Süddeutsche Zeitung

Bildung:Realschulen am Limit

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Sowohl in Gauting als auch in Tutzing haben sich mehr Schüler angemeldet, als Plätze vorhanden sind. Rektor Jahreis sieht die Schulform im Trend - und fordert ein zusätzliches Angebot.

Von Carolin Fries, Gauting/Tutzing

Manfred Jahreis sagt, er wisse nicht mehr wohin mit den Schülern. Vier Ausweichräume hat der Rektor der Realschule in Gauting in den vergangenen Jahren bereits zu Klassenzimmern umfunktioniert, außerdem einen Biologie- und einen Kunstsaal. Im vergangenen Jahr schließlich habe man die Bibliothek verkleinert, um dort eine zusätzliche fünfte Klasse unterzubringen, sechs- anstatt wie üblich fünfzügig - war die Schule in der jüngsten Jahrgangsstufe ins zweite Pandemiejahr gestartet. Auch in diesem Jahr wollen mehr Kinder auf die Gautinger Realschule, als Plätze vorhanden sind. "Wir werden darum erstmals Schüler ablehnen müssen", sagt Jahreis.

Welche Familien eine Absage erhalten, "soll die Politik entscheiden", sagt Jahreis. Denn er ist sauer, dass die Politik es soweit hat kommen lassen - schließlich mahnt er die Platzproblematik seit Jahren an, "das ist ja nicht neu." Die Realschule habe sich in den vergangenen Jahren zu einer echten Alternative zum Gymnasium entwickelt: Mehr als die Hälfte der Fünftklässler, die sich anmelden, hätten auch die Noten fürs Gymnasium. Doch der Wechsel vom G9 zum G8 und wieder zurück zum G9 hätte Eltern verunsichert. Zudem sei der praxisorientierte Ausbildungsansatz der Realschule mit der FOS 13 noch attraktiver geworden: In der gleichen Zeit wie am Gymnasium kann so die Allgemeine Hochschulreife erreicht werden, der höchste schulische Abschluss. Die stetig steigende Nachfrage beweist für Jahreis: Die Realschule ist kein Saisonhit, sondern liegt dauerhaft im Trend. Deshalb fordert er eine zusätzliche Schule, um die bestehenden zu entlasten. Am besten im Würmtal, "Planegg wäre ideal."

Das Einzugsgebiet der Gautinger Realschule ist groß. Der Zweckverband als Träger ist ein Zusammenschluss der zwei Landkreise Starnberg und München sowie der Gemeinden Gauting, Krailling, Pöcking, Gräfelfing, Planegg, Neuried und der Stadt Starnberg. Die knapp 1000 Schüler in den aktuell 35 Klassen kommen überwiegend aus diesen Gemeinden - doch auch aus der Stadt München, dem Landkreis Fürstenfeldbruck und dem westlichen Starnberger Landkreis. Sie wollen zum Beispiel nach Gauting, weil dort seit zehn Jahren mit digitalen Endgeräten unterrichtet wird, inzwischen haben alle Schüler ein Ipad. Oder aber, weil sie Forscher-Sport- oder Musikklassen begeistern, die dort angeboten werden. Ihnen wird Jahreis künftig allerdings absagen müssen. "Vorrangig werden Schüler aus den Mitgliedsgemeinden des Zweckverbandes einen Platz bekommen", sagt Landrat Stefan Frey (CSU). "Schüler von außen nur dann, wenn noch Plätze frei sind." Der Landrat sieht keinen Bedarf für eine Erweiterung der Realschule geschweige denn einen Neubau: "Die Schülerzahlen geben das nicht her." Bedarfsprognosen gingen davon aus, dass die Schülerzahlen in Gauting bis 2034 deutlich sinken.

Rektor Jahreis zweifelt die Hochrechnungen an, "solange es keine neue Schule gibt, wird es an der Gautinger Realschule immer 1000 Schüler geben." Landrat Frey wiederum spricht von Fakten. Gautings Bürgermeisterin Brigitte Kössinger (CSU), die zugleich Vorsitzende des Zweckverbands ist, verweist ebenfalls auf die Schulbedarfsprognose - und sieht Handlungsbedarf im Nachbarlandkreis. "Im Landkreis München sollen die Schülerzahlen steigen, deshalb gibt es dort auch Überlegungen, das Angebot auszubauen". Laut Frey gäbe es auch erste Ideen für eine Realschule in Planegg oder Gräfelfing, "alles aber noch Zukunftsmusik". Und nicht Zuständigkeit des Starnberger Landkreises. "Wir können nur Anregungen geben", sagt Kössinger. Derweil gelte an der Gautinger Realschule: "Konsequenter absagen".

Wenn das so einfach wäre. "Da geht es schließlich um Kinder in ganz unterschiedlichen Situationen", sagt Angela Richter, Rektorin an der Benedictus-Realschule in Tutzing. Sie kann verstehen, dass ihr Gautinger Kollege Jahreis in den vergangenen Jahren lieber improvisiert hat, um Eltern- und Kinderwünsche erfüllen zu können. "Schüler wegschicken zu müssen, das ist unschön." Sie erlebt es gerade selbst. Nach "entspannten Aufnahmeverfahren in den vergangenen Jahren" sei die Schule heuer überrannt worden. Auch wenn sie alle drei fünften Klassen mit 31 Schülern bis auf den letzten Platz bestücke, kriege sie nicht alle unter. Vier Familien wird sie absagen müssen. Und der Probeunterricht, für den sich zehn Schülerinnen und Schüler gemeldet hatten, findet nicht statt. "Ich könnte ja keinen aufnehmen, der es schafft." Richter weiß, dass zum Schuljahresbeginn dennoch alle Kinder irgendwo unterkommen werden. In Herrsching, Weilheim oder Dießen vielleicht. Doch nur irgendwo unterzukommen sei eben etwas anderes, als an einer bewusst ausgewählten Schule lernen zu können.

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