Süddeutsche Zeitung

Aggressive Ausflügler im Wald:"Bei vielen ist die Zündschnur echt kurz"

Lesezeit: 3 min

Die Jäger appellieren mit einer Schilderaktion an Besucher, Rücksicht gegenüber Tieren und Natur zu üben. Denn Leute direkt anzusprechen, wird immer schwieriger.

Von Manuela Warkocz, Starnberg

Bei einer Runde durch sein Jagdrevier traut Hartwig Görtler kaum seinen Augen. Eine Gruppe grillt fröhlich mitten auf einem Acker. "Wieso? Das ist doch 'ne Wiese. Willste auch 'ne Wurst?", erwidert einer aus der Runde, als der Jäger ihn anspricht. "Nein, das ist keine Wiese", stellt Görtler klar, "das ist Winterweizen." Auf die Wurst verzichtet der Vorsitzende der Kreisjägerschaft im Landkreis Starnberg. Sein Jagdkollege und Vize Markus Ortner ist schockiert von einem anderen Vorfall auf Gut Schwaige bei Starnberg: "Vier Autos stehen gut einen Kilometer mitten im Wald, drum herum springen mehrere Hunde frei rum. Und die Leut' sagen: Das dürfen wir doch!"

Was Unwissen und Ignoranz anrichten, sehen Jäger derzeit als extrem an. Im Gilchinger Ortsteil Geisenbrunn riss ein wildernder Hund am 8. April ein Reh nahe des Hüllbergmooses. Am gleichen Tag hetzte ein anderer Hund einen Hasen ebenfalls in Geisenbrunn bis kurz vor die Autobahn A 96. Jagdpächter konnten die Hundehalter feststellen und zeigten sie bei der Polizei an. Hunde unbeaufsichtigt laufen zu lassen, kann auch schlimmere Konsequenzen haben. Jäger sind berechtigt, wildernde Hunde zum Schutz des Wildes zu töten.

Um Waldbesucher mehr zu sensibilisieren, startet die Jagdkreisgruppe Starnberg deshalb eine groß angelegte Schilderaktion, in der sie aus Sicht von Reh, Fasan, Wildschwein und anderen Wildtieren um Verständnis und Rücksicht im Wald wirbt. Die ansprechend gestalteten Tiermotive mit einfühlsamen Texten kommen so gut an, dass Jagdgruppenchef Görtler inzwischen Bestellungen aus ganz Deutschland erhält. Mittlerweile sind schon rund 1000 Schilder gedruckt.

"Ich bin ein Fasan und brüte hier. Pass bitte auf... mein Nest ist so gut getarnt, dass ich froh bin, es selber wiederzufinden. Du siehst es erst, wenn du drin stehst", informiert ein prächtiger Vertreter seiner Gattung via Schild auf Gut Rieden bei Starnberg Waldbesucher. Ortner sagt, er wolle in seinem Revier niemanden aussperren. Er habe volles Verständnis, dass die Leute bei der Pandemie-Situation raus in die Natur wollten. Und Verbote satt hätten. Der Akademische Jagdwirt, der auf dem Gut eine Jagdschule betreibt, erhofft sich von den Schildern aber einen Aha-Effekt: "Es gibt da noch mehr als nur mich." Oft fehle einfach das Wissen, etwa über Betretungsverbote von Wiesen und über Schonzeiten. Leute auf Fehlverhalten anzusprechen, findet er inzwischen schwierig. "Oh, das ist ganz dünnes Eis und bei vielen ist die Zündschnur echt kurz", so Ortners Erfahrung mit aggressiven Ausflüglern.

Die beschränken sich im Wald längst nicht mehr auf Spaziergänger mit und ohne Hund. Im Gespräch fällt Hartwig Görtler gleich ein ganzes Rudel von Freizeitaktivisten ein, auf die er schon teils frühmorgens, teils nachts gestoßen ist: Jogger, Reiter und Radler, Langläufer und Schneeschuhwanderer, Motocrosser, Geocacher, Schatzsucher mit Sonden und - "Ich hab ja nicht geglaubt, was ganz oben so knackt" - Baumkletterer. Es sei "einfach irre". Görtler schätzt, dass der Druck auf die Natur im Fünfseenland sich seit einem Jahr mindestens verdreifacht hat. Gerade im Speckgürtel von München seien manche "ganz oben bei der Selbstverwirklichung angekommen". Viele hätten Geld, wollten alles, könnten alles und dürften vermeintlich alles. Da fehle es oft an Rücksicht. "Ich will, dass die Leute nicht nur Grün wählen, sondern auch handeln", fasst Görtler seine Motivation für die Schilderaktion zusammen.

Wege verlassen, um selbst Ruhe zu haben - verständlich. Aber gar nicht gut, etwa für Rehe im Winter. Aufgeschreckt von Hunden oder Radlern seien diesen Winter mehr Tiere als sonst zu schwach zum Überleben gewesen. Görtler sagt, er habe im Januar vier Rehe in seinem Revier bei Emmering im Landkreis Fürstenfeldbruck erlegen müssen, weil sie so abgemagert gewesen seien. Um Futterplätze vor Autofahrern zu schützen, haben Jäger drakonische Maßnahmen ergriffen und die Stellen mit dicken Baumstämmen abgegrenzt.

In den kommenden Wochen gelten Kitze als besonders schützenswert. Ein Bambi bittet daher auf einem Schild, es liegen zu lassen, nicht anzufassen und nicht hochzuheben. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn Wildschweine ihre Frischlinge bedroht sehen. "Dann ist die Bache auf Krawall gebürstet", warnt Jäger Görtler. Spätestens wenn man starken Maggie-Geruch wahrnehme, stehe das Wildschwein in unmittelbarer Nähe. Dann solle man kein Handy-Foto mehr in Erwägung ziehen. Und jeder Hund könne dann zum potenziellen Opfer werden.

Die Jagdgruppe propagiert ihre Schilder-Kampagne unter ihren 500 Mitgliedern, die im Landkreis Starnberg 95 Reviere betreuen. Die Schilder aus recyceltem Kunststoff wollen jetzt aber auch schon Jäger bis aus Schleswig-Holstein. Im Herbst planen die Starnberger neue Motive. Dann müssen die jetzigen Schilder wieder runter von den Bäumen. Sonst droht ein wirrer Schilderwald.

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SZ vom 19.04.2021
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