Süddeutsche Zeitung

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt:Datenblitz aus dem All

Lesezeit: 3 min

Von Patrizia Steipe, Oberpfaffenhofen

Die Anspannung ist groß im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen. Es ist Dienstagabend, und der Tag, an dem mit dem sogenannten EDRS-System eine Art Datenautobahn aus dem All eröffnet werden soll. Kurz nach 22 Uhr kommt die erlösende Ansage: "Das Baby schreit und nuckelt an der Telekommando-Flasche", teilt Felix Huber, Direktor des DLR-Raumflugbetriebs ( Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) den Gästen mit. Mit dem "Baby" ist der 3,2 Tonnen schwere Kommunikationssatellit EDRS-C der Mission "EDRS" (Europäisches Datenrelais System) gemeint, den eine Ariane-5-Trägerrakete vom Raumflughafen in Kourou ins All gebracht hat. Bei der Startshow im Deutschen Raumfahrtkontrollzentrum (GSOC) kommentiert Moderator Uli Bobinger den Live-Stream aus Französisch-Guyana mit Vertretern der öffentlich-privaten Partner, der Europäischen Weltraumorganisation ESA und der Firma Airbus.

Den Baby-Vergleich greifen alle begeistert auf. Nach monatelangen intensiven Vorbereitungen vergleichen sie die Mission mit den Strapazen einer Geburt. "Heute ist ein wichtiger Tag für die europäische Raumfahrt", sagt Huber. Denn mit dem EDRS-System wird der Grundstock für ein Netzwerk von Relais-Satelliten gelegt. Sie können mit Hilfe von Laserterminals riesige Datenvolumen aus dem Weltraum zu Erdbeobachtungssatelliten und zur Erde transportieren.

Der Satellit wurde in Deutschland entworfen, gebaut und getestet. "Hellauf begeistert" davon, dass die Grenzen der Machbarkeit erfolgreich überschritten worden seien, zeigt sich Mathias Schneidereit vom Hauptauftraggeber Airbus. 1,8 Gigabit können auf der "Datenautobahn im All" pro Sekunde übertragen werden. Das sei so viel wie eine Million verschickter Whatsapp-Nachrichten pro Sekunde oder 13 Stunden Youtube-Filme pro Sekunde, rechnet Bobinger vor. Was früher bis zu acht Stunden dauerte, werde nun in zehn Minuten erledigt sein, meint auch Greetje Janßon, stellvertretende EDRS-Projektleiterin. So könnten Informationen etwa über die genauen Positionen und Ausdehnungen von Waldbränden oder Ölkatastrophen auf dem Meer künftig wenige Minuten nach Auftragsvergabe verfügbar sein.

"Zum Glück haben wir nichts mit dem Start zu tun", sagt Huber noch. Das Oberpfaffenhofener Kontrollzentrum ist künftig für den Betrieb des Satelliten und des Datenrelais-Services zuständig. Auch wenn Satellitenstarts fast Routine sind, "passieren kann immer etwas", so Huber.

Gegen 21.30 Uhr wird es im Saal plötzlich mucksmäuschenstill. Die Gäste sehen in Großaufnahme auf der Leinwand die weiße Ariane-5-Rakete und hören den Countdown auf Französisch: "Dix, neuf, huit. . ." Und plötzlich zündet das Haupttriebwerk, es dauert sieben Sekunden, bis die Rakete abhebt und einen riesigen Feuerschweif nach sich zieht. "EDRS-C ist auf dem Weg ins All!", jubelt Bobinger. Applaus brandet auf. Nach zwei Minuten trennen sich planmäßig die Feststoffbooster, "ein echter Bilderbuchstart".

Dann fängt die spannende Phase für die deutschen Wissenschaftler an. Mit neun Stundenkilometern pro Sekunde rast der Satellit Richtung Orbit, wo in etwa 40 Minuten das erste Signal des Satelliten empfangen werden muss. Wie die Flugroute aussehe und welche Neigung der Satellit einnehmen werde, demonstriert Huber mit Hilfe einer Mineralwasserflasche. "Wir hoffen, dass das Baby schreit", erklärt Andreas Ohndorf. Ohne die Funkverbindung würde nämlich das gesamte Projekt scheitern. Kurz nach 22 Uhr die erlösende Nachricht: "Wir haben ihn!", jubelt Huber.

Damit beginnt für das zwölfköpfige Team im Kontrollraum die Testphase. Es wird einige Wochen lang dauern, bis das System genutzt werden kann. Verschiedene Manöver, um die Bahn zu korrigieren, stehen noch an. Die Antennen müssen ausgefahren werden, dann wird der Satellit die nächsten 15 Jahre in 36 000 Kilometern Höhe seine Position im Orbit erreicht haben und seinen Dienst aufnehmen. Etwa 100 Mitarbeiter des GSOC werden sich um die Steuerung im Kontrollraum, um die IT-Infrastruktur und um die Empfangsstationen in Weilheim kümmern. Der Missionsbetrieb für das Gesamtsystem findet beim Auftraggeber Airbus in Ottobrunn statt. Zeigen die Solarsegel in die passende Richtung, kann der Satellit als Lichtpunkt sogar von der Erde aus beobachtet werden, erklärte Huber. Wenn EDRS-C seine Mission beendet hat, wird er 300 Kilometer höher in den "Friedhofsorbit" geleitet, wo er mit dem anderen Weltraumschrott seine Bahnen ziehen soll. In Zukunft soll alles noch schneller werden: Die Datenrate des Terminals soll noch von 1,8 auf 3,6 Gigabit pro Sekunde erhöht und die mögliche Entfernung für die Verbindung von 40 000 auf 80 000 Kilometer vergrößert werden.

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SZ vom 08.08.2019
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