Süddeutsche Zeitung

Inflation:Wenn der Gürtel nicht mehr enger geht

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Petra H. bleiben knapp 200 Euro im Monat zum Leben. Die Aufrufe der Politik zum Sparen klingen für sie wie Hohn. Warum die steigenden Kosten Rentner zunehmend in die Altersarmut führen.

Von Carolin Fries, Gauting

Sie soll sich also einen neuen Duschkopf kaufen, um Energie zu sparen. Oder die Raumtemperatur in der Wohnung absenken, und einen dicken Pullover anziehen, um nicht zu frieren. Außerdem haltbare Lebensmittel auf Vorrat kaufen, wenn sie gerade im Angebot sind. Petra H. ist fassungslos angesichts der Ratschläge von Politikern, wie sich Geld sparen lässt - jetzt, wo die Zeiten hart werden. Für die 63 Jahre alte Frührentnerin sind sie seit knapp zehn Jahren hart, seit sie nach einer schweren Erkrankung nicht nur ihren Arbeitsplatz verlor. Ihr Mann ließ sich scheiden, Petra H. zog aus der Doppelhaushälfte in eine Sozialwohnung nach Gauting. Wie Hohn klingen Ratschläge in ihren Ohren, der Skiurlaub müsse heuer wohl ausfallen, die 1000 bis 2000 Euro läge man besser für die steigenden Energiekosten zurück. "Von welchem Geld soll ich denn etwas zurücklegen, wenn ich keines habe?"

Petra H. streicht sich die langen, dunklen Haare aus dem Gesicht. Früher habe sie die Haare kurz getragen, erzählt sie, doch den Friseur könne sie sich schon lange nicht mehr leisten. Ebenso wenig Urlaub oder neue Klamotten. "Unterwäsche und Nachtwäsche, wenn es sein muss, alles andere ist gebraucht." Die ehemalige Bürokauffrau kann nur milde lächeln, mit welchen Bildern und Worten die Deutschen aktuell aufs Sparen vorbereitet werden. "Ich spare seit Jahren, wo es nur geht", sagt sie. Ihre Rente ist so gering, dass sie Grundsicherung erhält, das Sozialamt also den Betrag aufstockt, um den notwendigen Lebensunterhalt sicherzustellen.

"Wir kämpfen jeden Monat, irgendwie durchzukommen", sagt Petra H.

Gut 1,1 Millionen Menschen in Deutschland erhalten diese Form der Sozialhilfe im Alter und bei Erwerbsminderung. Im Landkreis Starnberg waren es 771 zum 31. Dezember 2021, davon sind 561 Personen im Rentenalter. Das Landratsamt rechnet damit, dass die Fallzahl inzwischen über 800 liegt. Hinzu kommen etwa 120 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine im Rentenalter.

"Wir kämpfen jeden Monat, irgendwie durchzukommen", sagt Petra H. Sie spricht immer wieder in der Mehrzahl - und damit auch für andere Bedürftige, die sie über Hilfsangebote kennengelernt hat. Sie alle gingen zur Tafel, um Lebensmittel zu holen, oder zur "Klawotte" von der Arbeiterwohlfahrt, um die kaputten Schuhe zu ersetzen. "Anders ginge es gar nicht." Sie könnten sich nur über Wasser halten, weil andere ihr dabei helfen. "Das ist schön. Aber es ist auch traurig." Was sie sich manchmal fragt: Macht sich jemand Gedanken, wie es Menschen wie ihr mit den rasant steigenden Kosten geht? Und wie die Aufforderung, den Gürtel einfach mal enger zu schnallen, bei denen ankommt, bei denen die Gürtelschnalle schon seit Jahren im letzte Loch sitzt? "Wenn's noch schlimmer kommt, wie sollen wir dann überleben?", fragt Petra H. Sie möchte nicht mit ihrem echten Namen in der Zeitung stehen, "ein bisschen Würde muss sein".

Mehr als 30 Jahre lang hat Petra H. als Bürokauffrau gearbeitet, "rechnen kann ich", sagt sie. Auf einem kleinen Zettel hat sie ihr Einkommen aufgelistet und die Fixkosten wie Miete, Strom, Versicherung, Telefon abgezogen. Unter dem Strich stehen 206 Euro. Dieser Betrag bleibt Petra H. jeden Monat, um sich mit Lebensmitteln, Kosmetik, Klamotten und Medikamenten zu versorgen. "Ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich habe kein Haustier." 180 Euro zahlt sie aktuell monatlich an Heizkosten. Selbstverständlich trage sie im Winter Pullover in der Wohnung, doch viel kühler dürfe es nicht werden, "da macht meine Erkrankung nicht mit". Sollten die Nebenkosten also weiter steigen, schmilzt die Summe unter dem Strich. Denn selbst wenn die Renten stiegen, würde der Grundsicherungsanteil entsprechend gekürzt. Und die 300 Euro Energiepauschale von der Regierung bekommen Rentner wie Petra H. auch nicht.

"Die Rentner wurden übersehen", sagt Monika Fliedner von der Gautinger Tafel. Vielen mache die Inflation jedoch schwer zu schaffen. "Da gibt es einige, die es in den vergangenen Jahren gerade so gepackt haben und jetzt Probleme haben." Etwa zehn Prozent mehr Kunden habe die Inflation der Tafel beschert, vor allem Rentner. Hinzu kämen die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Anstatt knapp einhundert Kunden versorgt die Gautinger Tafel nun jeden Mittwoch 140 Menschen. Um das zu stemmen, holen die Mitarbeiter seit Kurzem viermal in der Woche Lebensmittel ab statt wie bisher zweimal. Auch Monika Fliedner fragt sich, wie das weitergehen soll. Die Tafeln seien schließlich nicht Teil des sozialstaatlichen Systems. "Unsere Idee ist es, Lebensmittel zu retten." In Wahrheit aber fehle es den Menschen an so vielem, dass ausgewählte Artikel wie beispielsweise Babynahrung mitunter zugekauft werden. "Es ist absurd", sagt Fliedner.

Bevor Petra H. krank wurde, habe sie gekocht, worauf sie und die Familie Lust hatten. Jetzt gibt es, was im Supermarkt im Regal für reduzierte Artikel stehen, was im Angebot ist oder was sie bei der Tafel bekommt. Pflanzenöl gibt es seit Wochen nicht mehr, "koche ich eben mit Margarine". Auswärts essen oder auch nur einen Kaffee trinken, ist nicht drin. "Im vergangenen Jahr hab' ich mal ne Tasse Kaffee für zwei Euro fünfzig in der Stadt getrunken, weil ich Probleme mit dem Kreislauf hatte", erzählt Petra H. Zuvor habe sie aber die Preise der drei umliegenden Cafés verglichen. Manchmal gönnt sie sich für fünf Euro ein Sozialticket fürs Gautinger Kulturzentrum Bosco, Dvorak oder Mozart hört sie gern. Ist das Luxus? Oder ihr kleines Auto, mit dem sie ihre Erledigungen und Arztbesuche macht. Ist der Verzicht darauf gemeint, wenn es heißt, es würde eben nicht mehr alles gehen? Petra H. fragt sich, was ihr Leben dann noch lebenswert machte. "Wissen Sie, man braucht auch mal einen positiven Blick."

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