Süddeutsche Zeitung

Trachten- und Schützenumzug:"Es ist eine Ehre mitzulaufen"

Lesezeit: 2 min

Der Umzug zum Oktoberfest zählt zu den längsten der Welt. Man kann sich leicht über die Outfits lustig machen, so klingen zumindest manche Kommentare der Zuschauer. Oder man kann es sehen wie Hans Pfeil.

Von Max Ferstl

Es ist 9.45 Uhr: In der Gewürzmühlstraße, ein paar Straßen vom Maxmonument entfernt, steht Hans Pfeil und wartet. Pfeil, braune Jacke, brauner Hut, schimmernde Abzeichen, soll an diesem Sonntagvormittag die Fahne seiner Schützengesellschaft Bergfried aus Neuperlach tragen. Aber erst einmal braucht er - wie jeder gute Schütze - Geduld.

Gleich wird der diesjährige Trachtenumzug anlässlich des Oktoberfests beginnen. 9000 Trachtenumzügler werden sich durch die Innenstadt Richtung Festwiese schieben und ein sieben Kilometer langes Band bilden. Würden sie jedoch gleichzeitig losmarschieren - das Chaos wäre unausweichlich. Deshalb müssen viele warten. Und kaum einer wartet länger als die Schützen. "In einer Stunde geht's los", schätzt Pfeil.

Das Warten gehört zu jedem Trachtenumzug wie der Geruch von Pferdemist. Die Umzügler warten, dass sie losmarschieren können. Die Zuschauer am Straßenrand warten, bis das Spektakel endlich zu ihnen kommt. Und das ein oder andere Kind wartet nach einiger Zeit hörbar darauf, dass das Schauspiel allmählich zu Ende geht.

10 Uhr: In der Maximilianstraße setzt sich der traditionelle Trachtenzug in Bewegung. Weil kein Bericht über einen Trachtenzug ohne einen Hinweis aufs Wetter auskommen darf, ein schneller Blick zum Himmel, der nicht unbedingt so herrlich blau ist wie noch tags zuvor bei der Wiesn-Eröffnung. Aber immerhin schiebt sich die Sonne durch die milchigen Wolken. Es könnte schlimmer sein.

Wie immer zieht als erstes das "Münchner Kindl" vorbei, das Wahrzeichen der Stadt, diesmal verkörpert von Viktoria Ostler. Sie trägt eine schwarz-gelbe Mönchskutte, in der Hand einen riesigen Bierkrug. Ostler winkt, die Leute winken zurück. Es wird traditionell viel gewunken bei einem Trachtenumzug. Ein paar Minuten nach Ostler rollt Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter in einer Kutsche vorbei, winkend. Und wieder ein paar Momente später grüßt Ministerpräsident Markus Söder, ebenfalls von einer Kutsche. Die Menschen buhen nicht bei Söders Auftritt, wie einige am Samstag beim Anzapfen im Schottenhamel-Zelt. Aber eine ältere Frau ist trotzdem nicht ganz zufrieden: "Der trägt keine Tracht", findet sie. Tatsächlich trägt Söder eine schwarze Trachtenjacke, die allerdings vom Straßenrand aus schwer als solche zu erkennen ist.

Ansonsten bleibt es ruhig. Auch das gehört ja zur Tradition: dass sich gerade nichts ändert. "Im Grunde ist alles noch wie früher", sagt Pfeil, der es wissen muss, schließlich marschiert er schon seit 40 Jahren beim Trachtenumzug mit. Wobei sich streng genommen schon ein paar Dinge geändert haben, seit der Umzug im Jahr 1835 erstmals anlässlich der Silberhochzeit von König Ludwig I. und Therese von Bayern durch München marschierte. Der Zug im Jahr 2019 ist deutlich länger, mit seinen sieben Kilometern gehört er zu den längsten dieser Art in der ganzen Welt. Und: Der Zug ist internationaler geworden: Trachtengruppen kommen aus Österreich, aus Italien, aus Litauen. Und vermutlich fuhren vor dem Trachtenzug früher auch keine Werbemobile, die auf Autohersteller oder Leihwagen-Anbieter hinwiesen.

Doch in seinem Kern ist der Zug unberührt. Viele Gruppen, die von der Maximilianstraße in Richtung Festwiese aufbrechen, klingen so traditionell, dass sie schon 184 Jahren dabeigewesen sein könnten: die Königlich Privilegierte Hauptschützengesellschaft München 1406, der Gebirgstrachten-Erhaltungsverein Hochries-Samerberg Grainbach, oder die Armbrust-Schützengilde Winzerer Fähndl, deren Mitglieder aussehen, als hätte sie jemand aus dem Mittelalter ins Hier und Jetzt gebeamt.

Man kann sich leicht darüber lustig machen, so klingen zumindest manche Kommentare der Zuschauer. Oder man kann es sehen wie Hans Pfeil, der sagt: "Es ist eine Ehre mitzulaufen; den Verein und die Stadt zu repräsentieren." Deshalb sei er jedes Jahr wieder dabei.

Um 11.05 Uhr kommt endlich Bewegung in die Gewürzmühlstraße. Der Spielmannszug Hörgertshausen legt los. Ganz hinten packt Pfeil die Fahne der SG Bergfried, die rechte Hand weit oben, die linke stützend darunter. Die Schützen reihen sich auf, vier in einer Reihe, der Abstand möglichst gleich groß. Pfeil schaut gerade aus. Dann marschiert er los.

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Quelle:
SZ vom 23.09.2019
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