Süddeutsche Zeitung

Tassilo-Preisträger 2021:Vorübergehend wohlhabend

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Das Elle-Kollektiv konnte für die Inszenierung von "Das Meditier" auf großzügige Zuschüsse zugreifen. Inzwischen aber sind die staatlichen Förderquellen weitgehend versiegt. Dennoch plant das Ensemble vom Ammersee das nächste Stück - diesmal mit weiteren Tassilo-Preisträgern: dem Meta-Theater in Moosach bei Grafing.

Von Armin Greune, Utting

Der Tassilo-Preis 2021 hat Elisabeth-Marie Leistikow, Luis Lüps und Louis Panizza in einer vorübergehenden Phase unverhofften Reichtums getroffen. Der Pandemie zum Trotz oder gerade deshalb konnte ihr Elle-Kollektiv die Aufführungen des Stücks "Das Meditier" dank Stipendien und Sponsoren bar aller finanzieller Sorgen vorbereiten: Es flossen Zuschüsse der Waldemar-Bonsels-Stiftung, der Euroboden GmbH, des Bezirks Oberbayern; die Theatertruppe erhielt Mittel aus dem Kulturfonds Bayern und eine "Bomben-Förderung" durch den Fonds Darstellende Künste. Inzwischen aber hat sich das Blatt komplett gewendet: Um 80 Prozent werden die staatlichen Fördermittel nun wieder zurückgefahren, schätzt Panizza. Er hatte zuletzt neben seinem Elle-Engagement auch Bühnenbilder und Kostüme für das Staatsschauspiel Dresden und das Stadttheater Ingolstadt angefertigt und mit einem Recherchestipendium des Bayerischen Kunstministeriums das künftige Potenzial von Virtual Reality im Theater erkundet. Doch der wirtschaftlichen Zukunft der Branche sieht Panizza mit großer Sorge entgegen: "Kultur funktioniert langfristig nur durch Subvention", sagt er.

Dessen ungeachtet hat sich das Elle-Kollektiv ein neues Stück vorgenommen. Unter dem Arbeitstitel "Graulischen" ist eine Kooperation mit dem Münchner Pathos-Theater sowie einem zweiten Tassilo-Preisträger vorgesehen: Axel Tangerding und sein 1980 gebautes Meta-Theater in Moosach bei Grafing wurden 2012 mit der Auszeichnung der SZ-Lokalredaktionen bedacht. Auf beiden Planungsebenen sei man gerade Mitte des Wegs angelangt, sagt Panizza. Dies betreffe die Suche nach Zuschüssen und Sponsoren ebenso wie das Stück selbst: Konzept, Fahrplan und Inszenierung seien schließlich "auch davon abhängig, was finanziell machbar ist". Er rechne damit, dass "Graulischen" im Spätsommer oder Herbst 2023 Premiere feiern kann. Dieses Mal wird ein Reisebus Teil des Bühnenbilds, der mit dem Publikum vom Pathos-Theater nach Moosach unterwegs ist; man wolle die Relationen zwischen Stadt und Land illustrieren. Das Stück enthalte daher Motive von Heimat- wie Horrorfilm gleichermaßen: "Splatter in der Dorfkirche", verspricht Panizza augenzwinkernd.

Das Ensemble bezieht das Publikum bei seinen Aufführungen mit ins Spiel ein

In den ebenso ausgefallenen wie ausgefuchsten Elle-Produktionen müssen die Zuschauer auf allerhand gefasst sein: Brieftaschen, Schlüssel und Handys abzugeben oder Badekleidung anzulegen. Begegnungen mit Unholden oder dem Urknall, einer Wassernixe oder einer Schweinezüchterin sind dabei inbegriffen. Beim "immersiven Dorftheater" bezieht Elle das Publikum mit ein: Es soll sich vom Spiel gefangen nehmen lassen, ganz eintauchen in eine fremde, geheimnisvolle Welt, in der vertraute Gewissheiten in Frage gestellt werden.

Mit "Das Meditier" hat Elle 2021 nach "Der Erleuchthund" und "Die blondierte Stierin" die "Trilogie der schlafenden Vernunft" abgeschlossen. Erneut bezauberten die Freiluftaufführungen am und im Ammersee durch Ideenreichtum und Detailverliebtheit: Alle neun Vorstellungen des facettenreichen und fantasievollen Verwirrspiels zwischen Bedeutungsschwere und Satire waren ausverkauft. Und dem Elle-Kollektiv blieb sogar noch Zeit, erstmals sein Wissen und Können an den künstlerischen Nachwuchs weiter zu geben: Im Oktober 2021 führten sie in Landsberg acht Jugendliche praktisch in die Performancekunst und das Arbeiten an Kostümen ein. Der dreitägige Workshop zum Thema "Wald und Tarnung" endete mit einem WalkingAct vom Frauenwald in das Stadtzentrum.

Im gerade ausgelaufenen Jahr spielte das Kollektiv erstmals abseits vom Ammersee öffentlich live: Im Münchener Pathos-Theater stellte es mit "King Kong - Ein dystopisches Theater Spa" einen Wellnesstempel auf die Bühne und die Phrasen geschäftstüchtiger Selbstoptimierungsprediger bloß. Und weil sich nur ein Teil der für "Das Meditier" vorgesehenen Videoclips im Stück unterbringen ließ, wurde das gesamte Material zu einem Spielfilm verarbeitet. "Be my water, Reporterin" feierte kürzlich die "Welturaufführung" im Kino Dießen: "Elle goes Hollywood" jubelte das Kollektiv selbstironisch.

Noch während der Pandemie beteiligten sich Leistikow, Lüps und Panizza als Impulsgeber an einem Online-Workshop des Kunstministeriums zum Thema "Arbeiten im Kollektiv". Außerdem diskutierten sie auf dem Symposium "Was uns bewegt!" mit, als "Zukunftsmodelle der freien darstellenden Künste" an der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München zur Debatte standen. Wenn sich Panizza nun besorgt zur Zukunft der Bühnenschaffenden äußert, gibt das also nicht bloß seine Situation wieder, sondern muss als Urteil eines fachkundigen Insiders gelten. Ganz davon abgesehen, dass hinter dem Elle-Kollektiv längst nicht mehr nur das namensbildende Trio Anfang oder Mitte 30 steckt, sondern Dutzende Mitwirkende. Und inzwischen hat sich Anna Winde-Hertling zu den beiden Uttingern Lüps und Panizza und der Frankfurterin Leistikow gesellt, die an den Konzepten mitfeilt.

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