Süddeutsche Zeitung

Subkultur:Punk ist tot? Nicht in Dachau

Lesezeit: 5 min

An nur noch wenigen Orten in München und Umgebung wird Punk gelebt. Der "Freiraum" in Dachau ist da eine Ausnahme. Eindrücke von einem Ort, an dem es noch wild zugeht.

Von Julia Putzger, Dachau

Die Haare sind zu Zacken gegelt, die schwarzen Jeans zerrissen, die Lederjacke mit Nieten bedeckt. Der Boden vibriert, die Menge bebt, es wird gerempelt, gesprungen, der Schweiß steht auf der Stirn. Auf der kleinen Bühne legen sich Schlagzeuger, E-Gitarrist und Sänger mächtig ins Zeug, sie schreien, krächzen, grölen. Es ist laut. Hardcorepunk, das ist Musik, die nur selten ihren Weg in Diskotheken und durchschnittliche Bars findet und nur mehr an wenigen kleinen Rückzugsorten zu hören ist.

Der "Freiraum" in Dachau ist ein solcher. Hier wird Subkultur noch gelebt, ein wichtiger Anker für viele lokale Bands. Beim Konzert "Hinterland Calling" spielten jüngst fünf Gruppen aus dem Landkreis. Dort zeigten sie, dass der musikalische Untergrund in Dachau so einiges drauf hat, erzählten aber auch von der schwierigen Gesamtsituation: Es gibt im Großraum München nicht genügend Möglichkeiten für die Jugend, um sich kreativ auszuprobieren - das schadet auf Dauer der kreativen Szene.

Bei "Hinterland Calling" zeigen Lost Rose, ...

.... Professor Grabowski, ...

... Gandabherunda, ...

... Sabot Noir...

... und Monomania, was die Punkszene im Landkreis drauf hat.

Das Problem beginnt bei den Proberäumen und endet bei den Veranstaltungslocations. "Die Situation im Großraum München ist ausgereizt. Die wenigen Probenräume, die es noch gibt, sind teuer, darum haben junge Menschen keine Möglichkeit, sich zu entfalten und ziehen weg", erzählen Nic und Matze von der Band Sabot Noir, die eben noch die Stimmung angeheizt hat. Die beiden kommen aus Petershausen, kennen den Freiraum schon lange, sind hier hineingewachsen. "Ich habe das Erbe meiner Brüder übernommen", sagt Matze, der sich an diesem Abend auch um die Technik kümmert und sonst am vielfältigen Programm des Freiraum mitwirkt.

Hier gibt es neben Punk-, Reggae- oder Dub-Konzerten auch monatliche Treffen zu verschiedenen, teilweise politischen Themen. "Klar, die Leute hier sehen wild aus, aber der Freiraum ist ein Ort, an dem sich alle wohlfühlen sollen", erklären die beiden Musiker. Auch Tobias Schneider, Kulturamtsleiter der Stadt Dachau, schätzt den Freiraum. In den elf Jahren seines Bestehens veränderte sich das Programm durch wechselnde Organisationsteams immer wieder. Schneider lobt die ständige Bewegung. Es sei immer was los.

Dass das Konzept funktioniert, zeigt auch die Bekanntheit des Freiraums weit über die Stadtgrenzen hinaus. Die Situation sei hier besser als in München, wo die Subkultur immer mehr zurückgedrängt werde, erzählt Nic. "Die Stadt Dachau gilt darum als kulturell lebendige Stadt, viele Münchner fahren extra hier raus." Das bestätigt auch Schneider. Bei seinen eigenen Besuchen im Freiraum habe er stets ein überregionales Publikum wahrgenommen. Die Orte, die es in München selbst gebe, seien für eine Millionenstadt viel zu wenige. Fritz, Gitarrist und Sänger von Professor Grabowski, sieht es genauso: "Der Freiraum ist die letzte Punk-Hochburg. Hier ist man noch wirklich frei und kann sich geben wie man will, richtig abrocken".

Vor fast 40 Jahren traf man die Typen mit wilden Frisuren und rockigen Klamotten auf dem Land, im kleinen Ampermoching, einem Ortsteil von Hebertshausen. Der dortige Gasthof "Zur Post" war in den Achtzigerjahren der Szenetreff der Münchner Subkultur, große Bands und Musiker fanden ihren Weg dorthin wie zum Beispiel The Exploited oder Kevin Coyne, nicht immer zur Freude der Anwohner.

"Aber mal ehrlich, wer hat heute noch Angst vor Leuten mit grünen Haaren? Punk ist tot", meint Johnny, Frontmann von Monomania. Als Protestbewegung, die er früher einmal war, hat Punk kaum mehr Bedeutung. Trotzdem macht das Trio weiter mit seiner Musik, ganz nach dem Motto: "Wenn es nix gibt, dann tu es eben selber." Als sie als letzte Band beim "Hinterland Calling" auf der Bühne stehen, singen sie sich ihren Frust und ihre Wut von der Seele, davon, ein Niemand im Nirgendwo zu sein.

"Musik zu machen weil man so happy ist, war noch nie so mein Ding", gibt Johnny zu. Trotzdem wollten sie keine "Shredder-Band" sein, wie er sagt, sondern mit ihrer wütenden Musik ihre Fähigkeiten zeigen und andere mitreißen und zum eigenen Tun animieren. Denn, so Johnny: "Musik kann die Leute zwar zum Nachdenken bringen, aber wer gesellschaftlich was verändern möchte, muss das schon auf andere Art machen."

Eigene Lieder schreiben auch die anderen vier Bands, die an diesem Abend auftreten. Fritz hat für die Texte von Professor Grabowski in einer Kiste mit alten Liebesbriefen seines Bandpartners Hansi gewühlt, Matze hat die besten Ideen für Sabot Noir auf S-Bahn-Fahrten. Manchmal geht es um politische Themen, oft jedoch um ganz persönliche Erfahrungen, welche die Bands mit ihren Songs verarbeiten. Obwohl der Song "I Wanna Be Famous" von Professor Grabowski das Gegenteil vermuten lässt, stecken die Musiker sich kleine Ziele. Ein weiteres Album aufnehmen, eine Platte veröffentlichen oder, wie im Fall von Gandabherunda, überhaupt den ersten Auftritt meistern.

Das Duo aus Erdweg übt bereits seit vier Jahren im Keller der Eltern von Gitarrist Eugen. Sie seien seelenverwandt und mit ihrer Musik, die eine Mischung aus Rock 'n' Roll und Elektrobeats ist, wollen sie vor allem ihre Gefühle und Eindrücke von ihrer Umwelt verarbeiten, eine "Selbsttherapie" nennen sie das. Beim Aufbau wirken die beiden nervös: Kabel um Kabel muss entwirrt und angesteckt werden, beim Soundcheck ist die Anlage mal zu leise, mal zu laut.

Doch das Publikum ist geduldig, Angst muss man hier keine haben. Die wilden Punks mit ihren nietenbesetzten Lederjacken und hochgegelten Haaren gehen derweil an die Bar und essen eine Portion Nudeln mit Tomatensoße, die das Freiraum-Team gekocht hat.

Mit dem Auftritt von Gandabherunda mischt sich das Publikum. Zu den rauen Punks gesellen sich entspannte Typen, die, mit Sonnenbrille im Haar und lockeren Shirts, direkt vom Strand zu kommen scheinen, und Frauen mit bunten Wollsocken. "Dieser Abend ist kein Abend wie jeder andere. Jede Band hat heute Leute mitgebracht, die sich sonst wahrscheinlich eher nicht sehen", erklärt Matze von Sabot Noir. Nur zwischen wenigen Bands, die sich beispielsweise von früher kennen oder sich einen Proberaum teilen, gebe es tatsächlich Kontakt.

Auch das führen die Bands auf den Mangel an Möglichkeiten in der Szene zurück: Es gebe einfach nicht genug Räumlichkeiten und viel zu selten die Gelegenheit, ein Konzert zu spielen. Sich allein innerhalb der heimischen Szene einen Namen zu machen, sei schwer genug, geschweige denn außerhalb.

"Als Coverband hat man es wahrscheinlich leichter, zu einer Veranstaltung in eine Bar eingeladen zu werden. Dann ereilt einen aber schnell das Schicksal der Hochzeitsband, die zwar bei ihren Auftritten verdient, aber keine eigene Musik mehr machen kann", gibt Matthias, der für Lost Rose als Sänger und Bassist auf der Bühne steht, zu bedenken. Die Band begann mit dem Covern von Guns-N'-Roses- Songs - daher auch der Bandname - entwickelte sich aber schnell weiter und macht heute ihr ganz eigenes Ding. Fünf Zuhörer sind für die drei Musiker darum genauso gut wie 5000, es geht ums Spielen an sich.

"Vor 14, 15 Jahren, als wir die Band gegründet haben, da wollten wir schon berühmt werden. Aber mittlerweile führen wir doch ein sehr normales Leben mit Haus, Familie und Kind", erzählt Matthias. Dass die Rockerband sich zwar nach außen gerne knallhart gibt, es sich aber eigentlich um sehr freundliche Zeitgenossen handelt, zeigen auch ihre Band-Proben im Elternhaus von Schlagzeuger Beanie. "Wir treffen uns meistens sonntags am frühen Nachmittag und dann proben wir, bis Beanies Mutter uns zu Kaffee und Kuchen ruft."

Wie beim netten Nachmittagsplausch wirkt die Bühne zunächst auch beim Auftritt von Professor Grabowski. Immer mit dabei hat das Duo nämlich eine Stehlampe, auf der in großen schwarzen Buchstaben ihr Bandname prangt. Wohnzimmerstimmung kommt bei der Performance von Fritz und Hansi aber garantiert nicht auf: Zwar stellt Fritz fest, dass die beiden mit ihrem "Super Punk'n'Roll" an diesem Abend wohl die Popband sind, das stört ihn aber nicht weiter: "Macht doch was ihr wollt, ich tanz' hier oben!" Das lässt sich das Publikum nicht zweimal sagen.

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Quelle:
SZ vom 13.04.2019
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