Süddeutsche Zeitung

Neuhausen/Nymphenburg:Die Basis rüttelt an den Hochhäusern

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Die Pläne für zwei Wolkenkratzer auf dem Areal der Paketposthalle an der Friedenheimer Brücke werden in der Bürgerversammlung zerpflückt. München mutiere zur "Monster-Weltmetropole", lästern die Kritiker

Von Sonja Niesmann, Neuhausen/Nymphenburg

Finstere Zukunftsbilder sind da gemalt worden: München auf dem Weg zur "Monster-Weltmetropole", mit "Wohnwaben wie in Tokio", mit "Wolkenkratzern à la Dubai". "Wohnschläuche wie schlechtester Hinterhof Berlin 1880". München, das sein traditionelles, liebenswertes Gesicht verliert, das - wenn überhaupt Hochhäuser - diese wenigstens an die (nördliche) Peripherie verbannen sollte. Acht von 30 Anträgen in der Bürgerversammlung für den Stadtbezirk, die am Donnerstagabend im roten Manegenrund des Circus Krone stattfand, beschäftigten sich kritisch oder ablehnend mit den Plänen für das Paketposthallen-Areal an der Friedenheimer Brücke. Der Investor Ralf Büschl aus Grünwald will auf dem zwölf Fußballfelder großen Areal zwei 155-Meter-Türme errichten lassen, drumherum sechsgeschossige "Hofgebäude". 1100 neue Wohnungen und 3000 Arbeitsplätze sollen entstehen, die denkmalgeschützte Halle mit ihrer markanten Dachwölbung ein öffentlicher Ort für Begegnung und Kultur werden.

Selbst wenn man zugrunde legt, dass zu einer Bürgerversammlung weniger die Zufriedenen, sondern vor allem jene kommen, die ein Problem, Kritik, Ärger loswerden wollen, ergab dies doch ein Stimmungsbild. Viel Zwischenapplaus bei Wortbeiträgen zu Paketposthalle/Hochhäusern, ausnahmslos alle Anträge gingen mit großer Mehrheit durch. Als da waren: die Hochhäuser und den ganzen Masterplan der Architekten Herzog & de Meuron ablehnen. Das Bebauungsplanverfahren aussetzen und einen städtebaulichen Ideenwettbewerb ausschreiben, der Anregungen aus dem Bürgergutachten zum Paketposthalle-Areal aufnimmt. Die Wirkung der Hochhäuser auf die Sichtachse vom Schlossrondell berücksichtigen. Mindestens 50 Prozent geförderte, also erschwingliche Wohnungen bei dem Projekt. Das Vorhaben ökologischer und grüner umsetzen, mehr Platz für Kultur und Soziales vorsehen, bei der Planung auch Bürger und Initiativen aus dem Viertel hören. Und bis spätestens Oktober solle der Bezirksausschuss (BA) eine Pro- und Contra-Veranstaltung organisieren, "nur dann können wir uns fundiert eine Meinung bilden", forderte ein Bürger.

Dem entgegnete Ulrich Schaaf vom Stadtplanungsreferat, es seien sehr viele Formate der Öffentlichkeitsarbeit geplant. Am 29. Juni startet - online und öffentlich - das Bürgergutachten, unter den 100 Mitwirkenden seien sieben bis zehn Menschen aus dem Viertel. Der BA lässt parallel eine Arbeitsgruppe mit Anwohnern laufen, Anfang 2022 beginne dann die vorzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit. Abschließende Anmerkungen von Schaaf: Die Höhe der Hochhäuser "ist noch nicht festgelegt". Eine Ballon-Simulation zu ihrer Wirkung sei geplant. Die Sichtachse werde geprüft. Und über die vorgesehenen 30 Prozent geförderte Wohnungen hinaus habe der Investor bereits noch mehr "günstige Wohnungen" zugesagt.

Zweites großes Thema der von rund 130 Bürgerinnen und Bürgern besuchten, von der Dritten Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) moderierten Veranstaltung war der Verkehr. Ein Antrag, die Landshuter Allee doch neu zu untertunneln, wurde abgelehnt. Differenzierter war ein Antrag der "Initiative für Neuhausen", der eine Mehrheit fand. Sie schlug zum Schutz der Anwohner Sofortmaßnahmen vor, wie eine durchsichtige Überdachung an beiden Enden des bestehenden Tunnels, analog zum Petueltunnel, niedrige Glaswände vor den Häusern, wie an der Effnerstraße/ Effnerplatz, sowie vorgehängte doppelte Fassaden aus Glas. Zudem sollten die Begleitspuren des Mittleren Rings im Bereich der Landshuter Allee auf maximal zwei, wenn möglich nur eine Spur je Richtung zugunsten von mehr Grünfläche rückgebaut werden sowie die Querungsmöglichkeiten an der Landshuter Allee verbessert, speziell die Kreuzung mit der Leonrodstraße umgestaltet werden.

Ebenfalls auf große Zustimmung stießen Anträge auf Tempo 30 in der Wendl-Dietrich-Straße sowie auf die Ausweisung eines Carsharing-Stellplatzes pro 50 Parkplätzen im Viertel, denn ein geteiltes Auto ersetze 20 private Pkw - eine Rechnung, die Gerd Reiß vom Mobilitätsreferat anzweifelte. Eine Bewohnerin des Mehrgenerationenhauses am Reinmarplatz lenkte den Blick auf die Radl-Pilotroute von Nymphenburg zum Petuelring, "ein Radl-Highway für den Berufsverkehr". Die Querung an der Dantestraße und die schmale Passage am Canaletto entlang berge Gefahren für Fußgänger und langsamere Radler, immer wieder komme es zu kleineren oder schwereren Zwischenfällen. Sie forderte, die Anwohner bei der Bewertung der (eigentlich bereits abgelaufenen) Pilotphase zu hören.

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SZ vom 19.06.2021
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