Süddeutsche Zeitung

Fünfseenland öffnet Biergärten:"Ich bin so aufgeregt wie seit 20 Jahren nicht mehr"

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Viele Wirte im Landkreis Starnberg können es kaum erwarten, nach der langen Corona-Pause wieder Gäste im Freien zu bedienen. Zwei der bekanntesten Wirtschaften bleiben aber noch geschlossen.

Von Astrid Becker, Starnberg

Das neue Lebensgefühl beginnt schon am Sonntagvormittag. Das herbstliche Grau ist verschwunden, das Thermometer steigt schon morgens unaufhörlich in Richtung Sommer. Statt sich in den eigenen Wänden einzuigeln, strömen die Menschen ins Freie, an die Seen, manche in Bikini und Badehose. Ein perfekter Tag also, um sich nach mehr als einem halben Jahr auf Lockerungen der Corona-Regeln einzustimmen, die so viele Menschen herbeigesehnt haben: mal wieder einen Biergarten aufzusuchen, sich Essen und Trinken servieren zu lassen, sich im Café im Freien Eisbecher und Kuchen schmecken zu lassen.

Viele Gastronomen im Landkreis Starnberg haben sich die Wiedereröffnung ihrer Lokale auch von Herzen gewünscht, manche sind aber auch angesichts der Geschwindigkeit, in der nun die Lockerungen in der Gastronomie beschlossen worden sind, überfordert. Etwa der wahrscheinlich bekannteste Biergarten im Fünfseenland, das "Bräustüberl" von Kloster Andechs. Dort sieht man sich außerstande, binnen kürzester Zeit den Betrieb von Null auf 100 hochzufahren und will daher erst am 22. Mai wieder Gäste bewirten.

"Ein großer Betrieb ist wie ein Dampfer, den man plötzlich wieder in Bewegung setzen muss", beschreibt es Gerda Reichert vom Herrschinger Seehof. Sie ist daher froh, dass sie an diesem Sonntag ihren Biergarten noch nicht öffnen darf, sondern nur an ihrer Schänke Speisen und Getränke anbietet, wie schon an vielen anderen schönen Tagen zuvor: "Was glauben Sie, was da los wäre? Da hätte ich wirklich Schiss bekommen." Wegen der noch nicht eingespielten Abläufe beim Personal nach mehr als einem halben Jahr Pause, wegen der neuen Regeln, die einzuhalten sind.

Reichert öffnet daher erst einmal nur den Selbstbedienungsbereich ihres Biergartens. Stühle und Tische dafür baut sie wegen der Lage ihrer Freischankflächen direkt am Ammersee erst am Montagmorgen auf: "Sonst setzen sich am Sonntag schon alle hin, was ja nicht sein darf." Zwei entscheidende Vorteile hat sie: Bei ihr gibt es Speisen und Getränke "to go" schon seit Langem, die Küche läuft also schon. Und: Sie hat ein Corona-Schnelltestzentrum im Haus, was es ihren Gästen erleichtern wird. Ohne negativen Test, zweifache Impfung oder Bescheinigung, von Covid genesen zu sein, ist ein Biergartenbesuch derzeit nicht möglich.

Sabri Konxheli von der Kraillinger Brauerei hat sich noch am Freitagmittag eine Firma organisiert, die auf dem Parkplatz vor seinem Biergarten ein Schnelltestzentrum einrichtet: "Sonst hätten meine Gäste nach Planegg gemusst, das fand ich dann für sie zu kompliziert." Nun können sich die Bürger bei ihm testen lassen, zumindest bei Biergartentemperaturen - selbst wenn sie gar nicht einkehren wollen. Auch er gehört zu denjenigen, die schon lange Essen und Trinken "to go" anbieten.

Seine Außengastronomie, also Biergarten und Terrasse, wieder zu öffnen, sieht er als "selbstverständlich" an: "Man will ja endlich wider Gäste bewirten - auch wenn vielleicht am Anfang nicht alles reibungslos klappt: Ich bin jedenfalls so aufgeregt, wie seit 20 Jahren nicht mehr", sagt er, und seine Stimme klingt fast nervös. Seinen großen Biergarten mit etwa 1500 Plätzen und seine Terrasse mit Bedienung, auf der normalerweise etwa 200 Gäste Platz finden, will er etwa zur Hälfte bestuhlen: "Ich richte mich nach den Bestimmungen des vergangenen Sommers", erzählt er noch am Freitag, "was anderes bleibt mir im Moment nicht übrig."

Über die vielen lange offen gebliebenen Fragen, spricht auch Alexander Urban vom Midgardhaus in Tutzing: "Wahrscheinlich erfahren wir wieder mal erst um Mitternacht, was wir dürfen", spöttelt er noch am Freitag. Denn zunächst war nicht klar, ob aus den geplanten Öffnungen wirklich etwas wird und was genau dabei beachtet werden muss.

Das Landratsamt hatte dafür - nach dem Kabinettsbeschlusses von Anfang vergangener Woche - einen Antrag bei der Regierung auf Ausnahmegenehmigung für Öffnungen gestellt. 13 solcher Anträge aus Bayern musste das bayerische Gesundheitsministerium prüfen. Während etwa der Kreis Tirschenreuth die Genehmigung am frühen Freitagnachmittag in den Händen hielt, musste die Starnberger Kreisbehörde bis 17.30 Uhr darauf warten.

Für die Wirte ist das ein Problem: Denn um den Betrieb wieder hochzufahren, müssen sie Ware ordern und vorhalten, Personal rekrutieren, Abläufe wieder neu einstudieren - und gleichzeitig Gäste beruhigen, die angesichts des schönen Wetters am Sonntag nicht verstehen, warum sie sich noch nicht niederlassen dürfen: "Bei uns stand schon in den vergangenen Tagen das Telefon nicht still", sagt Urban. Tatsächlich ist der Andrang bei ihm am Seeufer von Tutzing am Sonntag groß: Sonnenhungrige haben im angrenzenden Brahmspark Decken ausgebreitet, verzehren, was sie mitgebracht haben oder sich bei Urban geholt haben. Er selbst ist währenddessen damit beschäftigt, Stühle und Tische aufzubauen und mit dem Meterstab die Abstände auszumessen: Eineinhalb Meter von Stuhllehne zu Stuhllehne auf der Terrasse des Midgardhauses, zwei Meter Abstand sind es wiederum im Biergarten: "Wir machen das jetzt so", sagt er. "Da ergibt es sich von allein, wie viele Gäste wir maximal bewirten können."

Doch nicht nur die lange Wartezeit auf die Genehmigung, sondern auch andere Vorstellungen der Entscheider in der Regierung lassen so manchen Wirt den Kopf schütteln. Etwa, wenn es um die vorgeschriebenen Tests geht. Till Weiß vom Augustiner am Wörthsee sagt: "Wenn da ein Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf die Idee kommt, wir Wirte könnten unseren Gästen in der Nase herumfuhrwerken, dann weiß ich eines: Der Mann hat von Gastronomie herzlich wenig Ahnung." Weiß stellt daher einen Tisch vor die Tür, an dem sich Gäste unter Aufsicht selbst testen können. Und er hat das Zelt zur Verfügung gestellt, das am Parkplatz gegenüber des Rathauses in Wörthsee, in unmittelbarer Nähe zu Weiß' Wirtschaft nun ein Schnelltestzentrum beherbergt: "Da haben nun alle etwas davon: Meine Gäste und alle anderen Bürger."

Ganz so weit ist man in Andechs noch nicht. Dort steht am Sonntag zwar der Wirt des "Bräustüberls", Josef Eckl, hinter dem wiedereröffneten Kiosk und grillt Würstl für die Passanten und berichtet auch von einem Schnelltestzentrum, das auf dem Parkplatz des Klosters eingerichtet werden soll. Aber noch ist das nicht der Fall - und das wird auch noch dauern: "Wir eröffnen erst am 22. Mai, weil wir sicher sein wollen, dass sich Gäste wie Mitarbeiter wohlfühlen", sagt der Pressesprecher des Klosters, Martin Glaab. Dabei sei viel zu beachten, viel zu organisieren: "Bei uns stand ja alles still: Wir müssen allein unsere gesamten Kühlhäuser sichten, das geht nicht von jetzt auf gleich."

Drastischer formuliert es noch der Wirt des "Klostergasthofes", Ralf Sanktjohanser. Auch dieses Lokal am Heiligen Berg hatte seit Anfang November des vergangenen Jahres geschlossen: "Wer glaubt oder behauptet, der Betrieb sei innerhalb so kurzer Zeit problemlos aufzunehmen, der lügt." Er müsse ja erst einmal ausreichend viel Frischware organisieren, und viele Lieferketten seien in der Pandemie unterbrochen worden: "Viele Hendlzüchter haben keine Hendl mehr gezüchtet. Viele Fischzüchter keine Fische mehr - all das muss ja auch erst wieder anlaufen." Sein Klostergasthof bleibt daher vorerst ebenfalls noch zu: "Wahrscheinlich auch bis zum 22. Mai."

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SZ vom 10.05.2021
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