Süddeutsche Zeitung

Debatte um Legalisierung:Volksdroge Nummer drei

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Alkohol und Tabak sind gesellschaftlich akzeptiert. Ums Kiffen dagegen wird noch immer vehement gestritten. Selbst bei der Polizei ist man geteilter Meinung, ob eine kontrollierte Cannabis-Abgabe funktionieren kann.

Von Linus Freymark, Gilching

Im November 1993 fasst der Bundesparteitag der SPD einen Beschluss, der Burkhard Blienert noch heute beschäftigt. Der Sucht- und Drogenbeauftragte der aktuellen Bundesregierung reist gerade viel durch das Land und erklärt all jenen, die es wissen wollen, warum seine Sozialdemokraten nun gemeinsam mit Grünen und FDP die Legalisierung von Cannabis umsetzen wollen. Blienert denkt dabei oft zurück an den Herbst 1993, als sich die SPD auf ihrer Versammlung in Wiesbaden dafür aussprach, die repressive Drogenpolitik auf den Prüfstand zu stellen und weiche Drogen wie Cannabis unter strengen Vorgaben zu legalisieren.

Dass es damals nicht dazu kam, ist bekannt. Kanzler war seinerzeit Helmut Kohl von der CDU, ein Mann, der gerne mal ein Pfeifchen rauchte, aber nur schwer mit einem Joint zwischen den Fingern vorstellbar gewesen wäre. Auch die SPD legte in den Jahren nach dem Beschluss immer mal wieder eine Kehrtwende hin, auch Kohls Nachfolger Gerhard Schröder war eher dem Konsum kubanischer Zigarren zugetan als einer Reform der Drogenpolitik. Deshalb sagt Blienert: "Wir sind in den 1990er-Jahren weiter gewesen."

Nun aber hat sich die Ampel eine neue Drogenpolitik in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, die verkürzt ausgedrückt so aussieht: weniger Strafen, mehr Prävention. In ein paar Wochen wollen SPD, Grüne und FDP den Gesetzesentwurf dazu vorlegen. Das Vorhaben führt zu erbitterten Diskussionen: Die einen sind der Meinung, durch die Legalisierung würde sich Deutschland ein neues Problem heranzüchten; die anderen sagen: Das Problem ist längst da, es wird schon jetzt so viel gekifft, dass eine Freigabe unter strengen Auflagen, flankiert von einer Reihe von Präventionsangeboten, der bessere Weg ist. Wegen dieser Kontroverse organisieren die Regierungsparteien gerade eine ganze Reihe von Veranstaltungen, um das Scheitern der bisherigen Drogenpolitik zu belegen und um für ihre Pläne zu werben.

Am Montagabend hat die SPD deshalb ins Gilchinger Rathaus geladen, um über das "Scheitern der restriktiven Drogenpolitik in Bayern" zu debattieren. Neben dem Drogenbeauftragten Blienert ist auch die Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge als Moderatorin da, von der Suchtberatungsstelle Condrobs ist Veronika Mentzel gekommen. Alle drei befürworten die Legalisierung, plädieren aber für strenge Auflagen.

Auch die Polizei ist vertreten, und das gleich doppelt: Während die Kreisrätin und Polizistin Christiane Feichtmeier als Vertreterin der Gewerkschaft der Polizei (GdP) einer Legalisierung unter genauen Vorgaben durchaus aufgeschlossen gegenübersteht, nimmt Thorsten Grimm von der anderen Arbeitnehmervertretung, der Deutschen Polizeigesellschaft (DPolG), die Gegenposition auf dem Podium ein. Auch das Publikum ist erstaunlich divers: Eine Psychologin, die sich Sorgen um den Jugendschutz macht, sitzt nur wenige Plätze entfernt von zwei Jungs mit kleinen, roten Augen und großen, grünen Buchstaben auf dem T-Shirt-Rücken: "Legalisierung aus Vernunft", steht da.

In den Polizeigewerkschaften gibt es unterschiedliche Ansichten

Fast alle nicken, als Wegge sagt: "Wir haben Probleme im Umgang mit Drogen in unserer Gesellschaft." Die größten Probleme bereiten dabei nach wie vor Alkohol und Tabak, Blienert fordert deshalb, die Werbung für Bier, Schnaps und Zigaretten zu beschränken. Auch das Glücksspiel ist für den Sucht- und Drogenbeauftragten ein großes Problem. Es geht der Ampel also nicht nur darum, die kontrollierte Freigabe von Cannabis auf den Weg zu bringen, sondern auch in anderen Bereichen die Prävention auszubauen und einen neuen gesellschaftlichen Umgang mit Suchterkrankten zu finden. "Kriminalisierung ist nie hilfreich", gibt die Sozialpädagogin Mentzel den Politikern dafür mit auf den Weg.

Auch Feichtmeier findet es wenig zielführend, wenn sie und ihre Kollegen jeden Gelegenheitskiffer für Urintests mit auf die Wache nehmen müssen. Der aktuelle Kurs verhindere den Konsum nicht, erklärt sie. "Die Drogen sind ja da." Mit einer Legalisierung könne man den Schwarzmarkt austrocknen und auf die Qualität der verkauften Produkte Einfluss nehmen. Aus diesen Gründen hat sich Feichtmeiers GdP nach langem Zögern dafür entschieden, das Vorhaben der Ampel kritisch zu begleiten.

Die DPolG dagegen bleibt bei ihrer Linie. Man müsse zunächst seine Hausaufgaben bei Alkohol und Tabak machen, fordert Grimm. Man brauche "keine dritte Volksdroge in Deutschland". In anderen Belangen zeigt sich Grimm aufgeschlossener, Drogenkonsumräume sieht er durchaus als Einrichtungen, in denen Suchtkranke in sicherer Umgebung konsumieren können. "Das kann schon der richtige Weg sein", sagt er.

Auch Grimm ist wie Blienert gerade viel unterwegs, um seine Sichtweise zu vertreten. Nicht selten kassiert er dafür einen Shitstorm, vor allem im Netz ist der Ton rau. Er weiß auch, dass die Legalisierung wohl so oder so kommen wird. Trotzdem sitzt er immer wieder auf Podien, um wie in Gilching den Gegenpart zu spielen - und anders als so manchem CSU-Politiker gelingt es ihm dabei, auf Polemik zu verzichten und die Legalisierungsdebatte nicht zum Kulturkampf zwischen Joint und Maßkrug zu erklären.

Viele Fragen sind noch offen: Wo und wie soll die Abgabe von Cannabis stattfinden?

Es gibt ja auch noch einige Fragen zu klären: Wie und wo zum Beispiel soll die Abgabe von Cannabis stattfinden? Wie genau sollen die Präventionsangebote aussehen? Wer führt diese durch? Und was ist eigentlich mit den Grenzwerten im Straßenverkehr und bei der Arbeit? Das in Cannabis enthaltene THC baut sich - anders als Alkohol - erst sehr schnell und dann sehr langsam ab. Das führt aktuell dazu, dass man zwar eigentlich längst nicht mehr berauscht ist, bei einer Kontrolle aber trotzdem mit dem Verlust des Führerscheins rechnen muss. Klar, sagt Blienert, da müssen neue Grenzwerte her. Wie hoch die sein sollen, müsse man noch klären. Aber es sieht so aus, als würde die SPD gerade tatsächlich noch weiter gehen als im November 1993.

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