Süddeutsche Zeitung

Kino:Die Ware muss stimmen

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Das Kino hat trotz der digitalen Umwälzungen und trotz Anbietern wie Netflix eine Überlebenschance. Voraussetzung ist aber, dass die Filme Qualität haben und das Publikum auch davon erfährt

Von Matthias Helwig

Die Zeiten ändern sich. Das Kino durchschreitet eine Phase epochaler Umwälzungen, bedingt durch den fundamentalen Wandel im Medienverhalten der Generationen. Was bedeutet das für das Kino in seiner Funktion als Kulturort in Deutschland - und noch spezifischer in der Starnberg-Ammersee-Region? Noch ist das Kino ein Erlebnisort kultureller Vielfalt, sozialer Treffpunkt für Menschen in der Stadt und in der Region, ist Multiplikationsfaktor, generations- und herkunftsübergreifend und unverzichtbarer Bestandteil kulturellen Lebens in der Stadt und in der Region.

Kino ist mehr als 100 Jahre alt, überwiegend mittelständisch und Wirtschaftsfaktor, was schon das Problem beinhaltet. Für die einen ist Kino ein reiner Gewerbebetrieb, den man nicht unterstützen muss, weil Film eine Ware ist wie die Wurst an der Fleischertheke. Für die anderen ist Kino Abspielort einer Kunstrichtung, so wie ein Museum für Malerei, oder ein Literaturhaus für Literatur. In Deutschland hat sich im Gegensatz zu Frankreich oder anderen europäischen Ländern durchgesetzt, dass Kino eher nicht zur Kunst gehört, sondern reine Unterhaltung ist. Immer wieder aber gelingt es deutschlandweit Programmkinos, auch ihre Gemeinden und Städte davon zu überzeugen, dass die Filmkunst eine zu bewahrende und zu fördernde ist.

Im Landkreis Starnberg gibt es auch darüber unterschiedliche Ansichten. Gerade das Kino kann aber in Zeiten zunehmender digitaler Vereinsamung und kulturferner Xenophobie an Bedeutung als ein Ort des Austauschs von Menschen und Kultur sein. Kino ist der Tempel des Sehens, die höchste Veredelungsstufe für den Film.

Hat dieses Kino als tradiertes Kulturformat eine Zukunft angesichts der digitalen Umwälzungen? Wer Kino kennt und mit den Bildern auf der großen Leinwand aufgewachsen ist, hat daran kaum einen Zweifel. Wer Bilder aber eher auf dem Bildschirm daheim goutiert, wird gar nicht wissen, wovon wir sprechen.

In den vergangenen drei Jahren kamen im Vergleich fast ein Drittel weniger Menschen in die Kinos. Warum? Gleichzeitig wurden 2016 in Europa 2124 und damit 47 Prozent mehr Filme hergestellt als zehn Jahre zuvor. Für die Produzenten und Studios sicher ein gutes Zeichen, aber wer will das alles sehen? Wer kann das alles sehen? Dazu kommt noch, dass seit ein paar Jahren Anbieter wie Netflix auf den Markt drängen. Sie produzieren große Filme, um damit ihr Geschäft anzukurbeln, die Leute in ihre Kanäle zu locken, damit sie dort auch den anderen, vielleicht nicht so guten Filmstoff mitnehmen. Jetzt auf den Filmfestspielen in Venedig ist der vielleicht beste Film des Festivals und dieses Jahres - "Roma" von Alfonso Cuaron - von Netflix produziert, kommt also wahrscheinlich nicht ins Kino. Oder doch?

Wenn Kino der Tempel des Sehens ist, dann muss dieser Film in die Kinos, als Event. So wie am 22. und 23. September die größte Serienproduktion "Babylon Berlin" im Kino exklusiv zu sehen sein wird. Kino wird Event und bleibt Premiumware. Jeder große, gut gemachte Film muss ins Kino.

Aber kann Kino überleben, wenn es sich von einem Event zum anderen hangelt? Von einer Opernaufführung zu einem Serienwochenende? Kino war immer täglich da. Es gehörte dazu, früher in jeder Gemeinde, jetzt nur noch in den größeren Gemeinden. Wenn es nicht mehr da ist, fällt ein Treffpunkt weg. Die Möglichkeit, mit einem völlig anderen Menschen einen Film zu sehen. In der Atmosphäre des Gemeinsamen etwas zu erleben. Das ist in der heutigen durchgetakteten Welt nicht messbar - und dadurch nur schwer vermittelbar. Aber wenn wir weiter die Innenstädte veröden und auf Treffpunkte verzichten, dann wird auch unsere Gesellschaft auf eine schiefe Bahn geraten.

Was muss also Kino tun, um wieder attraktiv zu werden, gerade für ein jüngeres Publikum, das eben nicht mehr so ins Kino geht wie die Generation vor ihm? Vor allem die Ware muss stimmen. Oft hat man das Gefühl, nichts Neues mehr zu sehen. Die Angst der Fernsehredakteure - und auch der Gesellschaft - vor dem Ungewohnten und nicht Normierten führt zu den immer gleichen harmlosen Filmen. Dass Kino Premiumerlebnis ist, innovativ, avantgardistisch, belebend und bereichernd, ist nicht mehr offenkundig.

Und wenn Produktionen so beeindruckend sind wie zum Beispiel der auf dem letzten Fünfseen-Filmfestival im Wettbewerb gelaufene Film "Finsteres Glück" von Stefan Haupt oder der australische Western "Sweet Country", der 2017 in Venedig ausgezeichnet wurde und dieses Jahr auf meinem Festival zu sehen sein wird, warum erreichen sie nicht mehr Zuschauer? Analysen gibt es hierzu inzwischen zuhauf, doch kreisen sie zu sehr um den Akt der Produktion und die Sicherstellung der Finanzierung. Ein Apparat läuft heiß, ohne an das Ende zu denken. Das Ende der Verwertungskette sind das Kino und das Publikum. Dieses entscheidet mit dem Eintrittsgeld, was es sehen will.

Das Kino muss also gute Filme zeigen, und der Zuschauer muss erfahren, welche Filme gut sind. Dieses ist die Aufgabe aller, der Produzenten, Medien und Kinomacher: dem Zuschauer zu vermitteln, womit er entsprechend großartig belohnt wird. Das ist immer noch möglich, bevor die Kinos verschwinden.

Zwei Diskussionsrunden auf dem Fünfseen-Filmfestival gelten der Zukunft des Kinos. Am Freitag, 14.September, 19 Uhr, werden im Kino Gauting die Mitglieder der Dokumentarfilmjury − Produzentin Gabriela Bussmann aus der Schweiz sowie die Filmemacherinnen und Produzentinnen Alice Agneskirchner und Sandra Trostel− unter der Moderation von Nicole Joens über die Zukunft des Dokumentarfilms sprechen. Brauchen Dokus die große Leinwand? Haben sie in der Filmflut noch eine Verwertungschance, oder gibt es sie bald nur noch im digitalen Netz? Am Samstag, 15. September, 11.30 Uhr, sprechen im Kino Gauting unter Moderation von Festivalleiter Matthias Helwig die Produzenten Tobias Hermann und Till Derenbach, die Regisseure Edgar Reitz und Felicitas Darschin, sowie YouTuber Steve Heng über die Zukunft des Kinos. Edgar Reitz hat als Schirmherr und Mitinitiator des Kongresses zu Perspektiven der deutschen Film- und Kinokultur Zukunft deutscher Film vor kurzem vier Thesen veröffentlicht, über die sich trefflich reden lässt: 1. Der deutsche Gremienfilm hat ausgedient. 2. Das Fernsehen muss sich vom Kinofilm komplett zurückziehen. 3. Wir brauchen das Kino als Ort der Filmkultur. 4. Wir fordern Filmbildung in allen Schulen.

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Quelle:
SZ vom 06.09.2018
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