Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Ein Videotagebuch gegen die Angst vor dem Virus

Lesezeit: 4 min

Der Pöckinger Bundestagsabgeordnete Thomas Sattelberger ist positiv getestet worden - es geht ihm gut, er ist in häuslicher Quarantäne. Und er hat jede Menge Botschaften.

Von Christoph Koopmann, Pöcking

Es ist ein Schokoriegel, der Thomas Sattelberger dieser Tage vielleicht am meisten zum Lachen bringt. Das also soll seine Versorgung für Wochen in der Quarantäne sein? Sein Lebenspartner hat ihm den mitgebracht. Dabei sollte er doch eigentlich Reis und Erbsen kaufen. Da muss Sattelbergers Partner eben noch einmal losfahren, Proviant kaufen. Denn Sattelberger selbst darf schon nicht mehr in den Supermarkt, als er den Riegel am Samstagabend in die Kamera hält. Ein paar Stunden zuvor hat er einen Anruf bekommen. Da ahnte er schon, was kommen würde. Eine Ärztin war dran, sie hatte das Ergebnis seines Coronavirus-Tests: positiv.

Ein "kleiner Schock" sei das gewesen, sagt Sattelberger in die Kamera. Aber es gehe ihm recht gut. Der Film mit dem Schokoriegel ist keine zwei Minuten lang, Sattelberger postet ihn auf Instagram, Youtube, Facebook und Twitter. Von nun an wird er den Leuten jeden Tag in einem Videotagebuch erzählen, wie sich das Leben mit Covid-19 so anfühlt.

Normalerweise ist sein Terminkalender voll, er pendelt zwischen Berlin und München. Denn Sattelberger, 70, ist Abgeordneter der FDP im Bundestag, Wahlkreis München-Süd. Doch seit Samstag sitzt er in seinem Haus in Niederpöcking am Starnberger See fest.

Am Freitagmittag ist Sattelberger noch im Reichstagsgebäude. Gerade ging es im Bundestag um die Förderung der beruflichen Weiterbildung, doch viele Abgeordnete haben ihre Gedanken schon ganz woanders. Denn zuvor war bekannt geworden, dass zwei Fraktionskollegen von Thomas Sattelberger an Covid-19 erkrankt sind. Er hatte zuletzt zwar keinen engeren Kontakt zu den beiden, aber vorsichtshalber geht Sattelberger zwischen zwei Abstimmungen zu einer Bundestagsärztin, lässt sie einen Abstrich für den Coronavirus-Test machen. Um kurz nach 18 Uhr ist der Sitzungstag beendet und Sattelberger macht sich auf den Weg ins Wochenende, das er am Starnberger See verbringen will.

Doch in ein paar Kilometern Höhe, irgendwo über Ostdeutschland, merkt Thomas Sattelberger, dass etwas nicht stimmt. Er sitzt auf Platz 5F einer Lufthansa-Maschine von Berlin nach München, da wird ihm auf einmal heiß und schwindlig, seine Beine werden schwach. Und er bekommt eine Ahnung. Als am Samstagnachmittag dann die Nummer der Bundestagsärztin auf seinem Telefon aufscheint, endet die Routine des Abgeordneten Thomas Sattelberger vorerst, nun beginnt der Alltag des Corona-Aufklärers Thomas Sattelberger.

Videotagebuch, Tag eins, Sattelberger, dicke Brille und Bürstenhaarschnitt, sitzt in blauer Sweatjacke vor der Kamera. Er ärgert sich, dass er das Gesundheitsamt in München, der Stadt, in der er hauptsächlich lebt, nicht erreicht. Die Symptome, die er im Flugzeug spürte, seien aber nicht schlimmer geworden. "Ich werde Euch morgen Abend Bericht über den Tag zwei geben", mit diesen Worten schließt er seine erste Aufzeichnung.

Tag zwei, Folge zwei, Sattelberger trägt ein kariertes Hemd, sagt: "Ich bin ein bisschen schwach auf den Beinen, aber relativ klar im Kopf." Das Gesundheitsamt habe ihn am Sonntag immer noch nicht kontaktiert, dabei müsse er dringend seine Infektion melden.

Tag drei, Montag, graues Poloshirt. Immerhin habe er mittlerweile mit jemandem von der Lufthansa gesprochen, damit die anderen Fluggäste über das Infektionsrisiko informiert werden können.

Am Dienstag um 11.30 Uhr, es ist sein vierter Tag in Quarantäne, erzählt Sattelberger ausführlich, wie es ihm geht. Am Telefon, persönlicher Kontakt ist nicht angeraten. In der Nacht hat er schlecht geschlafen, immer wieder weckten ihn Schweißausbrüche. Dennoch klingt er beinahe aufgekratzt. "Sie erleben mich vital und voller Tatendrang", lacht er in den Hörer.

Ab und zu müsse er zwar husten, sagt er. Fieber habe er aber nur mäßig. "Ich gehe davon aus, dass die Krankheit bei mir mild verläuft." Medikamente, sagt er, brauche er derzeit nicht. Das gelte übrigens für die meisten Infizierten. "Ach, das schreibe ich mir auf für mein Video nachher, das muss ich den Leuten sagen." Und dann sagt Sattelberger einen bemerkenswerten Satz: "Selbst wenn es für mich mit der Krankheit schlimmer werden sollte, muss ich rational damit umgehen."

Es geht Sattelberger nicht nur um seine eigene Erkrankung, um seine Probleme mit dem Gesundheitsamt. Er will beruhigen, ganz allgemein, in diesen Tagen der Krise. Und erklären, warum die Menschen angesichts der Pandemie seiner Meinung nach keine Panik bekommen müssen. Obwohl, das ist ziemlich sicher, weitere Menschen an Covid-19 sterben werden. Aber: "Die überwiegende Mehrzahl wird es schaffen." Er sagt das im Ton eines Großvaters, der seinem Enkel die Angst vor Albträumen nehmen will. Es wird schon gut gehen, das ist seine Botschaft. Wenn die Leute jetzt zusammenhalten, wenn die Behörden ihre Arbeit erledigen, wenn Deutschland mehr Betten für Intensivpatienten herrichtet. Egal wie.

Sorgen macht sich Sattelberger gerade vor allem um seinen Partner, die beiden leben zusammen. Sie waren in der vergangenen Woche auch gemeinsam in Berlin. Während Sattelberger das erzählt, lässt sich sein Lebenspartner in München auf eine Infektion testen. Vorsichtshalber hat er sich schon freiwillig in Quarantäne begeben, der Arztbesuch ist eine Ausnahme. Obwohl sie zu zweit sind, ist die Isolation für Sattelberger das Schlimmste. Er und sein Partner gehen nur noch nacheinander in die Küche, zum Essen setzen sie sich an die Kopfenden des Tisches. "Es ist nicht angenehm, dem eigenen Partner im eigenen Haus aus dem Weg zu gehen", sagt Sattelberger.

Immerhin, er hat einen Garten, der oberbayerische Frühlingsbeginn entgeht ihm nicht völlig. Ein paar Quadratmeter Freiheit für einen, der sein ganzes Leben ruhelos war. Jahrzehntelang war Sattelberger Top-Manager, arbeitete bei Daimler, Lufthansa, Continental, Telekom. Nach seinem Ausstieg 2012 schrieb er, statt das Leben als Ruheständler zu genießen, eine Autobiografie. Titel: "Ich halte nicht die Klappe." 2017 schließlich zog er für die FDP in den Bundestag ein, mit 68.

Da verwundert es nicht, dass es Sattelberger auch in der Corona-Quarantäne nicht langweilig wird. Trotz der eingeschränkten Bewegungsfreiheit. Ab acht Uhr morgens schreibt er Mails, twittert über seine Erkrankung und das deutsche Gesundheitswesen, bereitet sein abendliches Video vor. Außerdem muss auch sein Podcast mit dem 19 Jahre alten Youtuber Fabian Grischkat weitergehen. Die jüngste Ausgabe erschien am Samstag, als Sattelberger von seiner Infektion erfuhr. Die Folge war lange vorher aufgezeichnet. In dieser Woche soll es wohl, wie könnte es anders sein, um Corona gehen.

Sattelberger würde sich gern noch mehr Zeit nehmen für seine Coronavirus-Updates. Die Podcast-Folgen dauern immerhin 20 bis 30 Minuten, seine Tagebuch-Videos nur viereinhalb. "Ich will meine Reichweite nutzen, um die Panik aus den Köpfen und aus der öffentlichen Diskussion zu nehmen", sagt Sattelberger. Das geht, im Notfall, auch von zu Hause.

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Quelle:
SZ vom 18.03.2020
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