Süddeutsche Zeitung

Second Hand:Wo das Einkaufen eine lässliche Sünde ist

Lesezeit: 6 min

Im Oxfam-Laden an der Fraunhoferstraße kommen viele Spenden an, die von den Ehrenamtlichen verkauft werden - um Projekte gegen Armut zu finanzieren.

Von Kathrin Aldenhoff

Wenn das alte Leben nicht mehr zu einem passt, dann kann man es in eine Tüte packen und wegbringen. Eine geblümte Yogahose, eine schwarz-grau gestreifte, ungetragene Jeans. Oder auch: ein Brautkleid. In München machen das viele, jeden Tag landen tütenweise Kleidung, Bücher, Geschirr und Schuhe im Oxfam-Shop an der Fraunhoferstraße 6. "Mir ist es wichtig, dass meine Sachen wiederverwendet werden. Das sind schöne Stücke, viel zu schade zum Wegwerfen, nur weil ich sie nicht mehr mag", sagt eine 30-Jährige, die gerade eine große Tüte mit Kleidung abgegeben hat. Mitarbeiterinnen sammeln alle Spenden in großen blauen Kisten und notieren auf einer Strichliste, wie viele sie schon gefüllt haben. An diesem Donnerstagnachmittag: ein Strich bei den Büchern, sechs Striche bei Kleidung.

Der Oxfam-Shop in der Fraunhoferstraße ist einer von vieren in München, im Juli eröffnet der fünfte in Pasing. Der ist dann deutschlandweit der 54. Oxfam-Shop. Alle Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich, knapp 3500 in ganz Deutschland. Und der Verein sucht eigentlich ständig neue Ehrenamtliche. Der 100 Quadratmeter große Laden in der Fraunhoferstraße ist einer der erfolgreichsten bundesweit; es ist der, in dem die meisten Spenden abgegeben werden. Seit sieben Jahren gibt es den Laden, Margot Flößer leitet ihn - ebenfalls ehrenamtlich.

Im Geschäftsjahr 2017/2018 machten die deutschen Oxfam-Shops einen Netto-Umsatz von 14,2 Millionen Euro. Mehr als 1,7 Millionen Kunden kauften dort ein. Wenn die Mietkosten abgezogen, die Steuern gezahlt und die Mitarbeiter in der Verwaltung bezahlt sind, bleiben 2,45 Millionen Euro. Das Geld fließt in die Hilfs- und Kampagnenarbeit des Vereins Oxfam Deutschland.

Der Jahresbericht zum Geschäftsjahr, das Ende März 2019 endete, ist noch nicht veröffentlicht. Zum ersten Mal seit Jahren sei der Umsatz wohl gesunken statt gestiegen, sagt Susanne Lipka, die bei Oxfam Deutschland hauptamtlich für die Shops zuständig ist. Daran könnte der Skandal um Machtmissbrauch und sexuelle Ausbeutung von Frauen in Haiti und im Tschad schuld sein, der Oxfam vergangenes Jahr erschütterte. Damals seien auch die Spenden in den Shops vorübergehend um zehn bis 15 Prozent zurückgegangen, sagt sie. Obwohl keine Projekte betroffen waren, die von Oxfam Deutschland gefördert wurden. Susanne Lipka sagt, auch die Krise des Einzelhandels könne schuld am Umsatzrückgang sein.

Inzwischen spenden die Münchner wieder. Sie spenden viel, und sie spenden hochwertige Dinge. Noch einmal doppelt so groß wie die Verkaufsfläche sind die Lager- und Sortierräume, und die sind gut gefüllt: Regale voller Gläser und Vasen, ein Raum nur für Lederhosen, Abendroben und Brautkleider, meterweise Bücher. Eine Inventur hat vor kurzem ergeben: 7600 Bücher haben sie hier, 400 Paar Schuhe. An Kleiderstangen hängen weiße und schwarze Hemden, an einer extra Stange die Designerstücke.

"Wir sammeln auch für Shops, die weniger Spenden bekommen", sagt Margot Flößer. Im Moment packen sie einen Teil der Spenden in Umzugskartons, für den neuen Laden in Pasing. Die Mitarbeiterinnen prüfen vorher, ob alle Reißverschlüsse funktionieren, ob die Kleidung frisch gewaschen und ohne Flecken ist, ob Taschentücher in der Hosentasche stecken. Oder, wie eine Mitarbeiterin flüstert, ein Hundert-Euro-Schein. Auch das komme vor. Wenn der Spender noch im Laden ist, bekommt er ihn natürlich zurück. Dinge, die nicht mehr gut sind, die Flecken haben oder muffig riechen, bekommen die Leute auch zurück.

Die Frauen im Laden können Geschichten erzählen, von Geldtüten in Kinderschuhen, einem Buch mit Geheimfach, voll mit nagelneuen 500-Euro-Scheinen; von gespendeten Hermès- und Gucci-Handtaschen; von teuren Schmuckstücken aus Gold, die einer Frau gehörten, die in ihrer Familie wohl so unbeliebt war, dass nach ihrem Tod niemand ihren Schmuck tragen wollte. Die Geldscheine gaben sie im Fundbüro ab, die Taschen wurden geschätzt und versteigert, der Schmuck verkauft - und davon Hilfsprojekte finanziert.

Eine junge Frau im eleganten langen Mantel schlendert durch den Laden. Sie nimmt eine kleine schwarze Handtasche, hält sie an ihre Seite, blickt kritisch in den Spiegel, stellt sie wieder ins Regal. Sie entdeckt einen karierten Blazer, den probiert sie an. Ein kleiner Junge sucht sich ein Buch über das Weltall aus. Eine junge Mutter mit Kinderwagen, die eigentlich nur einen Jutebeutel mit Spenden abgeben wollte, findet einen Roman, den sie schon lange mal lesen wollte.

Viele Kunden kommen regelmäßig, so wie Martin Wiedmann. Zwei bis drei Mal im Monat schaut er vorbei, guckt sich um. Auch wenn es hier Hugo-Boss-Anzüge zu kaufen gibt und Herrenmäntel für 290 Euro - man kann auch Schnäppchen machen. Jeden Donnerstag um 15 Uhr ist es noch voller als sonst. Dann werden die Dinge verkauft, die eine Woche im Schaufenster ausgestellt waren. Auch Martin Wiedmann ist deswegen gekommen.

Eine Stunde vorher haben zwei Mitarbeiterinnen die Puppen aus dem Fenster genommen und ihnen die Röcke und T-Shirts ausgezogen. Haben Bücher, Geschirr und einen filigranen asiatischen Schirm auf einen Wagen gelegt. Und um kurz nach 15 Uhr klingelt Christine Steinmann mit einem Glöckchen: Es geht los. Der asiatische Schirm ist begehrt, vier Männer wollen ihn haben. In so einem Fall wird gewürfelt. Ein junger Mann würfelt eine sechs; für 5,50 Euro kauft er den Schirm, als Überraschung für seine Freundin. Mit ihr kam er am Abend vorher an dem Laden vorbei, zufällig, sie kannten den Oxfam-Shop nicht, aber seine Freundin hatte sich sofort in den Schirm verliebt - perfekt ist der, als cooles Accessoire für ihre sommerlichen Schlauchbootfahrten auf der Isar.

Martin Wiedmann würfelt mit einer Frau und einer Schülerin um Bettwäsche, er gewinnt. Nachher fragt er das junge Mädchen: "Das sind zwei Garnituren, wenn du eine haben willst ...?" "Ja, gerne", erwidert die, und die Beute wird an der Kasse geteilt. Martin Wiedmann hat hier schon Bildbände niederländischer Maler gekauft, handgemachte Schuhe, er findet eigentlich immer was. "Das Einkaufen ist in diesem Fall eine lässliche Sünde", sagt er. Er wisse ja, er tue etwas Gutes damit.

Wer hilft denn nun eigentlich am meisten, in diesem Spenden-und-Verkaufen-Kreislauf? Heide Schönwetter könnte das wissen, sie arbeitet seit zehn Jahren bei Oxfam und schult Ehrenamtliche, die neu anfangen. Ohne die Spender, sagt Heide Schönwetter, gäbe es keine Läden. Aber ohne Menschen, die regelmäßig bei Oxfam einkaufen, könnten die Läden dem Verein kein Geld für seine Hilfsprojekte überweisen. Was sie nicht sagt: Ohne die Ehrenamtlichen ginge es natürlich auch nicht.

90 von ihnen arbeiten im Laden in der Fraunhoferstraße, in elf Schichten, fast alle sind Frauen. Sechs bis acht arbeiten gleichzeitig, sie prüfen Spenden, legen Preise fest, sortieren die Ware, dekorieren die Schaufenster, beraten die Kunden und kassieren. Und sie informieren über Oxfam, den Verein, für den sie das alles hier machen. "Für eine gerechte Welt. Ohne Armut", das steht auf der Internetseite ganz oben. Der Verein verteilt im Jemen Hygiene-Sets zum Schutz vor Cholera, stellt Trinkwasser für die Bevölkerung bereit, unterstützt Familien mit Bargeld, damit sie sich Lebensmittel kaufen können. In Benin fördert Oxfam ein Projekt, das benachteiligten Mädchen den Schulbesuch ermöglichen soll, und in Deutschland gibt es eine Kampagne für faire Produkte in Supermärkten.

Der Verein Oxfam Deutschland hat im Geschäftsjahr 2017/2018 rund 35,2 Millionen Euro eingenommen. Vieles davon waren Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt oder von Stiftungen. Rund 17 Prozent waren Spenden, sieben Prozent kamen von den Oxfam-Shops. Heide Schönwetter steht hinter den Zielen des Vereins: die Armut abzuschaffen, auf der ganzen Welt. Die Welt gerechter zu machen, Menschenleben zu retten in Krisen. "Mir geht es gut, da will ich auch anderen was Gutes tun", sagt sie.

Christine Steinmann liebt es, Dinge für das Schaufenster auszuwählen. "Wir bekommen wahnsinnig schöne Spenden", sagt sie und zeigt begeistert zwei schwere Halsketten aus Edelsteinen. Sie mag das Dekorieren, das Präsentieren. Eine andere Mitarbeiterin sagt, ihr tue es gut, etwas zu tun zu haben, auch jetzt noch, wo sie in Rente sei. Vorher habe sie manchmal das Gefühl gehabt, es lohne sich morgens gar nicht aufzustehen. Und wieder eine andere Ehrenamtliche sucht neben ihrem Beruf als Lehrerin eine Aufgabe, bei der sie sich darin üben kann, kreativ zu sein.

Spenden, präsentieren, kaufen - es ist ein Kreislauf, bei dem jeder Beitrag wichtig ist. Auch wenn es durchaus mal vorkommen kann, dass der Beitrag eher unfreiwillig ist: Einmal haben sie aus Versehen den Mantel einer Kollegin verkauft, sie hatte ihn über eine leere Schaufensterpuppe gehängt. "Das war ein sehr schöner Mantel, der hat sich schnell verkauft", erzählt eine. Ihre Kollegin trug es mit Fassung. Und lieh sich für den Heimweg einen Wintermantel aus dem Laden.

Wer ehrenamtlich in einem Oxfam-Shop arbeiten möchte, kann sich direkt an die Shops in München oder an das Frankfurter Büro unter der Telefonnummer 069/709362 wenden. Wichtig ist, dass Interessierte fünf Stunden am Stück Zeit haben, um eine Schicht zu übernehmen. Und zwar immer am gleichen Tag.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2019
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