologie mit Grundwasser, das Bauen mitten in der Stadt, während der Verkehr fließen soll, und ein "anspruchsvolles Umfeld", wie Projektleiter Ludwig sagt.

Beim Bauamt hat er mit seinen Kollegen eine eigene Abteilung aufgebaut und neue Büros gemietet. Acht Mitarbeiter kümmern sich ausschließlich um den Tunnelbau, weitere zehn stoßen immer wieder zu den Beratungen hinzu - darunter nicht nur Bauingenieure und Geologen, sondern auch Landschaftsplaner, Betriebswirtschaftler, ein Jurist und ein Öffentlichkeitsarbeiter. Weil insgesamt 31 Aufgabenbereiche abzudecken sind, arbeitet die Gruppe ständig mit internationalen Planern und Gutachtern zusammen.

Dabei tauchen immer wieder Fragen auf, die der Planer der ersten Stunde beantworten kann, Rainer Pittrich. "Es ist alles schon untersucht worden, nichts war umsonst", sagt er. "Man darf eben nichts wegschmeißen."

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Quelle:
SZ vom 14.07.2018
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