Süddeutsche Zeitung

Prozess:Frau wirft Fernseher aus dem Fenster - und trifft fast spielende Kinder

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Aus dem Gericht von Stephan Handel

Die kleine Frau im rosa Kostüm redet sich in Rage, dann in Verzweiflung, dann in Tränen. Dann sackt sie in sich zusammen und murmelt ein ums andere Mal: "Es ist kompliziert." Qiufu Y. kämpft um ihre Freiheit, die ihr genommen werden soll - für lange Zeit, vielleicht für immer, für den Rest ihres Lebens. Den wird sie, wenn es nach der Staatsanwaltschaft geht, in einem psychiatrischen Krankenhaus verbringen, in der Forensik, der geschlossenen Abteilung.

Der Vorfall, der Qiufu Y. vor eine Große Strafkammer des Landgerichts gebracht hat, ist banal in dem Sinn, dass dabei niemand zu Schaden gekommen ist: Vor ziemlich genau einem Jahr warf sie aus ihrer Wohnung in Giesing einen Fernseher in den Innenhof des Anwesens.

Allerdings spielten dort, zwei Stockwerke tiefer, sechs Kinder, zwischen drei und elf Jahre alt. Deren Eltern holten die Polizei, Psychiater untersuchten Y. und diagnostizierten eine paranoide Schizophrenie. So wird sie nun der versuchten gefährlichen Körperverletzung beschuldigt - wegen ihrer Krankheit geht es aber nicht um eine Haftstrafe, sondern um die Unterbringung in der Psychiatrie.

Qiufu Y. ist in 1958 in China geboren und kam nach Deutschland 1987, weil sie einen Deutschen geheiratet hatte. Nach der Scheidung acht Jahre später ging sie nach München, weil sie, wie sie sagt, "ihre Erfindung vermarkten" wollte. Was diese Erfindung ist, wird in der Verhandlung nicht ganz klar, sowohl Häuser wie auch Kleidungsstücke, die irgendwie aus Dreiecken zusammengesetzt sind. Es klappte aber sowieso nicht so recht mit dem Geschäftserfolg, seit vielen Jahren lebt sie von öffentlicher Unterstützung.

Was den Vorfall vom Juli 2017 betrifft, so habe sie den defekten Fernseher entsorgen wollen, weil er auf einem Tisch stand, den sie zum Arbeiten benötigte. Sie habe ihn, so sagt sie, aus dem Fenster im zweiten Stock in Richtung der Mülltonnen geworfen, später wollte sie nach unten gehen und aufräumen, aber da war dann die Polizei schon da.

Die Kinder jedenfalls seien weit genug entfernt gewesen. Außerdem habe sie vor dem Wurf noch gerufen "Achtung, keine Bewegung!" Die Mütter, die sie angezeigt haben, die seien nur neidisch, weil ihre Männer ihr "schöne Augen gemacht" hätten. Deshalb hätten die Frauen ihr auch immer Sachen in die Wohnung geworfen, Steine, Äpfel, "Stuhlgang", von unten durchs Fenster in den zweiten Stock.

Die Geschichte könnte als dummer Zufall durchgehen, vielleicht als eine Überreaktion auf irgendetwas, wäre da nicht der ganze Rest, den Qiufu Y. erzählt: Kiel, ihren ersten deutschen Wohnort, habe sie nach der Scheidung verlassen müssen, weil die italienische Mafia sie verfolgt habe. In München sei sie von einem "riesigen Mann" überfallen worden, und als die einzige mögliche Zeugin kurz darauf starb, ihre Nachbarin, da sei ihr klar gewesen: Das konnte nur Mord gewesen sein.

Nun ist sie seit fast einem Jahr in der Klinik in Taufkirchen untergebracht und hadert damit, dass sie sich nicht gegen die Medikamente wehren kann, die sie ihr dort geben: "Ich fühle mich seelisch sehr gesund." Für den Prozess sind vier weitere Verhandlungstage angesetzt.

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Quelle:
SZ vom 13.06.2018
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