Süddeutsche Zeitung

Parade zum Olympia-Jubiläum:"Heute schließt sich ein emotionaler Kreis"

Lesezeit: 5 min

250 Dackel und der Geist der heiteren Spiele: Was die Highlights der olympischen Jubiläums-Parade waren - und warum der bunte Umzug so sehnsüchtig erwartet wurde.

Von Tom Soyer

"Ach bitte, wann kemman denn de Dackel?", will Inge Heichele von den beiden Polizisten wissen. Die Seniorin und ihr Mann Karl wohnen nicht weit vom Olympiapark, in Gern, und sind an diesem Samstag herübergekommen, um erst die große Olympia-Parade zu genießen und dann auf dem Tollwood-Gelände vielleicht noch zu Mittag zu essen. Doch dann bleiben sie und schauen von einer schattigen Bank, wie ein kunterbuntes, fröhliches, singendes, tanzendes, also rundum heiteres Olympia-München an ihnen vorbeidefiliert. Knapp 4000 Menschen beteiligen sich an diesem Jubiläums-Umzug, mit dem an die Eröffnungsfeierlichkeiten der Olympischen Sommerspiele 1972 in München erinnert wird.

Am Tag, als Karl Heichele in die Schule kam, begann der Zweite Weltkrieg. Auf dem Oberwiesenfeld weideten früher Schafe, erinnert sich Inge Heichele. Sie haben gesehen, wie Münchens Kriegs-Schutt mit einer Bockerlbahn zum Schuttberg auf dem Oberwiesenfeld aufgetürmt wurde, der dann für die olympischen Spiele zum Olympiaberg wurde. Und sie sind begeistert von allem, was Olympia der Stadt gebracht hat, einschließlich der Parade heute. Es bewegt sie, sie halten immer wieder ganz gebannt inne, und die Erinnerungen an damals sprudeln nur so.

Die Parade. Man könnte dieses Projekt des Münchner Kulturreferats einfach als einen weiteren bunten Umzug in der Stadt ansehen. Aber sie ist viel mehr als das, sie ist eine heilsame Erinnerung, die am 4,5 Kilometer langen Weg von den Pinakotheken bis an den Olympiasee überall Begeisterung auslöst. Menschen winken aus Fenstern oder stehen am Straßenrand und jubeln. Und ein früherer Silbermedaillengewinner von 1972, Reinhold Kauder, läuft in der Gruppe der damaligen Olympionikinnen und Olympioniken mit und ist sichtlich glücklich. Er holte seine Medaille damals im Einer-Canadier der Herren im Augsburger Eiskanal und findet es schön, dass die Sportfamilie immer wieder zusammenkommt - und auch gefeiert wird. In seinen Sport sei er immer noch verliebt, sagt er, und er hat einen Wunsch: "Dass die Jungen sich sportlich betätigen - und dass die kleinen Vereine dadurch erhalten werden; es gibt mehr als nur Fußball!"

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In München ist Kauder, der in Mönchengladbach lebt, eine Woche lang Ehrengast, der Deutsche Olympische Sportbund betreut eine ganze Gruppe früherer Medaillengewinnerinnen und -gewinner. Ulrike Nasse-Meyfarth ist auch darunter. Die Parade will sie lieber still genießen, "ich hab' schon so viele Interviews gegeben". Klar, wer Olympia '72 erlebt hat, erinnert sich an den Satz der damals 16-Jährigen über 1,92 Meter beim Hochsprung. Weltrekord und Olympia-Gold. Sie ist auch heute noch gefragt und prominent.

Deshalb stand sie auch am Vorabend der Parade in der Olympiahalle auf der Bühne bei der Eröffnungsfeier für das 50-Jahre-Olympia-Fest. Und erzählte da recht freimütig, wie das damals gewesen sei, als 16-Jährige, die sogar groß in der "Bravo" abgebildet wurde. "Nach vier Wochen kam das große Ende", sagte Meyfarth auf der Bühne in der Olympiahalle, "ich musste wieder in die Schule." Auf ihre Klassenkameraden habe die Berichterstattung der damals einzigen Jugendzeitschrift keinen Eindruck gemacht. "Das war denen wohl eher peinlich", vermutet sie. Und berichtete noch, dass der Goldsprung 1972 "eine Eintagsfliege", also ein unerwarteter Erfolg gewesen sei. Dass sie auch das Zeug zum erwartbaren Erfolg hatte, habe sie dann 1984 in Los Angeles bewiesen, als sie noch einmal Olympia-Gold schaffte. Sie läuft bei der Parade durch München, unterhält sich mit Schwimm-Olympiasiegerinnen und lacht. Muss schön sein, Eintagsfliegen-Gold und Arbeits-Gold errungen zu haben.

Beim Einzug 1972 liefen "BRD" und "DDR" noch streng getrennt, heute bei der Parade ist das überwundene Geschichte. Angelika Keilig (damals: Hellmann), die muntere Berlinerin, war Silbermedaillengewinnerin im Mannschaftsturnen in München für die DDR - und von 1990 bis 1994 Turn-Bundestrainerin. Sie lobt die "sehr emotionale Atmosphäre" bei der Eröffnungsfeier am Freitagabend in der Olympiahalle und winkt bei der Parade auch fröhlich in alle Richtungen, wie nach einem sehr gelungenen Schlusssprung vom Stufenbarren.

Annika Jurda, eine Münchner Schülerin, steht mit ihren zwei Schwestern, der Mama und Papa Gerrit an der Schwere-Reiter-Straße und jubelt der Parade zu. Sie nimmt den Umzug als "historisches Erlebnis" - kommt ja nicht alle Tage so was vor der Haustüre vorbei -, weiß über Olympia 1972 aber nicht allzu viel. Dass es für München wichtig war, erklärt ihr Vater Gerrit Jurda, etwa wegen des fabelhaften Olympiaparks und der ganzen Olympiabauten. "Wir profitieren ja immer noch sehr von der ganzen Infrastruktur", sagt er, ob sie nun mit Inlinern durch den Park skaten, radeln oder spazieren gehen. "Eine gute Idee, so eine Parade zu machen", lobt er noch, während die Münchner Moriskentänzer vorbeitanzen, Menschenpyramiden bilden oder auf dem Asphalt in wilder Formation Rad schlagen.

Echte Profiteure der Münchner Spiele sind auch Willi Bock und die jungen Ruderer, männlich und weiblich, von der Rudergesellschaft München 1972 (RGM 72). Den Verein mit 450 Mitgliedern, dem er vorsteht, gibt es überhaupt nur wegen der olympischen Sommerspiele in München. Und das auch nur, weil die Münchner Ruderer den Kampf bei der Standortsuche gegen Königsdorf damals gewannen. "Die Ruderregatta dort, das wäre halt ein Badesee geworden", sagt Bock und freut sich, dass die RGM 72 nun einer der erfolgreichsten bayerischen Rudervereine sei, mit einer Regatta-Anlage in Oberschleißheim. Wer glaubt, der Sport sei exotisch in Deutschlands Süden, irrt übrigens: 54 Clubs gibt es dafür alleine in Bayern. Sie schieben für die Parade einen gut 20 Kilo leichten Jugend-Einer durch die Stadt - "ein Ruder-Achter hätte 95 Kilo gehabt".

Willi Bock winkt fröhlich beim Umzug, "ich komm mir vor wie die Queen". Aber er schielt ein bisschen neidisch nach Augsburg, wo der Eiskanal gerade generalsaniert wurde und in wenigen Tagen Schauplatz von Weltmeisterschaften wird. "Wir retten permanent die Ruderregatta-Anlage, dieser Kampf begleitet uns seit 50 Jahren." Er wünscht sich, dass Bund und Land auch den Ruderern endlich wieder zu einer verlässlich sanierten Sportstätte verhelfen.

Da sind die vielen migrantischen Vereine, die das Netzwerk "Morgen" aktiviert hat für die Parade, schon eher am Ziel: 1972 war das migrantische Element in München eher das der sogenannten Gastarbeiter, mit deren Hilfe die Olympia-Bauten in Rekordtempo betoniert wurden. Heute schließt sich eine brasilianische Sambagruppe an den uigurischen Bildungsverein, an die nigerianische Community Bayern, an die koreanische Schule und so weiter. Ein buntes Fest, diese Parade.

Doch wo kemman jetzt de Dackel? Ach ja, die hat das Kulturreferat an den Schluss platziert. Weil sie ziemlich vorausschauend wussten, dass alle auf Waldi, das Olympia-Maskottchen und auf die Dackel warten. Den gewaltigen, beinahe elefantengroßen Pappmaché-Waldi hat der Karnevalsverein KG Schiwweld aus Neuwied in Rheinland-Pfalz durch die Stadt gezogen, weil er die Figur einst für einen Faschingsumzug baute. Das Dackelmuseum Passau hat das rollbare Kunstwerk erworben - und einen Olympia-Gestaltungswettbewerb daraus gemacht, den wiederum Noah Kolm, Klasse 7 der Dreiflüsse-Realschule Passau, mit einem Otl-Aicher-Farbkonzept plus Olympia-Ring-Design gewann. Noah lief hinter den rheinischen Narren und dem Groß-Waldi, gefolgt von 250 echten Dackeln mit so klingenden Namen wie "Don Papa vom Lila Elsternest".

Natürlich ist bei aller Heiterkeit die schwierige Historie von 1972 unvergessen. Bei der Eröffnungsfeier am Freitag in der Olympiahalle war der Opfer des Attentats würdig gedacht worden. Am Samstag gelingt es der Stadt München mit dieser Parade aber, an die "heiteren Spiele 1972" anzuknüpfen und heilsamen Frieden zu finden, ohne die Gewalt und die Opfer von damals zu vergessen.

Deshalb ist es für Hans Huber vom Trachtenverein Alt-Miesbach München ein ganz besonderer Tag, denn er war auch 1972 bei den Eröffnungsfeierlichkeiten mit seinem Verein beteiligt. Bei der geplanten Schlussfeier damals hätte er auf der Tartanbahn im Olympiastadion an einem Sterntanz teilnehmen sollen. Aber dazu kam es wegen des Attentats nicht, die Schlussfeier sei "eine stille Feier" geworden.

Wenn er das so ernst erzählt, merkt man, wie sehr ihn die Erinnerungen berühren, aufwühlen. Er, der damals 20 war, steht heute als stattlicher Mann in Tracht im Olympiapark - und spricht feine Worte, die wahrscheinlich den Kern dieser Parade am besten treffen und die Antwort darauf geben, warum es diese Parade heute, nach 50 Jahren, für München braucht. "Für mich schließt sich da heute ein emotionaler Kreis, der damals durch das Attentat abgebrochen worden war. Ja, dieser Kreis schließt sich heute, und ich bin sehr froh drum! Für mich gehen diese olympischen Spiele heute zu Ende." Er schaut in die Ferne, über die Hügel des Olympiaparks. Nicht weniger glücklich als eine Doppelgoldmedaillengewinnerin, die ein paar hundert Meter vor ihm in dieser Parade mitläuft.

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