Süddeutsche Zeitung

Schriftsteller zu Terror in Paris:"Der Feind sind wir alle"

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In seinem Krimi "Arab Jazz" um eine Pariser Dschihadisten-Gruppe nahm Autor Karim Miské die grausame Wirklichkeit vorweg.

Interview von Alex Rühle

Montagabend in Paris. Die meisten Bars und Restaurants haben geschlossen, aber in der Rue des Vaucouleurs platzt ein winziges Lokal fast aus allen Nähten: Das "Pitch me" hat zum offenen Abend geladen. Normalerweise finden hier Autorenlesungen statt, diesmal laden sie zu einem Zufallsabend.

Zehn Autoren lesen Texte vor und reden miteinander, es hat in seiner ergreifenden Dramatik was von einer Trauma-Gruppe, die versucht, den Schrecken und das Einsamkeitsgefühl durch Texte und Gespräch zu bannen. Einer unter ihnen: Karim Miské, Betreiber des Ladens, Krimiautor, Journalist, Essayist. Miské hat den phantastischen Krimi "Arab Jazz" geschrieben, der im Deutschen den seltsamen Titel "Entfliehen kannst du nie" (Bastei-Lübbe) trägt. Nach der Lesung hatte er Zeit für ein Gespräch.

SZ: Herr Miské, Sie haben vorhin davon gesprochen, dass sich Realität und Fiktion manchmal merkwürdig überlappen. Wie meinten Sie das?

Karim Miské: Als ich am 7. Januar die ersten Liveticker-Nachrichten von den Attentaten las, war ich verblüfft: Die Kouachi-Brüder waren auf ihrer Flucht genau durch jene Straßen gefahren, die das Zentrum meines Krimis bilden. Ich saß vor meinem Rechner, immer neue Details tauchten auf, die bei mir eine Rolle spielen; und ich dachte: Warum fahren diese Irren durch mein Buch?

In dem Krimi geht es unter anderem um eine Dschihadisten-Gruppe aus Paris, junge Männer, die hier in Salafistenkreise geraten und dann nach Irak oder Syrien gehen, um sich dort umzubringen.

Der salafistische Imam, den ich dabei im Kopf hatte, ist der Imam, der die jungen Männer aus der sogenannten Buttes-Chaumont-Gruppe indoktriniert hat - und damit auch die Kouachi-Brüder.

Warum hat der Sie so fasziniert?

Ein ekelhafter Typ. Diese Mischung aus Hass und Feigheit: Ich weiß noch, wie er sagte, Selbstmordattentate, na klar, aber das sollen die Jungs machen, ich habe wichtigere Aufgaben hier zu erfüllen.

Als Sie Ihr Buch zwischen 2005 und 2010 schrieben, sind die französischen Salafisten noch in den Irak gegangen, um sich dort in die Luft zu sprengen. Seit Januar machen sie das hier, mitten in Paris.

Ja, es gibt in meinem Buch einen Dialog zwischen zwei Polizisten, der eine sagt: Was meinst Du, wie viele von denen werden in ein paar Monaten in Bagdad zu Kompott? Der andere sagt: Mir egal, Hauptsache, sie machen's in Bagdad. Mit dieser Wurstigkeit - Hauptsache nicht bei uns - sind wir lange Zeit gut gefahren. Jetzt nicht mehr.

Ist es eine Steigerung in der Inszenierung, sich als Selbstmordattentäter in die Luft zu sprengen?

Die Kouachis haben ihren Selbstmord noch eher als Showdown angelegt: wie Helden, die wissen, dass sie in der letzten Schlacht sterben werden, aber schießen bis zur letzten Sekunde. Diesmal war es ein Himmelfahrtskommando. Der ultimative Kick.

Klingt wie im amerikanischen Actionfilm.

Ja klar. Die kommen ja auch alle aus unserer Kultur. Die haben dieselben Filme gesehen wie wir. Die sind ein Produkt unserer Gesellschaft. Damit entschuldige ich nichts von dem, was sie getan haben. Nichts. Aber sie kommen aus dieser Gesellschaft.

Und bringen sich um, weil sie ihren Platz nicht finden?

Naja, wenn jeder, der seinen Platz nicht findet, sich in die Luft jagen würde. . . Aber nochmal: Es geht mir nicht darum, den armen Islam in Schutz zu nehmen. Ich selbst bin Atheist und sage nicht, jetzt lasst doch die armen Muslime in Ruhe. Aber es trifft halt nicht den Kern. Der Dschihadismus ist der radikalste Protest, den es momentan gibt. Die totale Negation unserer Kultur, unseres Lifestyles. Mich erinnert das eher an die RAF oder die Roten Brigaden.

Aber das damals war doch ein politisch motivierter Terrorismus.

Der hier doch auch! Die französische IS-Geisel Nicolas Hénin hat geschrieben, dass die IS-Kämpfer permanent über Politik geredet haben, Religion war nie Thema zwischen ihnen.

Bei der Lesung gestern war zu spüren, wie tief diese neuen Angriffe die ganze Stadt getroffen haben. Ich habe den Eindruck, der Schock sitzt jetzt noch tiefer als nach dem ersten Anschlag im Januar dieses Jahres.

Natürlich. Zum einen hat es ganz andere Dimensionen. Von denen, die am Freitag da waren, hat die Hälfte einen guten Freund oder zumindest Bekannten verloren. Im Januar konnten die Leute das noch von sich wegschieben: Die haben auf eine Redaktion geschossen und Juden ermordet. Klar sind wir solidarisch, aber es betrifft uns nicht. Jetzt ist endlich allen klar: Der Feind sind wir alle. Diese offene Gesellschaft.

Sie haben in Ihrem Text vorhin die Angst erwähnt, die lähmende Trauer. Aber auch den Hass.

Der Hass ist ein ganz natürliches Gefühl. Wir müssen uns diese Gefühle erlauben: Den Hass. Die Angst. Man muss all diese Gefühle gut anschauen, um sie zu verstehen und so in den Griff bekommen.

Sie haben neben Ihrem Krimi auch noch einen autobiografischen Essay zur Stunde geschrieben. "N'appartenir" (Nicht zugehören) beschreibt Ihre Biografie: Sohn eines mauretanischen Diplomaten und einer bretonischen Kommunistin, die ideologisch so verstrahlt war, dass sie Sie in Ihrer Kindheit ins Albanien des Enver Hodja verschleppt hat, weil sie glaubte, das sei das Paradies. Ihr Buch dreht sich um die Frage der Identität, am Ende sind Sie ein freier Mensch, der aber keine Heimat hat außer der Literatur. Fühlen Sie sich nicht als Franzose?

Natürlich bin ich Franzose. Aber ich werde immer gefragt, woher ich komme. Dass ich keinen Akzent habe, dass deshalb eigentlich klar ist, dass ich hier aufgewachsen bin, verblasst vor meinem anderen Aussehen. Die Frage beinhaltet ja immer die Botschaft: Schon gut, du lebst jetzt hier, aber wer bist du eigentlich? Okay, du bist Pariser, aber du bist kein echter Franzose. Diese Botschaft hör ich dauernd. Und ich bin als Intellektueller in einem zentralen multikulturellen Viertel ja noch privilegiert. Was meinen Sie, was die Jungs und Mädchen aus den Banlieues zu hören kriegen.

Sogenannte Identitäten werden in der öffentlichen Diskussion immer lauter.

Barres hat mal geschrieben, die Juden könnten auch fünfhundert Jahre da sein, sie werden nie einen Vers von Jean Racine verstehen. Glücklicherweise sind nicht alle so, aber die, die so sind, machen hier in den Medien einen ziemlichen Krach.

Aber es gibt doch mittlerweile auch arabischstämmige Politiker.

Die aber einen hohen Preis dafür zahlen, dass sie mitmachen dürfen. Das sind fast alles überassimilierte Typen, duckmäuserisch. Mit denen identifiziert sich niemand aus der Migrantenszene. Die sind eher ein Aushängeschild für die etablierten Parteien: Seht her, wie tolerant wir sind, wir haben sogar Maghrebiner im Angebot.

Karim Miské liest im Rahmen des Literaturfestes an diesem Donnerstag, 19. Nov., um 21 Uhr im Volkstheater, Briennerstr.50

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Quelle:
SZ vom 19.11.2015
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