Süddeutsche Zeitung

Späti Szenedrinks:München ist wieder Kleinstadt

Lesezeit: 3 min

Nach nur zwei Jahren muss Münchens bekanntester Späti wieder schließen. Im Szenedrinks in der Baaderstraße gibt es bis spätnachts nicht nur Bier, Kaugummi und Zigaretten.

Von Ana Maria Michel

Ein reiner Skandal", steht im Gästebuch, das Franz Huemer und Helmut Neuhauser neben die Kasse gelegt haben. Der Grund für die Empörung: Ende August müssen die beiden ihren Laden Szenedrinks im Glockenbachviertel schließen. Dabei ist der Sommer 2014 noch gar nicht so lange her. Medien berichteten damals über "Münchens ersten Späti". Selbst die Berliner Zeitung verkündete: "München hat jetzt auch einen Späti." Plötzlich standen die Leute vor dem Laden an der Baaderstraße Schlange, um sich Bier für den Abend an der Isar oder auf dem Gärtnerplatz zu kaufen. Das bekommt man bei Szenedrinks auch dann noch, wenn die Supermärkte längst zu sind. Lange gab es in der Gegend dafür nur den 24-Stunden-Kiosk an der Reichenbachbrücke.

"Sollen wir alle nach Berlin ziehen?"

Eigentlich jeder, der die kleinen Geschäfte, in denen man nachts einkaufen kann, aus Berlin kennt, schwärmt von ihnen. Dort sind die Läden, die alle nur Späti nennen, was für Spätkauf steht, nichts Besonderes. In München dagegen schon. Seit März wissen Huemer und Neuhauser, dass ihr Mietvertrag nicht verlängert wird. "So wird München nur noch langweiliger und schnöseliger. Sollen wir alle nach Berlin ziehen?" Auch das hat jemand ins Gästebuch geschrieben. Huemer und Neuhauser suchen einen neuen Laden im Glockenbachviertel. "Wir wollen noch größer und schöner werden", sagen sie, wenn Kunden sie auf das Schild ansprechen, das an der Kasse steht. "Nachdem wir über Wochen verarscht wurden, hat man uns den Mietvertrag gekündigt", liest man da.

Lange war unklar, ob sie den Mietvertrag ihres Vermieters nicht vielleicht sogar übernehmen könnten, sagt Huemer. Im Lager zieht er Ordner aus dem Regal. Huemer hat die Emails des Vermieters abgeheftet, der schrieb, dass er nichts entscheiden könne. Wenn er weiterblättert, sind da die Nachrichten des Hauseigentümers, der schrieb, dass der Vermieter entscheiden müsse. Huemer und Neuhauser sind Untermieter. Ihr Vermieter hatte in dem Laden vorher selbst ein Antiquitätengeschäft, das er nun wohl dort weiterführen will.

Vom Anwalt des Vermieters erfuhren Huemer und Neuhauser, dass der Mietvertrag nicht verlängert wird. Nur als "erlaubnisfreie Gaststätte" dürfen sie auch nach 20 Uhr verkaufen. Für den Späti mussten die Betreiber bei der Stadt eine Nutzungsänderung beantragen. Davon will der Vermieter laut seinem Anwalt nichts gewusst haben. Dabei waren sein Einverständnis wie das des Eigentümers und der Hausbewohner Voraussetzung. Sie alle wurden von der Stadt angeschrieben, niemand legte Einspruch ein. Die Nutzungsänderung wurde genehmigt.

Huemer spricht von "Mobbing" und davon, dass man aus Neid ihre Existenz zerstöre. "Wir werden uns wehren", sagt er. Auch Huemer hat einen Anwalt eingeschaltet. Vor Kurzem kam wieder ein Brief vom Anwalt des Vermieters. Es geht um das Schild, das mit wütenden Worten das Ende des Späti verkündet. Weil der Vermieter darauf mit Namen genannt wird, fordert er Schadensersatz, Widerruf und Unterlassung.

Es geht auch um juristische Feinheiten, so will der Vermieter keine Kündigung ausgesprochen, sondern der Fortsetzung des Mieterverhältnisses widersprochen haben. Huemer und Neuhauser verstehen den Unterschied nicht. Sie verstehen nur, dass sie Ende August raus müssen. Und dass man sie hier nicht haben will. "Das wird schon", sagt Huemer trotzdem. Er geht bereits auf die 70 zu. "Wir sind ein altes Team", sagt der 55-jährige Neuhauser.

Weder Wein noch Schnaps nach 20 Uhr

30 Jahre lang hatten Huemer und Neuhauser einen Möbelladen in Haidhausen. Auch im Späti liegen Teppiche, die Kunden sollen sich wohl fühlen. Am Freitagabend sind viele junge Leute im Glockenbachviertel unterwegs. Bei Huemer und Neuhauser gibt es mehr als Bier, Kaugummi und Zigaretten. Sie plaudern gerne mit ihren Kunden, scherzen ein wenig. "Wir gehen zum Wolf. Kommst du mit?", fragt eine junge Frau. Huemer kennt die Kneipe, die sie meint, nicht. "Wir sind doch immer nur hier. Uns führt ja keiner aus", sagt er und lacht dieses Lachen, das den Mann mit den grauen Haaren wie einen 20-Jährigen wirken lässt. Freitag und Samstag ist der Späti bis 3 Uhr geöffnet, an den anderen Tagen bis 23 Uhr. "Es ist toll, aber zu viel Arbeit", sagt Huemer. Er denkt, dass es auch deshalb so wenige Spätis in München gibt. Ganz abgesehen von den vielen Auflagen.

Ständig müssen Neuhauser und Huemer ihren Kunden erklären, dass sie ab 20 Uhr weder Wein noch Schnaps verkaufen dürfen. Wer in München einen Späti hat, braucht Geduld. Bei schönem Wetter sorgt am Wochenende ein Türsteher dafür, dass nicht zu viele Leute im Laden sind, draußen Ruhe herrscht und nicht getrunken wird. Einen Späti mit Türsteher - das gibt es auch nur in München.

Immer wieder platzt an diesem Abend der Ärger aus Huemer und Neuhauser heraus. Weil sie wissen, dass ihre Kunden auf ihrer Seite sind, ist die Stimmung trotzdem gut. "Ich will was Exotisches probieren", sagt ein junger Mann. "Nimm halt ein Augustiner, das ist mal was anderes", scherzt Huemer. In den Regalen stehen Craft-Biere mit kunstvollen Etiketten. Das Sortiment soll sich von Supermärkten absetzen. Augustiner und Tegernseer gehen dennoch am besten, vor Tilmans, einem Bier einer jungen Münchner Brauerei.

Huemer und Neuhauser haben einen zweiten Laden in der Baaderstraße, den Liquor Store, wo sie Spirituosen verkaufen. Allerdings nur bis 20 Uhr, für Szenedrinks wäre der Laden zu klein. Im Liquor Store wollen sie die Zeit überbrücken, bis sie einen neuen Ort für ihren Späti haben. Aufgeben kommt für sie nicht infrage.

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Quelle:
SZ vom 02.08.2016
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