Süddeutsche Zeitung

Schädlingsbekämpfung:In München werden immer mehr Ratten gesichtet

Lesezeit: 3 min

Von Günther Knoll, München

Ist das jetzt Rattenalarm? An diesem Donnerstag soll der Gesundheitsausschuss des Stadtrats zweieinhalb zusätzliche Stellen für die städtischen Hygienekontrolleure genehmigen - weil, wie es in der Beschlussvorlage heißt, "das Arbeitsaufkommen im Zusammenhang mit Rattenbekämpfungsmaßnahmen im Stadtgebiet München in den letzten Jahren quantitativ und qualitativ deutlich zugenommen" habe.

Das zuständige Referat für Gesundheit und Umwelt belegt das mit Zahlen: Wurden im Jahr 2007 von den Kontrolleuren 1784 solcher Schädlingsbefälle in der Stadt festgestellt, waren es im vergangenen Jahr gut 40 Prozent mehr, nämlich 2411. Alois Maderspacher, Sprecher des Referats, sieht aber keinen Grund zur Besorgnis: "Wir haben kein Rattenplage."

Der Begriff Dunkelziffer ist angebracht, denn sie leben im Verborgenen, und doch toppen sie locker die Einwohnerzahl jeder Großstadt. Es geht um die Wanderratte, Rattus Norvegicus. Es gibt Schätzungen, wonach in jeder Stadt zehnmal so viele Ratten wie menschliche Einwohner leben. Und dass man sie nur selten zu Gesicht bekommt, liegt daran, dass sie dämmerungs- und nachtaktiv sind und überhaupt gerne im Dunkeln zugange.

Dort aber, wo der Mensch Abfälle hinterlässt, traut sie sich ans Licht, um zu fressen. Und dann hat München wieder einmal ein Rattenproblem. Selbst Spielplätze wie jetzt der im Glockenbachviertel müssen gesperrt werden, damit die Giftköder ausgelegt werden können; entsprechende Warnhinweise künden davon.

Es ist nicht nur ein Imageproblem, das München, gerne als sauberste Großstadt Deutschlands bezeichnet, mit der Ratte hat. Die Tiere gelten als Überträger gefährlicher Krankheiten. Die Hausratte, die als Wirt für einen bestimmten Floh indirekt die Pest übertragen kann, ist zwar inzwischen selten geworden. Dafür hat ihre Verwandte, die Wanderratte, Städte und Siedlungen erobert. Ihr Kot und ihr Urin enthalten gefährliche Erreger.

Auch wenn in München laut Maderspacher seit Jahren kein entsprechender Fall gemeldet wurde, ist die Ratten-Bekämpfung städtische Pflicht - vorgegeben durch das Infektionsschutzgesetz. Eine Meldepflicht gibt es nicht, trotzdem erreichen die Gesundheitsbehörde viele Hinweise aus der Bevölkerung, denen die Kontrolleure nachgehen müssen.

Die Stadt selbst kann aber nur auf öffentlichen Flächen entsprechende Maßnahmen veranlassen. Sonst kann sie den Eigentümern und sonstigen Nutzungsberechtigten von Grundstücken die Bekämpfung anordnen. Die beauftragen in der Regel Firmen, die sich darauf spezialisiert haben. Auch die Stadt tut das: Bis Ende 2016 erledigte die Firma Biebl und Söhne aus Taufkirchen dieses Geschäft für die Stadt München, seitdem wird jeder Auftrag eigens ausgeschrieben.

Nikolaus Biebl hat nicht bemerkt, dass die Rattenpopulation angewachsen sei. "Es ist nicht so, dass die Ratten die Stadt übernehmen", sagt er. Dass es heuer mit den Nagern schlimmer sei als sonst, das will er "auf keinen Fall unterschreiben". Biebls Meinung nach sind es die gesperrten Areale, die Warnplakate und die deutlich sichtbaren Köderstationen, aus denen die Leute solche Rückschlüsse zögen. Aber man müsse da den "höchstmöglichen Sicherheitsstandard" gewährleisten, damit die Giftköder nicht in die Hände von Kindern gerieten oder von Hunden gefressen würden.

Der Profi schildert die Bekämpfung eines Befalls als zeitintensiv, denn Ratten seien erstens neophob, fürchteten also alles Neue erst einmal. Und zweitens wirke das heute verwendete Rattengift nicht sofort - um zu verhindern, dass die Tiere gleich zusammenbrechen und ihre Artgenossen dadurch vor dem Köder gewarnt werden. Dass sie aber gezielt Vorkoster ausschicken, das bezeichnet Biebl als "Mär". Die Tiere seien einfach vorsichtig. Auch ihm ist kein Fall einer Krankheitsübertragung durch Ratten bekannt. Der Befall sei "in München nicht anders als in anderen Großstädten".

Mit der Zahl der Einwohner und der bebauten Flächen steige auch die Zahl der Nager, die ja "als Kulturfolger beim Menschen sind", sagt Referatssprecher Maderspacher. Es gebe auch deshalb für München keinen Grund, Alarm zu schlagen. Und Spielplätze seien schon "gar kein Hotspot" in Sachen Ratten, denn von den etwa 700 städtischen seien zuletzt nie mehr als fünf pro Jahr wegen Befalls gesperrt worden.

Probleme sieht das Gesundheitsreferat in weggeworfenem oder liegen gebliebenem Abfall, der die Tiere anlocke. "Schon ein Apfelbutzen in der Hecke" könne ausreichen, sagt Maderspacher. Nichts Organisches zurücklassen, Taubenfütterungsverbote einhalten und verschließbare Kompostbehälter anschaffen, rät er, so lasse sich Rattenbefall vermeiden.

Ausschließen aber offenbar nicht, denn sonst hätten die städtischen Hygienekontrolleure nicht so viel Arbeit. Seit 30 Jahren sind das unverändert drei Stellen für die ganze Stadt. Inzwischen aber, so heißt es in der Beschlussvorlage des Gesundheitsreferats, gestalteten sich die entsprechenden infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen zeitlich deutlich intensiver als früher. Pro Fall errechnet das Referat einen Arbeitsaufwand von fast vier Stunden.

Schon jetzt seien "vorsorgliche Routinebegehungen von Örtlichkeiten mit bekanntermaßen häufigen Rattenzuwanderungen mangels Ressourcen nicht mehr möglich". Auch die Zahl der Gemeinschaftseinrichtungen mit "hoher Sensibilität" wie Schulen, Kindergärten oder Wohnheime habe in München zugenommen. Außerdem registriert die Behörde verstärkte "regelhafte automatisierte Vermutungen der Öffentlichkeit" in Sachen Rattenbefall. Sie fordert deshalb zweieinhalb zusätzliche Kontrolleursstellen.

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Quelle:
SZ vom 22.06.2017
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