Süddeutsche Zeitung

Starkbieranstich:Warum das Nockherberg-Singspiel nur einmal aufgeführt wird

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Von Wolfgang Görl und Christiane Lutz

Wer während Marcus H. Rosenmüllers fulminantem Singspiel "Brain-Sturm" den Tisch beobachtete, an dem Bühnenprofis wie Brigitte Hobmeier, Maximilian Brückner oder Heinz-Josef Braun saßen, der blickte in leuchtende Augen, in Gesichter, in denen sich Begeisterung spiegelte. Und tatsächlich: Rosenmüller und sein Autor Thomas Lienenlüke haben ein Stück auf die Nockherberg-Bühne gezaubert, das weit mehr ist als das gewohnte Salvatorspiel, das seinen Witz in erster Linie aus der geglückten Parodie der jeweiligen Politiker bezog.

Rosenmüller hat schon in seinen ersten drei Singspiel-Inszenierungen diesen ausgetrampelten Pfad verlassen, am Mittwoch aber, beim vierten Mal, ist er noch konsequenter in Richtung Theater gegangen. Mit raffinierten theatralischen Mitteln hat er eine fesselnde Geschichte gezählt, dazu noch eine recht komplizierte, die sich im Hirn des Ministerpräsidenten Seehofer wie in dessen Hobbyraum abspielte.

Diese Geschichte war alles andere als eine oberflächliche Verhöhnung der versammelten Politprominenz. So billig macht es einer wie Rosenmüller nicht, schon gar nicht in dieser Zeit. Er und Lienenlüke stellten sich der von Katastrophen und Elend geprägten Gegenwart, sie bagatellisierten diese nicht mit billigen Gags, sondern rückten sie in den Mittelpunkt. Was für eine beklemmende Szenerie: Wie eine apokalyptische Drohung lag ein gewaltiger Sturm in der Luft, und die Akteure, der Seehofer, die Merkel, der Gabriel und wie sie alle heißen, überboten sich in Hilflosigkeit. Klar, der Sturm, das ist die Flüchtlingskrise und was sonst noch die Welt zurzeit aus den Fugen bringt - und es ist große Kunst, diese spürbar und sichtbar zu machen in den Reaktionen überforderter Politiker, die als ebenso als traurige wie komische Gestalten ihr Wesen treiben.

Was gegen mehrere Aufführungen spricht

Wie toll das inszeniert war, sah man unter anderem in der großartigen Schluss-Szene, als Sebastian Horn "Wo versteck' ma uns" sang, die Politiker in Zeitlupe umhertaumelten, und schließlich drei Tänzerinnen zur wunderbaren Musik von Gerd Baumann ineinander verschmolzen. Was soll man sagen? Großes Theater.

Das findet Christian Stückl auch. Der sieht sich das Singspiel selbst gern an und hat als Intendant des Volkstheaters und Leiter der Passionsspiele in Oberammergau sowohl Ahnung von der Kunst als auch von Traditionsveranstaltungen, die man vielleicht nur in Bayern versteht. Zudem ist das Volkstheater sowieso mit dem Nockherberg verbandelt, der Schauspieler Stefan Murr beispielsweise spielt sowohl da als auch dort, die Bühnenbauer vom Singspiel seien die gleichen, die auch in Oberammergau die Bühne herstellen.

Der Kabarettist Helmut Schleich hat noch am Mittwochabend die Frage aufgeworfen, ob nicht ein Theater das Stück in sein Repertoire aufnehmen könne. Auf die Frage, ob er sich das fürs Volkstheater vorstellen könne, wenigstens für ein paar Vorstellungen, winkt Stückl aber ab: "Im Fernsehen ist das Singspiel doch lustiger, weil man die Reaktionen der Politiker unmittelbar mitgeliefert bekommt. Das Ganze lebt vom Live-Moment, dass da vorn der Söder sitzt, eine abkriegt, und wir können an seinem Gesichtsausdruck erahnen, wie er sich dabei gerade fühlt."

"Sobald der letzte Gast den Saal verlassen hat, beginnen wir sofort damit, die Bühne abzubauen"

Das könne man nicht in einen anderen Raum übertragen. Auch bei Paulaner gibt man sich realistisch: " Sie müssen wissen: Sobald der letzte Gast den Saal verlassen hat, beginnen wir sofort damit, die Bühne abzubauen", sagt Pressesprecherin Birgit Zacher. Denn natürlich sei das Singspiel seit jeher auch der Beginn des Starkbierfests gewesen und das Starkbierfest müsse ja irgendwann dann losgehen.

Grundsätzlich und theoretisch fände sie es zwar schön, das Singspiel ein zweites, drittes, viertes Mal aufzuführen, abgeben an ein anderes Haus wolle sie es auf keinen Fall. Wenn, dann am eigenen Haus machen, aber das, siehe oben, ginge ja aus bekannten Gründen nicht. Die Einmaligkeit habe ja aber durchaus ihren Reiz: "Einmal Bumm, und es muss sitzen."

Sein Publikum würde das Spiel aber bestimmt finden, auch ohne die Söders, die bedröppelt dreinschauen. Das kann man allein aus der Generalprobe schließen, die traditionell vor Paulaner-Mitarbeitern stattfindet. Die Begeisterung ist gewaltig, und merkwürdigerweise lachen die Proben-Zuschauer oft an anderen Stellen als die Politiker, denen es in der Regel weniger um künstlerische Qualität geht, als um die Frage, wie gut oder schlecht sie wegkommen.

Würde es im Volkstheater, im Residenztheater, ja, und auch in Kammerspielen laufen, wo Matthias Lilienthal ohnehin gerade Ungewöhnlichstes ausprobiert, die Hütte wäre voll. Vermutlich ist es unmöglich, die Singspiel-Truppe, die aus Schauspielern mit vielem Verpflichtungen besteht, für mehrere Abende zusammenzutrommeln. Aber schön wäre es doch. Man sieht nicht oft so eine virtuose Mixtur aus Komischem und Erschreckendem.

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SZ vom 26.02.2016
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