Süddeutsche Zeitung

Pokémon Go in München:Warum sich Münchner Pokémon-Jäger am Bordeauxplatz treffen

Lesezeit: 3 min

Der Bordeauxplatz ist zum Hauptquartier der Münchner Pokémon-Fans geworden. Manche kommen sogar mit dem Taxi.

Von Thierry Backes

Wer Fische fangen will, braucht heute keine Angel mehr. Er wirft einfach einen Pokéball in den Brunnen am Bordeauxplatz: Goldini schwimmen mehr als genug in dem Teich. Ein Enton versteckt sich hinten im Blumenbeet, auf dem Kiesweg zappelt ein Karpador. Hurra, schreit da der geneigte Monsterjäger, braucht er doch ein ganzes Netz voller Karpadors, will er daraus irgendwann ein(en?) Garados entwickeln, einen mächtigen Wasserdrachen.

Herzlich willkommen in Haidhausen, herzlich willkommen in der Welt von Pokémon Go. So heißt das Handyspiel, das seit zwei Wochen die Smartphones erobert. Ziel ist es, virtuelle Monster in der realen Welt aufzuspüren, sie zu fangen, und dann gegeneinander antreten zu lassen. Pokémon verstecken sich überall in der Stadt, und doch versammeln sich ihre Jäger an einigen wenigen Plätzen: am Kabelsteg etwa, im Nymphenburger Schlosspark - und vor allem auf dem Bordeauxplatz in Haidhausen.

Der Platz, der nach Angaben der Stadtverwaltung "das Flair einer typisch französischen Grünanlage" haben soll, ist zum inoffiziellen Hauptquartier der Pokémon-Jäger und -Trainer geworden. Rund um die Uhr kann man hier Menschen beobachten, wie sie alleine oder in Grüppchen herumstehen und auf ihre Displays starren. Einige haben Akkus dabei (das Spiel geht enorm auf die Batterien), andere haben Stöpsel im Ohr. Einige sitzen in Autos am Straßenrand, andere fahren im Taxi vor - vielleicht eine Münchner Eigenart.

Markus Kaser, 25, wartet mit drei Kumpels am Brunnen darauf, dass neue Pokémon auf seinem Bildschirm aufpoppen: "Wir sind richtig krasse Zocker", sagt er und berichtet, wie er mit den Monstern aufgewachsen ist in den späten Neunzigern. Dann fängt er ein Quapsel, eine blaue Kugel mit Augen, Mund und einem Kringel auf der Brust, nichts Besonderes für erfahrene Pokémon-Trainer wie ihn. 100 verschiedene Monster hat Kaser nun schon eingesammelt, aber das reicht ihm nicht: "Ich will sie alle haben."

Deshalb kommt er jeden zweiten Tag nach der Arbeit zum Bordeauxplatz, vier Stunden lang. Nur: Warum ausgerechnet hierher? "Das liegt am Lockstoff", sagt er, und damit verhält es sich so: Im Stadtgebiet sind Pokéstops verteilt, dort erhalten Spieler Bälle zum Werfen, Heiltränke und eben auch Duftfallen, um wilde Pokémon anzulocken. Am Bordeauxplatz gibt es vier Pokéstops auf engem Raum. "Das heißt: Wenn überall Lockmodule ausgelegt sind, können alle Spieler vier Mal so viele Pokémon einfangen", sagt Kaser, "im Prinzip eines pro Minute".

Lockmodule findet man im Spiel selten, und jedes hält nur 30 Minuten. Wer Extramodule will, muss 99 Cent zahlen, echtes Geld. "Das machen viele hier", sagt Kaser, "das geht gar nicht anders. Am vergangenen Donnerstag habe ich um 4 Uhr morgens mein Auto hier abgeholt, da standen immer noch Leute rum."

Anwohner rufen wegen Ruhestörung die Polizei

Zweimal schon musste die Polizei nach 22 Uhr wegen einer Ruhestörung anrücken, einmal waren spät am Abend noch 100 Spieler auf dem Bordeauxplatz versammelt. Schon fordert die Stadtratsfraktion aus FDP, Hut und Piraten, die Stadt möge einschreiten. "Ach was", entgegnet ein Anwohner, der mit seinem Hund über den Platz flaniert. "Wenigstens ist hier mal ein wenig Stimmung."

Für Pokémon-Spieler ist der Bordeauxplatz ideal, es gibt Bänke, ein bisschen Natur und vor allem keinen Verkehr. Da hat die Stadtverwaltung in Düsseldorf zum Beispiel ein großes Problem: An der berühmten Königsallee müssen Ordnungskräfte immer wieder die Girardet-Brücke sperren, weil sich Pokémon-Jäger darauf tummeln. Nun sollen sogar Dixi-Klos aufgestellt werden.

Maximilian Omasreither kommt fast jeden Abend zum Bordeauxplatz. Er wohnt am Leuchtenbergring, nur zehn Minuten zu Fuß von hier. "Ich wusste vor ein paar Tagen nicht mal, wie der Platz heißt", sagt der 27-Jährige, der unter dem Namen BigMaex antritt und wie Kaser schon Level 23 erreicht hat. "Früher saßen wir stundenlang vor der Play-Station. Heute fahren wir durch die Stadt, suchen Pokémon und lernen dabei andere Spieler kennen."

Kaser und Omasreither haben eine Facebook-Gruppe gegründet für Team Gelb in München. Als Spieler muss man sich früh entscheiden, für Team Rot (Wagemut), Blau (Weisheit) oder Gelb (Intuition). In der Gruppe sammeln sie Hinweise darauf, wo man welche Pokémon findet, dann fahren sie hin und checken, ob das auch stimmt. "Im Ostpark gibt es Bisasams, im Luitpoldpark Elekteks, am Königsplatz Menkis", sagt Omasreither. "Und wenn Du einen Pikachu finden möchtest, dann schau doch mal am Hohenzollernplatz vorbei."

Am Bordeauxplatz tauchen Wasser-Pokémon auf und die üblichen Taubsis und Rattfratz', die an jeder Straßenecke sitzen. "Hier kommt man nicht hin, um exotische Pokémon zu fangen", sagt Kaser, "hier sammelt man Punkte für das nächste Level. Und die brauche ich, schließlich will ich der beste Pokémon-Trainer werden."

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SZ vom 30.07.2016
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