Süddeutsche Zeitung

Oktoberfest:Billigtrachten haben einen schlechten Ruf - zu Unrecht!

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Auf Bierhut und Plastikdirndl reagieren Münchner gerne mit Hohn und Spott. Doch die Wiesn braucht das Absurde.

Von Laura Kaufmann

Was hat er nur verbrochen, der Hendlhut mit den frech wackelnden Schenkeln? Als "Wiesn-Scheußlichkeit" ist er schon bezeichnet worden. Greislig sei er, der bloße Anblick eine Zumutung. Sein länger etablierter Bruder, der Masskrughut, erntet nicht weniger verächtliche Blicke. Dabei sehen die Leute, die ihn auf dem Kopf haben, immer fröhlich aus. Zumindest bevor sie auf dem Kotzhügel einschlafen. Und wer lacht, der ist doch immer schön, oder zumindest sympathisch, oder nicht?

Faschingstracht, sagen die Traditionalisten gern spöttisch, vor allem wenn sie junge Touristinnen im neckisch kurzen Cinderella-Dress sehen. Pseudodirndl seien das, die aussehen wie aus bonbonfarbenen Duschvorhängen zusammengenäht. Doch der Hohn und Spott ist völlig unberechtigt. Die Wiesn lebt vom Absurden, vom Komischen. Da gehören die seltsamen Outfits längst so dazu wie der süße Senf zur Weißwurst; Hendl-Hut und Cinderella-Dress inklusive.

Doch zuweilen benimmt sich der Einheimische beinahe so, als würden ihm diese Faschingstrachtler etwas wegnehmen, so bissig und höhnisch reagiert er auf sie. Dass es "ned schee" ausschaut, ist da noch ein harmloserer Kommentar. Dabei gibt es auf der Wiesn so einiges, was noch viel weniger "schee" ausschaut. Etwa der Wiesnbesucher in der waschechten Hirschledernen, der in seinem eigenen Erbrochenen sitzt.

Einige Touristen halten sich in einer solchen Aufmachung für den Anlass durchaus entsprechend gekleidet, auch wenn jedes Trachtenvereinsmitglied Bayerns ihr Kleidungsstück nicht mal mit spitzen Fingern anfassen würde. Aber haben die Koreanerinnen, Brasilianerinnen und Amerikanerinnen, die für das Fest einmal um die halbe Welt geflogen sind, diesen Spott verdient? Nur weil sie eine günstige Verkleidung tragen, die einer Tracht ähneln soll? Weil sie irgendwie dazugehören wollen?

Sie sehen Bilder von der Wiesn, von dieser riesengroßen Bierparty, und sie drücken bei einem Onlineshoppingportal auf den Einkaufswagenknopf, wenn sie das Kleid eines "Bavarian Beer Girls" sehen. Denn genau das wollen sie für ein paar Tage sein - ein Teil der Party, die auf sie wie Folklore wirken muss. Und es steht doch auch im Reiseführer, dass das "traditional dress" dazugehört.

Der Traditionalist kann noch froh sein, wenn nicht sogar der Mann auf eine Hose verzichtet und selbst zum Billigdirndl mit blonder Perücke greift. Für die Touristen ist es eben "great fun" und höchstwahrscheinlich ahnen sie gar nicht, wie bierernst das Thema Tracht in der Stadt zuweilen behandelt wird.

Doch die eine, bayerische Tracht gibt es nicht. Mal ganz abgesehen davon, dass auch die wenigsten Münchner und Münchnerinnen in einem traditionellen Chiemgauer oder Werdenfelsener Outfit auf das Festgelände stolzieren. Jedes Jahr wird eine neue Mode ausgerufen. Dieses Jahr sind es die eben die hochgeschlossenen Blusen, vor zwei Jahren musste das Dirndl im besten Fall taupefarben sein. Bei Männern muss bitteschön die Strumpffarbe zu der lila Samtweste passen. Kein Wiesnbesucher wird gezwungen, sich blinkende Hasenohren aufzusetzen oder ein Shirt mit dem Audruck "beer formed this body" zu tragen.

Die Tracht unterliegt einem stetigen Wandel. Glaubt denn ernsthaft eine der Damen im Schützenzelt, dass die Münchner Wirtshauskellnerin anno 1760 die Masskrüge mit einem üppigen Blumenkranz im Haar serviert hat? Ganz zu schweigen von den durchsichtigen Spitzenblusen und -schürzen, die der weibliche Wiesnpromi im Käferzelt zur Schau trägt.

Die noch gar nicht allzu lange wieder aufgeblühte Trachtenliebe geht dadurch nicht kaputt, dass sie andere billig nachahmen. Im Gegenteil: Nachahmung ist immer auch eine Art Kompliment. Und es ist schön, wie begehrt und bekannt die bayerische Tracht zur Wiesn geworden ist, selbst wenn oft einiges an ihr "Lost in Translation" geht.

All diese quietschbunten Absonderlichkeiten bereichern die Wiesn um eine weitere Sehenswürdigkeit. Gerade für Einheimische ist es witzig zu sehen, was manchmal so unter bayerischer Kleiderordnung verstanden wird. Und wer zur Berchtesgadener Tracht nicht noch traditionell einen Stock im Allerwertesten trägt, der sollte sich an der bunten Vielfalt erheitern und den Bavarian Cinderellaprinzessinnen am Nebentisch ganz einfach einmal zuprosten, statt ihnen abwertende Blicke zuzuwerfen.

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