Süddeutsche Zeitung

Coronavirus im Landkreis Starnberg:"Das Ziel ist, dass wir alle im Sommer durchgeimpft sind"

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Landrat Stefan Frey erklärt, wie er das erreichen will. Nach einem Jahr im Amt spricht er über Belastungen in der Corona-Krise und welche anderen Themen ihm wichtig sind.

Interview von Astrid Becker und Michael Berzl, Starnberg

Mit fast 62 Prozent in der Stichwahl hat der 45-jährige Jurist Stefan Frey (CSU) vor einem Jahr den Chefsessel im Landratsamt erobert. Zu seinem Amtsjubiläum am 1. Mai erzählt er, wie sehr ihn die Pandemie derzeit beschäftigt, welche Themen ihn umtreiben und welche Ideen er noch für die Zukunft des Landkreises Starnberg hat.

SZ: Herr Frey, während Ihr Vorgänger Karl Roth wohl als "Flüchtlingskrisen-Landrat" in die Geschichte des Landkreises Starnberg eingeht, können Sie sich im Moment wohl eher das Etikett "Corona-Krisen"-Landrat ans Revers heften. Wie geht es Ihnen damit?

Stefan Frey: Die Intensität und Dichte des Ganzen - das hatte ich anfangs nicht erwartet. Da jagt ein Thema das nächste. Wenn ich nur an die Impfzentren denke. Zuerst hieß es, baut in zwei Wochen welche auf. Kaum sind sie aufgebaut, heißt es, erweitert diese und kurze Zeit später, stoppt die Erweiterung. Dann kommen laufend neue Vorschriften, und noch bevor man erfährt, wie die umzusetzen sind, kommen schon die Anfragen. Aktuell zum Beispiel steht in den staatlichen Infektionsschutzregelungen etwas von "körperfernen Dienstleistungen", die wieder erlaubt seien. Doch: Was bitte ist darunter zu verstehen? Das muss auch ich erst einmal herausfinden. Und natürlich gibt es auch Vorschriften, die selbst ich nicht logisch finde.

Was zum Beispiel?

Wenn sich die Menschen Wagen an Wagen durch Supermärkte und Discounter schieben dürfen und an kleinere Läden weitaus strengere Maßstäbe angelegt werden. Grundsätzlich erlebe ich es sehr unterschiedlich. Da gibt es Branchen, denen es hervorragend geht, und andere, die ums Überleben kämpfen. Da nutze ich jeden Spielraum aus. Beispielsweise bei der Testpflicht. Da kamen die Fragen der Händler, wie können wir das konkret umsetzen? Ich nenne da Tutzing als Beispiel: Ich versuche in solchen Fällen, Betreiber für Schnelltestcenter zu finden und sie mit den Händlern zusammenzubringen, also pragmatische Lösungen anzubieten. Oder zum Beispiel, als die Gerichte für den Schuhfachhandel entschieden. Sofort kam die Frage auf, ob das jetzt für den gesamten Einzelhandel gilt? Das habe ich mir angeschaut und festgestellt, ja das gilt für alle, weil es Lücken gibt. Und so lange es die gibt, kann man sie auch nützen.

Aktuell versucht ein Anwalt, gegen die gesperrten Stege vorzugehen. Warum sind die Barrikaden aus Ihrer Sicht nötig?

Wenn die Stege offen sind, sind die gerade bei schönem Wetter komplett dicht. Sie sind so voll, dass kein Durchkommen und kein Abstand möglich ist. Und da achtet, anders als im Einzelhandel, keiner darauf, dass die Ansteckungen ausgeschlossen werden. Daher haben wir die öffentlichen Stege geschlossen. Die Menschen können sich jenseits der Stege frei bewegen, weil dort die Abstände einfach besser eingehalten werden können. Die mit der Sperrung der Stege für einige verbundenen Unannehmlichkeiten finde ich eher gering. Ob und wie das Gericht das sieht, wird man sehen.

Was ist denn mit der Gastronomie?

Die Gastronomie hat sicher gute Hygienekonzepte vorgelegt. An Tischen eng zusammenzusitzen und das Drumherum ist jedoch kaum unter Kontrolle zu bringen. Gerade hier sollte man die Finanzhilfen gezielt einsetzen für diejenigen, die wirklich Ausfälle zu beklagen haben. Eine Öffnung im Sommer ist realistisch, denn dann sind die meisten Menschen auch geimpft.

Apropos Impfungen: Auch da mussten Sie sich einiges gefallen lassen - zum Beispiel auf Facebook, wo Sie ja sehr aktiv sind.

Ja, die neuen Medien sind für mich Fluch und Segen zugleich. Mich interessiert einfach, was los ist, was die Menschen bewegt. Ich schaue etwa alle zehn Minuten auf mein Handy, nur nicht, wenn ich samstags mit meiner Frau zum Radeln gehe, das glaube ich, kann ich ihr nicht auch noch zumuten. Aufzuhören mit den sozialen Medien, das wäre nicht authentisch. Damit habe ich bereits vor vielen Jahren angefangen und diese Medien gerade im Wahlkampf intensiv genutzt. Eines ist mir bei den Diskussionen dort immer wichtig: Den jeweiligen Menschen und seine Meinung zu respektieren und dabei immer sachliche Antworten zu geben, selbst wenn die Anwürfe heftig sind. Ich habe gelernt, dass das am meisten bringt und man dann auch auf Respekt stößt.

Was viele derzeit beschäftigten dürfte, ist die Ankündigung des Ministerpräsidenten , im Mai die Impfpriorisierungen aufzuheben. Was halten Sie davon?

Grundsätzlich stünde dem nichts entgegen, wenn genügend Impfstoff da ist. Wir haben nun über 40000 Bürger geimpft. Vor dem Sonderimpftag am 10. Mai waren es erst knapp 16 000. Da sind wir jetzt schon ein großes Stück weitergekommen. Ich denke, dass wir im Mai auch Prio drei und alle über 60-Jährigen, sogar weit darüber hinaus, durchgeimpft bekommen.

Und wie wollen Sie das bewerkstelligen? Gesundheitsminister Klaus Holetschek hat sich gerade beim Treffen in Herrsching weitere Whats-Apps vom Ihnen mit Impfdosen-Forderungen verbeten.

Wo es geht und wo es hilft, nutze ich meine persönlichen Verbindungen. Meine frühere Tätigkeit im Innenministerium hilft dabei oft. Ich werde auch meine Meinung weiter deutlich äußern, auch öffentlich. Das sehe ich als meine Aufgabe an: Wenn ich andere nerven muss, um etwas zu erreichen, dann mache ich das. Es hat mich sehr geärgert, dass wir andere Landkreise in der Pandemie mit unseren Kliniken mitgezogen haben und ich mir dann anhören musste, andere seien weiter. Das war keine gerechte Verteilung der Impfdosen. Klar zapft man dann alle Kanäle an, da grabe ich von unten, von oben, von rechts und links wie ein Maulwurf. Und ich werde auch weitergraben. Das Ziel ist, dass wir alle im Sommer durchgeimpft sind.

Aus Ihrer Sicht: Wie sehr beschäftigt Sie die Pandemie am Tag?

Corona ist jeden Tag eine neue Herausforderung. Der Mittwoch zum Beispiel war wieder so ein typischer Corona-Tag: Das fing schon mit der Bürgermeisterdienstbesprechung um neun Uhr in der Früh an, wo es natürlich auch um Corona ging. Dann warten da 50 bis 60 Mails, von denen sich mindestens 20 nur um Corona drehen. Etwa wie das jetzt ist mit den Schnelltests, wann Asylbewerber an die Reihe kommen, wie das nun überhaupt mit der Impfpriorisierung ist. Mittlerweile habe ich mich damit arrangiert, noch bin ich fit (lacht).

Sie sind ja auch Verwaltungschef Ihrer Behörde. Was mussten Sie da ändern, auch wegen der Pandemie?

Wir können ja nicht aus dem Vollen schöpfen. Schauen Sie: Aus meiner Zeit im Innenministerium weiß ich, wenn die Polizei Leute braucht, dann findet man welche, schichtet um. Das geht aber bei uns nicht. Beispiel: Für unsere Corona-Hotline, die wir ja betreiben, gibt es einen Schichtplan mit Leuten aus allen Fachbereichen, die Arbeit, die sie während dieser Zeit nicht erledigen können, bleibt liegen. Die Pandemie hat den Druck mächtig erhöht. Und man merkt vielen an, dass sie an ihre Belastungsgrenzen kommen.

Fluchen Sie da nicht manchmal?

Sagen wir es so: Man kommt manchmal schon an den Punkt, an dem man einfach mal sagt: Jetzt langt's.

Gutes Stichwort: Wie stehen denn Sie zur K-Frage?

Markus Söder hat sich das sicher gut überlegt und sich ja auch bereit dazu erklärt, er musste dann aber doch einsehen, dass es da auch noch eine größere Schwester gibt. Ich hoffe jedenfalls, dass die Union einen gemeinsamen Weg einschlägt und wieder geschlossen dasteht. Nur dann wird man auch gewählt.

Neue Prognosen prophezei en den Grünen in Ihrem Wahlkreis einen kleinen Vorsprung vor der CSU. Beunruhigt Sie das?

Wir müssen eigene Themen setzen und nicht auf die anderen schielen, sondern uns auf unsere eigenen Stärken besinnen. Und koalitionsbereit sein, andere Partner als Freie Wähler, SPD, FDP und Grüne, kommen da ohnehin nicht in Frage. Aber Stimmungen können sich drehen, entscheidend ist, was drei Wochen vor der Wahl geschieht.

Sprechen Sie aus Erfahrung?

Bei Kommunalwahlen ist das anders. Da ist es wichtiger, wer da als Person antritt. Deshalb braucht man eine längere Vorlaufzeit. Bei mir war das ein Jahr, um den Leuten zu zeigen, wer ich eigentlich bin. Da zählt die Präsenz. Derzeit gibt es davon nicht mehr viel: Bis auf Ausschuss- und Kreistagssitzungen läuft nahezu alles online und auch das werden nun Hybrid-Sitzungen werden. Man sitzt sich von früh bis spät buchstäblich den Hintern breit.

Wie würden Sie denn die Stimmung im Kreistag beschreiben ?

Mittlerweile recht entspannt. Das war am Anfang nicht so, ich war auch aufgeregt, so eine Sitzung vor 60 Menschen zu leiten. Da schwitzt man schon mal. Aber mir ist wichtig, allen auf Augenhöhe zu begegnen, auch dass jeder sein Gesicht wahren kann. Ich stehe mehr auf Sacharbeit, als dauernd Zwischenmenschliches auszutragen: Lieber ist mir eine kontroverse sachliche Diskussion zu einem Thema, wenn da Zwischenmenschliches eine Rolle spielt, wird es immer komplizierter.

Ein wichtiges Thema ist ja gerade der Kli nik-Neubau in Seefeld.

Das stimmt. Und ich finde es richtig, dass es dazu jetzt ein Ratsbegehren gibt, eine politische Entscheidung frühzeitig herbeizuführen, um dann einen klaren Weg weitergehen zu können. Das würde ich mir bei Großprojekten so öfter wünschen.

Haben Sie noch Zeit für andere Themen?

Die muss sein. Auch wenn manches nebenbei laufen muss. Der Bau des Gymnasiums in Herrsching, ebenso der Neubau der Fachoberschule in Starnberg. Und auch das Tutzinger Gymnasium, auch wenn die Sanierung noch in den Anfängen steckt. Ich will beispielsweise eine Ehrenamts-App schaffen, wo man alle Angebote im Landkreis finden kann und sich alle austauschen können. Das Thema Mobilität, etwa das Radfahren voranzubringen. Weichselbaum als Mobilitätsdrehscheibe im westlichen Landkreis zu entwickeln. Verkehrswege anders denken und umdenken. Wohnraum für Krankenhausbeschäftigte schaffen und für Menschen mit geringerem Einkommen. Bis 2026 brauchen wir auch eine Lösung für die Geflüchteten. Da fallen ja die Unterkünfte weg.

Wie schaut es mit grünen Themen aus?

Ich möchte gern eine Energieagentur ins Leben rufen, da soll in den Kreisgremien schon bald eine grundsätzliche Entscheidung dazu getroffen werden. Es geht aber auch um die Reduzierung des CO₂-Ausstoßes: Stichwort Moorrenaturierungen, etwa im Wildmoos. Ich werde skeptisch, wenn es heißt, wir ändern jetzt von Starnberg aus die ganze Welt. Viel wichtiger für mich ist es, etwas zu tun, das wir konkret selbst beeinflussen können. Zum Beispiel in Form eines Solarkatasters, bei dem sich Hauseigentümer informieren können, ob sich ihr Dach für Photovoltaik eignet, eingebettet in eine Kampagne mit dem Ziel, dass mehr Leute sich dafür entscheiden. Der Tourismus ist ein weiteres Thema. Auch da arbeiten wir daran, wie wir mit den Besucherströmen, die schon allein pandemiebedingt zu erwarten sind, besser umgehen können. Ich weiß ja vom Radfahren, wie voll alles ist, dass auf jedem Quadratmeter noch jemand aus dem Busch hüpft - was viele Konflikte, etwa mit der Landwirtschaft, den Jägern, für Natur und Landschaft mit sich bringt. Ich möchte da gern ein Projekt mit Naturrangern einführen.

Eine ganze Menge . Wie werden Sie denn Ihr Amtsjubiläum verbringen?

Das ist ja ein Samstag, also Wochenende. Da werde ich mit meiner Familie frühstücken und mich dann mit meiner Frau zwei, drei Stunden aufs Rad schwingen. Das muss einfach sein, und das haben wir auch so vereinbart. Die Kinder beschäftigen sich derweil zu Hause, das geht mittlerweile vom Alter wirklich schon ganz gut. Nach dem Essen werde ich, wie üblich, E-Mails beantworten oder auf Facebook schauen, was dort los ist und reagieren. Zwischendrin werde ich mit den Kindern Kicker oder Billard spielen oder im Garten mit ihnen kicken, dann gibt es Abendessen und schon ist der Tag rum. Am Sonntag versuche ich, laufen zu gehen. Das ist mein Ausgleich. Und die Eltern besuchen. Feiern werde ich aber sicher nicht.

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Quelle:
SZ vom 30.04.2021
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