Süddeutsche Zeitung

Einzelhandel:Bonpflicht? Dieser Bioladen setzt auf umweltfreundliche Kassenzettel

Lesezeit: 4 min

Kaum ein Kunde nimmt eine Quittung, Händler bleiben auf Papierbergen sitzen. Inhaber Günther Haidl ärgert sich und sorgt sich um die Gesundheit seiner Mitarbeiter.

Von Christoph Koopmann, Pöcking

Einer der am häufigsten benutzten Gegenstände in Wilhelm Bonebergers Bäckerei in Gilching ist, abgesehen von Ofen und Kasse, neuerdings der Mülleimer unter der Theke. Quasi im Minutentakt landen darin zerknüllte Zettelchen. Das war nicht immer so. Doch seit Jahresbeginn gilt in Deutschland die Bonpflicht. Jedem Kunden muss ein Beleg ausgedruckt und angeboten werden - egal, ob er drei Kuchen kauft oder nur eine Kürbissemmel für 80 Cent. Bloß wolle kaum jemand eine Quittung haben, sagt Bäckermeister Boneberger. "Die meisten witzeln nur und winken ab." Was gäbe es auch zu reklamieren an einem Brot? Und die niedrigen Summen seien meist auch eine Dokumentation im Haushaltsbuch nicht wert.

So hat sich bereits nach zwei Wochen Bonpflicht eine Routine eingestellt in der Bäckerei: Bezahlt ein Kunde, schielen Boneberger und seine Mitarbeiter kurz auf den Beleg und erfragen mit einem Blick, ob der Kunde ihn haben möchte. Meist signalisiert schon die Mimik des Gegenübers: weg damit, ab in den Mülleimer.

Vor allem die Bäcker sind genervt

Die Bonpflicht soll Steuerbetrug verhindern, weil sie jede Buchung für die Finanzämter besser nachvollziehbar macht. Doch vor allem Inhaber kleiner Betriebe, insbesondere die Bäcker, wehrten sich wegen der drohenden Papiermengen heftig gegen die Einführung. Wilhelm Boneberger ist Obermeister der Bäcker-Innung Starnberg und weiß, dass es den meisten seiner Kollegen so geht wie ihm: "Es nervt alle", sagt Boneberger. Auf Facebook kursierten Aufrufe von Bäckereien in ganz Deutschland, die Quittungen den Finanzämtern in die Briefkästen zu stopfen, als Zeichen des Protests. "Das bringt doch nichts", sagt Boneberger.

Doch auch er sieht die Bonpflicht vor allem als "unnötige Bürokratie". Seine Kasse ist bereits jetzt ein modernes Modell mit Touchpad und digitaler Anzeige. Das System registriere automatisch jede Buchung, sagt Boneberger. "Da wäre es nicht einmal theoretisch möglich, Umsätze wegzulassen." Doch das Bundesfinanzministerium verlangt nun Kassen mit zusätzlicher "Technischer Sicherheitseinrichtung", um Buchungen betrugssicher nachweisen zu können - die hat Boneberger nicht. Mehr als 8000 Euro müsse er für ein neues System ausgeben, rechnet er vor. Für die kleine Bäckerei schwer zu stemmen. Als Gemeinderat für die FDP in Gilching könne er nichts ausrichten, sagt er. Doch die Bundestagsfraktion seiner Partei verschickte nach eigenen Angaben ein Schreiben an die mehr als 18 000 Bäckereien im Land, in dem sie versprach, sich für eine Abschaffung der Bonpflicht einzusetzen. "Darauf hoffe ich. Sonst komme ich wegen der ganzen Zettelwirtschaft gar nicht mehr zum Backen", sagt Boneberger.

Auch Einzelhändler Günther Haidl sorgt sich ob der neu eingeführten Bonpflicht. Sein Problem aber ist die Umweltbelastung. Das ist schon lange sein Thema. Angefangen hat es, als er ein junger Mann war und sich Gedanken machte über Waldsterben und Atomkraft. Seit mehr als 30 Jahren verkauft Haidl ökologisch produzierte Lebensmittel, seit 2006 in seinem Naturkostmarkt in Pöcking. Heuer treibt den 56-Jährigen ein anderer Umweltschaden um als früher: der nämlich, der entsteht, wenn die Kunden bei ihm bezahlen.

Das alte Thermopapier enthielt das gefährliche Bisphenol

Denn herkömmliche Kassenzettel bestehen aus sogenanntem Thermopapier, das mit Farbentwicklungsstoffen bedruckt wird. Einer dieser Stoffe, Bisphenol A, gilt EU-weit als "besonders besorgniserregender Stoff" für Mensch und Umwelt. Er kann über die Haut in den Körper gelangen. Günther Haidl hat darüber viel gelesen. "Das wirkt wie ein Hormon", sagt er. Laut Umweltbundesamt kann Bisphenol A die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen. Auch deshalb darf der Stoff seit diesem Jahr nicht mehr in Kassenbons verarbeitet werden. Ob die nun verwendeten Ersatzstoffe besser sind, ist nicht geklärt. Das Umweltbundesamt empfiehlt weiterhin, Kassenbons nicht im Altpapier zu entsorgen, sondern im Restmüll. Sonst könnten die Inhaltsstoffe etwa über Recyclingpapier wieder in die Umwelt gelangen. Nicht einmal mit Lebensmitteln darf ein normaler Beleg in Kontakt kommen.

Irmela Rüttinger, 48, aus Pöcking: "Von der Bonpflicht halte ich gar nichts, allein schon wegen des unnötigen Papierverbrauchs. Das ist wirklich nicht gut für die Umwelt. Abgesehen davon: Ich nehme sowieso nur ganz selten einen Beleg mit - und wenn, dann werfe ich ihn zu Hause in den Müll. Die Ökobons halte ich dagegen für eine sehr gute Idee. Die sind immerhin nicht ganz so umweltschädlich wie die beschichteten Bons."

Reimar Kruppa, 72, aus Pöcking: "Persönlich habe ich nichts dagegen, wenn mir ein Beleg angeboten wird. Ich kontrolliere meine Ausgaben ohnehin jeden Monat, deshalb nehme ich die Kassenzettel mit. Das Problem an der Bonpflicht sehe ich in der unglaublichen Papierflut, die dadurch entsteht. Ob das politische Ziel, Steuerhinterziehung zu verhindern, damit erreicht werden kann? Ich weiß es nicht. Aber ich habe meine Zweifel."

Martina Neßwitz, 41, aus Pöcking: "Früher, als meine Kinder noch klein waren, hatten sie ganz oft Kassenbons in der Hand und haben sich danach die Finger auch mal in den Mund gesteckt. Hätte ich damals gewusst, wie schädlich normale Belege sind, wäre ich da eingeschritten. Deshalb finde ich es schwierig, dass jetzt immer Bons ausgedruckt werden müssen. Aber wenn es hilft - das Ziel dahinter verstehe ich natürlich."

Für durchschnittliche Kunden, die täglich vielleicht zwei, drei Kassenbelege berühren, sei die Belastung verhältnismäßig gering, sagt Günther Haidl. Er sorgt sich vor allem um seine Mitarbeiter. "Wenn man an der Kasse sitzt, dann fasst man pro Tag um die 200 Belege an", sagt er. Deshalb hat er sich bereits vor drei Jahren entschieden, etwas zu tun. Über Kollegen aus anderen Bio- und Naturkostläden erfuhr Haidl von einer Alternative zum klassischen Kassenbeleg - dem "Ökobon".

Die gleichnamige Herstellerfirma aus Aindling bei Augsburg bewirbt die Rollen auf ihrer Website als "Thermopapier der Zukunft". Der Ökobon kommt laut Hersteller ohne chemische Farbentwickler aus. Das Papier stamme zudem "aus verantwortungsvoller Waldwirtschaft". Den Ökobons, die aus Haidls Kasse rattern, sieht man ihre Andersartigkeit auch an. Matt blau, nicht glänzend weiß sind sie, außerdem fester als übliche Bons. "Anfangs haben die Kunden schon komisch geschaut", sagt Haidl. Doch er ist ein Mann, der sich Zeit nimmt für die Leute und bei Fragen auch mal minutenlang über Schadstoffe im Kreuzkümmel referiert. "Da kann ich das auch bei den Kassenbons tun", sagt er.

Das gesundheitliche Problem an der Bonpflicht mag Haidl gelöst haben - das ökologische aber nur teilweise. Ein Beleg könne ja aus umweltfreundlichem Material sein, sagt Haidl. "Aber wenn davon täglich Hunderte im Müll landen, ist das auch nicht viel besser." Auch im Naturkostladen in Pöcking ist der Papierkorb unter der Kasse voller zerknüllter Kassenzettel. Die meisten Kunden lassen ihren Bon noch an der Kasse wegwerfen. "Es ist lächerlich, dass man mir für 3,98 Euro einen Beleg anbieten muss", sagt Jörg Ladner, der bei Haidl ein Brot gekauft hat. Neulich habe man ihm sogar nach dem Lottospielen einen Bon hingelegt, dabei stehe der Betrag ja schon auf dem Spielschein. All das sei übertrieben, so Ladner, "vor allem, weil es schädlich für die Umwelt ist".

Das neue Papier ist teurer

Günther Haidl steckt in einem Dilemma. Schon lange versucht er, seinen Laden auch abseits der Produkte ökologisch zu gestalten. Obst und Gemüse gibt es in Papier- statt Plastiktüten, die Regale sind aus Holz. Und nun muss er Hunderte Belege drucken, die eh kaum jemand mitnimmt. "Das Ziel, Steuerhinterziehung zu verhindern, finde ich gut", sagt Haidl. Aber in seinem Fall sei die Bonpflicht unnötig. "In der Gastronomie oder bei Friseuren mag das sinnvoll sein, aber wir müssen eh jeden Artikel über zehn Jahre hinweg dokumentieren", sagt Haidl. Und die Belegausgabepflicht kostet ihn auch Geld. Eine Rolle herkömmlichen Quittungspapiers, 57 Millimeter breit und 50 Meter lang, gibt es für etwa 80 Cent zu kaufen. Eine vergleichbare Rolle Ökobons kostet 1,18 Euro. Nun, da täglich Hunderte gedruckt werden müssen, wiegt der Preisunterschied schwerer als zuvor. Genau beziffern kann Günther Haidl die Auswirkungen nach zwei Wochen noch nicht.

Er und Bäckermeister Wilhelm Boneberger hoffen, dass sie Quittungen künftig möglicherweise digital ausgeben können. Eine rechtssichere Methode zu finden, sei aber schwierig, sagt Haidl. Praktikabel sei es im Moment auch nicht. Er könne und wolle schließlich nicht jeden Kunden nach seiner E-Mail-Adresse oder Handynummer fragen.

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SZ vom 18.01.2020
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