Süddeutsche Zeitung

Klimaproteste:Ein Oratorium für Greta Thunberg

Lesezeit: 3 min

Der Pöckinger Komponist Rainer Bartesch hat ein Werk geschrieben, das die Klimaproteste aufgreift. Der Arbeitstitel lautet "Our World is on Fire!"

Von Reinhard Palmer, Pöcking

Rainer Bartesch hat ein neues, 23-minütiges Oratorium zu einem brandaktuellen Thema komponiert. Nein, es geht nicht um Corona, sondern um den Klimawandel. Die Erderwärmung schreitet vom Lockdown unbeeindruckt voran, Gletscher und Polkappen schmelzen weiter. Inzwischen hat sich auch die Politik wieder daran erinnert, dass es noch ein anderes Problem gibt neben der Pandemie, das gravierende Folgen haben wird, wenn wir nicht sofort handeln.

Damit das Thema im Bewusstsein bleibt, hat der in Maising lebende Komponist das Werk geschrieben. Es trägt inzwischen den neuen Arbeitstitel "Our World is on Fire!", frei nach einem Satz aus der Rede der schwedischen Umweltaktivistin Greta Thunberg, die sie auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos hielt. Mehrere Passagen dieser Ansprache finden sich im "An Oratorio-for-our-Future", das ursprünglich Friday-for-Future-Oratorium heißen sollte, "weil sie die ganze Sache sehr gut auf den Punkt bringt", so Bartesch, allerdings jetzt nur noch sinngemäß. Gerne hätte er Thunberg direkt zitiert, doch die Schülerin sei von Agenturen in Beschlag genommen, deren Auflagen strikt seien.

Der Komponist steht hinter der Fridays-for-Future-Bewegung. Er mischt und diskutiert gerne mit. Was Greta Thunberg in Davos sagte, kann er mit unterschreiben. Klimarettung ist auch sein Anliegen, das gerade durch den Lockdown vor der einzigartigen Chance stehe, mit einem wohldurchdachten Neustart endlich durchzudringen. Ein Weiter-wie-zuvor dürfe es jedenfalls nicht geben, darüber sind sich alle Klimaaktivisten einig. Die Diskussion über das Wie ist längst entbrannt.

Aber nicht nur Thunbergs Ideen finden sich im Libretto der Komposition, die ein "Oratorium von der Form her" ist, wie Bartesch sagt. Durchaus ein sakrales, denn den englischen Texten stehen Worte in Italienisch von Franz von Assisi aus dem 13. Jahrhundert gegenüber. Sie bringen mit dem eindringlichen Sonnengesang, der Lobeshymne auf die Schöpfung, die Thematik auf eine philosophische Ebene. Damit alles unter dem thematischen Bogen einen einheitlichen Sinn ergibt, fügte der Librettist Danny Antonelli, ein multilingualer Globetrotter aus Triest (Italien), seine eigenen Worte hinzu, die aus der gegenwärtigen Perspektive heraus konsum- und wachstumskritisch provozieren. Beispielsweise heißt es da: "Lasst die Schuldner bluten, / reduziert Eure Ausgaben radikal / zieht die Profite ab / streicht die Verluste / seid die Inhaber, / seid der Boss!"

Ein so charakterisiertes Werk hat kaum Vorläufer, auf die sich Bartesch hätte musikalisch stützen können. Es war "nicht so leicht, eine Struktur zu finden, die angemessen, aber nicht zu popartig ist", sagt er zur formalen Problematik. Erschwerend kam hinzu, dass die Bestimmung der No-Budget-Arbeit bestimmte Vorgaben mit sich brachte. Denn ein Münchner Chor, der Barteschs "Tyroler Requiem" aufführen will, bat zur Ergänzung um ein weiteres Werk in gleicher Besetzung. Das heißt: zwei Solisten, großer gemischter Chor, Stubenmusik, kleines Blasorchester, vier Schlagzeuger und Orgel. Eine farbenreiche Besetzung, der Bartesch effektvolle Wirkungen abgewinnt. Die elektronisch generierte Demo-Version stellte der Komponist online, wo sie nach wenigen Stunden 160 Zugriffe verzeichnete. Aktueller Stand: fast 500. Bei dem Werk handelt sich nicht um eine avantgardistische Schöpfung. Barteschs filmmusikalischer Background ist deutlich herauszuhören.

Studiert hatte er zunächst Waldhorn, er spielte anschließend vier Jahre lang in Orchestern, so auch unter Giuseppe Sinopoli im Orchester der Dresdner Semperoper. Als passionierter Volksmusikant und Jazzmusiker gab es da aber auch das zweite Standbein mit Horn und Alphorn. Technikaffin baute er zudem ein Studio auf. An die Hochschule kehrte Bartesch zunächst in die Klasse für Lehramt an Gymnasien zurück, um gleich auch die Chance zu ergreifen, in die neu eingerichtete Filmmusikklasse einzusteigen. Beim Dirigieren und Komponieren war er nun endlich am Ziel angelangt, all seine Fähigkeiten und Interessen einsetzen zu können, die er dann auch fünf Jahre lang als Dozent an der Hochschule vermittelte.

Mittlerweile kann Bartesch auf einen großen Werkkatalog verweisen: Gut hundert Filmmusiken hat er geschrieben, unter anderem für Matthias Kiefersauers Komödie "Falsche Siebziger" und Jens Schanzes "La Buena Vida - Das gute Leben", dazu E-Musik, ob für Solisten, Chöre oder Orchester, und Jazz- und Popsongs. Unter den eingeheimsten Auszeichnungen findet sich der erste Preis beim Kompositionswettbewerb Paradisi Gloria des Bayerischen Rundfunks für Neue sakrale Musik, den er 2007 mit seinem "Magnificat in modo moventium picturarum" errang.

Bei dem Oratorium geht es Bartesch nicht nur um Musik, sondern um ein Werk, "das Anstöße geben kann". Zwei Münchner Filmemacher haben schon Interesse angemeldet, Bilder zur Komposition zu schaffen. Geplant sind verschiedene Formate, etwa für Konzerte mit Videozuspielung, für eine Installation in Planetarien oder für ein Virtual-Reality-360-Grad-Musikvideo, das mit einer VR-Brille angeschaut werden kann. Eine spezielle Codierung soll die Prioritäten so setzen, dass sich der abgespielte Film in der Geschwindigkeit der live gespielten Musik anpasst.

"Our World is on Fire" soll am 14. November dieses Jahres in der Münchner Himmelfahrtskirche vom Maria-Ward-Chor unter der Leitung von Thomas Baron uraufgeführt werden. Sofern es die Corona-Beschränkungen denn erlauben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4915538
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.05.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.