Süddeutsche Zeitung

Starnberger See-Kino:Auf dem Gipfel der Musik

Lesezeit: 4 min

Regisseur Walter Steffen aus Seeshaupt hat die Konzert-Wanderung der Jazzer Matthias Schriefl und Johannes Bär von Andelsbuch nach Maria Rain in einer Doku festgehalten. Sein bisher wohl schönster Film könnte sein letzter als Produzent sein.

Von Gerhard Summer, Seeshaupt

Dieser Gipfelsturm ist ein Gag. Die beiden Wanderer ächzen und stöhnen, klettern mühsam über die Felsen und ziehen sich scheinbar mit letzter Kraft nach oben. Als sie endlich neben dem großen hölzernen Kreuz stehen, fragt Johannes Bär außer Atem: "Matthias, wo samma grad?" Und Matthias Schriefl antwortet: "Wir sind auf'm Brupfler", 2968 Höhenmeter. Kann das sein? Schnell aufs Handy geschaut: Die Zugspitze ist sechs Meter kürzer. Wenig später geht die Kamera in die Totale und man sieht: Das angebliche Massiv mit dem lustigen Namen ist ein besserer Maulwurfshügel, ein kleiner Felsenbuckel auf Wiesengrund.

"Auf Tour - z'Fuaß" heißt der neue Streich des Seeshaupter Regisseurs Walter Steffen, der nächste Woche in den Kinos anläuft. Die Dokumentation einer kühnen Unternehmung in Pandemie-Zeiten ist sein bisher vielleicht schönster, weil stimmigster Film überhaupt. Denn in diesem Fall fügt sich alles zu einer großen, irrwitzigen und sehr unterhaltsamen Gipfelmusik: die stimmungsvollen, aber nie übertrieben kunstvollen Bilder, die Kameramann Michael Baumberger von der konzertanten Wanderung durch die Vorarlberger, Tiroler und Allgäuer Alpen gemacht hat, die scheinbar aus dem Ärmel geschüttelte, dabei extrem anspruchsvolle Musik der beiden Jazzer Schriefl und Bär genauso wie die witzigen und liebevollen Zeichnungen von Rudi Hurzlmeier. Der Cartoonist skizziert jeweils die Etappen der beiden Männer. Der Zuschauer sieht nur seine Hand mit Stift, und weil die Kamera das alles im vierfachen Tempo festhält, scheint Hurzlmeier unter die Schnellzeichner gegangen zu sein.

Vor allem aber lebt dieser Film von Schriefl und Bär von zwei ziemlich genialen Musikern, die jederzeit in der Lage wären, dem Teufel die Hörner weg zu pusten. Matthias Schriefl spielt schon mal zwei Trompeten gleichzeitig und begleitet sich noch auf der Ziehharmonika. Auch Johannes Bär, der als Multiinstrumentalist der Gruppe HMBC mit dem schrägen Song "Vo Mello bis ge Schoppornou" einen Hit gelandet hat, bläst und klappert nebenbei mit Percussion-Instrumenten, was das Zeug hält. Aufs Alphorn verstehen sich die beiden natürlich auch, das klingt zuweilen fast so, als spielten sie darauf Trompete. Und bei ihren Konzerten auf Almen und Berghütten lassen sie's rauschen: Mal nehmen sie sich Volksmusik vor oder ein Stück der Oberkrainer, mal veräppeln sie Schlager, variieren einen Standard von Irving Berlin oder stimmen Improvisationen wie den "Vorarlberger Problembär", den "Iseler" oder "Afro Alphorn" an. Zwischendrin räsonieren sie über Wiedergeburt und die Sangeskunst der Vögel, die nach dem Fixprogramm mit "Mozart, Beethoven, Bach und Gospel" zur Kür übergingen. Sprechen über Natur, Freundschaft, ihre eigene, fast schon brüderliche Beziehung und darüber, warum sie keine Kinder haben ("des g'langt, wenn ein so Trottel rumlaft"). Und singen schon mal "Alle meine Entchen" rückwärts. Ob im Gepäck noch Platz für Duschzeug ist? Ach was, wer will schon duschen!

Die beiden langhaarigen Naturburschen hatten sich im Corona-Sommer 2020 einen Traum erfüllt, als der Konzertbetrieb mehr oder minder zum Stillstand gekommen war. Sie machten sich Ende Juli mit Wanderstöcken, Hüten und Sonnenbrillen vom Geburtsort des einen zum Geburtsort des anderen auf: von Andelsbuch im Bregenzer Wald nach Maria Rain im Oberallgäu. Sie schnurrten die 200-Kilometer-Strecke, die über 8000 Höhenmeter führte, in acht Tagen ab. In zwei Rucksäcken schleppten sie 55 Kilogramm schwere Instrumente mit, darunter zerlegte Alphörner, zwei Trompeten, Bass-Tuba, Akkordeon und Flügelhorn. Auch wenn manchmal Fans mitliefen und Schriefl und Bär ein wenig Last abnahmen - "das sind schon unfassbare Bergziegen", sagt Walter Steffen.

Der Filmemacher inszenierte die Doku, die wie fast alle seine Filme ein wenig zu lang geworden ist, diesmal aus der Ferne: Er selbst war nur bei drei Auftritten am Wegesrand dabei und übernahm die immer wieder eingeblendeten Interviews der Musiker bei einem Gastspiel in der Münchner Unterfahrt. Die eigentliche Tour begleiteten Co-Regisseur Michael Baumberger mit der Kamera und Tonmann Marco Schwarz. Die beiden seien teilweise die doppelten Wege gegangen, um Szenen vorzubereiten, sagt der 67-jährige Steffen. Er selbst hätte mit Bär und Schriefl gar nicht mehr Schritt halten können. Letztlich sei "Auf Tour - z'Fuaß" eine dokumentarische Komödie geworden, findet der Seeshaupter: "Immer wieder ist da die Leichtigkeit des Seins."

Der Film läuft am 9. Juni in 30 Kinos an

Womöglich ist Steffens 16. sogenannter Langfilm auch sein letzter als Produzent. Er wolle nicht mehr für den Vertrieb und die aufwendige Finanzierung seiner Projekte verantwortlich sein, sagt der Regisseur. Steffen ist inzwischen Rentner, spätestens im nächsten Jahr will er kürzer treten, sein kleines Kino für maximal 40 Besucher nebenan vermieten und sich aufs Schreiben konzentrieren. An einem Garderobenhaken hinter ihm hängen braune Boxhandschuhe. Sein Vater hat sie ihm geschenkt, ein "sehr guter Boxer, der meinen Bruder und mich auch trainiert hat", erzählt er. Sein Bruder Rudi sei mit 33 Jahren in den Bergen tödlich verunglückt, eines seiner nächsten Drehbücher werde sich damit auseinander setzen.

Der Mann mit den langen, zurückgekämmten grauen Haaren, der seine Bürowände mit Plakaten seiner Dokus wie "Netz und Würm", "Zeug und Werk", "Alpgeister" oder "Bavaria Vista Club" gepflastert hat, stammt aus Oberstdorf. Er hat schon im Allgäu Filme gedreht, ein Super-Acht-Experiment etwa über die Fantasien eines Bodybuilders, bevor er zum Vorzeige-Heimatfilmer des Fünfseenlands geworden ist und das Streaming-Portal "Ola TV" aufgebaut hat. Erst mit 28 Jahren zog es ihn nach München. Er absolvierte ein Praktikum am Theater der Jugend und ein Volontariat bei Filmregisseur Michael Verhoeven. Zuvor war er Skilehrer, Hüttenwirt und Schankkellner gewesen. Hatte im Hafen Rotterdam Öltanks geschrubbt, Land vermessen und auf dem Bau und in einer Kalkfabrik gearbeitet. Nur als Taxifahrer habe er nie gejobbt, das sei wohl mehr was für Germanistikstudenten, sagt Walter Steffen und lacht.

Kinopremiere von "Auf Tour - z'Fuaß" ist am 8. Juni, 20 Uhr, im Münchner Rio-Filmpalast, Matthias Schriefl will zu der Vorstellung kommen. In etwa 30 Lichtspielhäusern läuft der Film am 9. Juni an, im Kino Starnberg gibt es am 15. Juni, 19.30 Uhr, ein Filmgespräch mit Walter Steffen.

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