Süddeutsche Zeitung

Wohnungsbau am Ammersee:30 Millionen Euro zum Erhalt des Dorflebens

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Utting errichtet 88 günstige Mietwohnungen für Bürger mit mittleren Einkommen, die sich ehrenamtlich engagieren.

Von Armin Greune, Utting

Natürlich hätte Bürgermeister Florian Hoffmann lieber einen "großen Spatenstich" zum Auftakt des Uttinger Wohnbauprojekts auf dem Schmuckergelände zelebriert. Doch mitten in der Pandemie sei eine Einladung aller Gemeinderäte und am Bau Beteiligten nicht zu vertreten. So begnügte man sich mit einer kleinen Feier für ein großes Vorhaben, das längst weit über den Ammersee hinaus von Kommunen aufmerksam beobachtet wird: Utting will Wohnraum für rund 200 Bürger mit mittleren Einkommen schaffen. Dazu übernimmt die 4500-Seelen-Gemeinde die Regie über Planung, Bau, Vergabe und Vermietung der 88 Wohnungen. Erklärtes Ziel des Gemeinderats ist, so Einfluss auf die soziale Struktur im Ort zu nehmen: Mit mäßigen Mietpreisen sollen junge Familien gehalten oder angezogen werden, die sich aktiv am Dorfleben beteiligen, aber die exorbitanten Wohnkosten auf dem freien Markt nicht bezahlen könnten.

Mit dem Problem sehen sich alle Kommunen im Umkreis von München konfrontiert. Der anhaltende Immobilienboom hat im landschaftlich reizvollen Fünfseenland fast flächendeckend zu vierstelligen Quadratmeterpreisen geführt, die auch die Mieten in die Höhe treiben. Die dennoch Hinzugezogenen bescheren Städten und Gemeinden vielleicht höhere Steuereinnahmen - mittelfristig aber auch einen Verlust an Bewohnern, die als Einzelhändler und Handwerker die Infrastruktur im Ort aufrecht erhalten oder sich ehrenamtlich für Sport, Kultur und Natur engagieren.

Den wohlhabenden Neubürgern fehlen dazu meist die familiären und freundschaftlichen Bindungen, die sich über Jahre im Ort entwickelt haben. Hinzu kommt oft eine hohe berufliche Beanspruchung oder ein fortgeschrittenes Alter. Und nicht wenige dieser einkommensstarken Haus- und Villenbesitzer leisten sich noch weitere Wohnsitze und sind nur saisonal oder gelegentlich in Oberbayern daheim.

Welchen Sinn aber hat es für Kommunen, wenn sie von ihren hohen Steuereinnahmen Sporthallen oder Veranstaltungssäle errichten - es dann aber an Bürgerengagement mangelt, um die Spielstätten mit Leben zu erfüllen? Diese Frage hatte man sich in Utting schon gestellt, bevor der Gemeinderat 2015 eine Vorkaufsatzung erließ, um den ehemaligen Schmucker-Hof im Ortszentrum dem Zugriff von Spekulanten zu entziehen. Im Folgejahr erwarb Utting für etwa 4,5 Millionen Euro ein Immobilienpaket der Erbengemeinschaft.

Kernstück ist eine 11600 Quadratmeter große Wiese zwischen den Häuserzeilen entlang der Landsberger, Schondorfer und Hechenwanger Straße. Für Bauabwicklung und Verwaltung der Wohnhäuser gründete Utting ein Kommunalunternehmen. 14 Wettbewerbsbeiträge in Großprojekten erfahrener Büros gingen zur Architektur des Wohnquartiers auf dem Schmucker-Areal ein.

Ende 2017 wählte die Jury einstimmig den städtebaulich reizvollen Entwurf des Münchner Planerbüros "WWA Wöhr Heugenhauser" aus. Sie wollen eine Gebäudekette aus sechs unterschiedlich großen Segmenten mit versetzten Pultdächern realisieren. Die einzelnen Häuser unterscheiden sich in Fassadenmaterial, Höhen und Längen. Auch aus Gründen des Klimaschutzes wurde eine Holz-Hybrid-Bauweise gewählt: Tiefgarage, Keller und Treppenhauskerne bestehen aus Beton. Decken, tragende Wände und Fassaden werden aus Holz gefertigt und effektiv mit Zellulose und Holzfasern gedämmt, um Heizkosten zu minimieren. Alle Wohnungen sind barrierefrei konzipiert und mit Terrassen oder Balkonen ausgestattet. Neben den 88 Ein- bis Fünfzimmerwohnungen soll ein großer Gemeinschaftsraum mit Küche an der Schondorfer Straße entstehen, außerdem ist ein großer öffentlicher Spielplatz vorgesehen. Die zentrale Grünanlage des Quartiers bietet Platz für Privatgärten und öffentliche Treffpunkte.

Die Baukosten werden auf 30 Millionen Euro geschätzt. Utting muss damit rechnen, dass der kommunale Schuldenberg bis 2022 auf 26 Millionen Euro anwächst, aber die Finanzierung ist gesichert: Kürzlich kam der Förderbescheid der Regierung von Oberbayern, der 12,8 Millionen Zuschuss und 17,8 Millionen günstiges Darlehen in Aussicht stellt. Die meisten Wohnungen sollen bis Frühjahr 2023 bezugsfertig sein. Bewerbungen von Interessenten werden erst nach Fertigstellung des Rohbaus Anfang 2022 entgegengenommen. Bis dahin muss der Gemeinderat noch die Vergabekriterien festlegen: Anders als etwa beim Starnberger Einheimischenmodell Wiesengrund will man einen Punktekatalog erarbeiten, der eine genaue Differenzierung der Bewerber ermöglicht.

Beim Spatenstich im kleinen Kreis meinte Hoffmann, das Projekt werde "den örtlichen Immobilienmarkt wesentlich entspannen". Er dankte unter anderen seinem Amtsvorgänger Josef Lutzenberger als "Vater des Projekts". Als man dann gemeinsam zu den Schaufeln griff, wurde klar, dass der "große Spatenstich" bereits vorab stattgefunden hatte. Ein Bagger musste das Erdreich vorbereiten - sonst hätten die Honoratioren gegen den hart gefrorenen Boden keine Chance gehabt.

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SZ vom 15.01.2021
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