Süddeutsche Zeitung

Integration:Wie Volksmusik die Menschen verbindet

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Lieder sind Herzenssache, meint unser Kolumnist aus Syrien. Dabei ist es egal, in welcher Sprache sie gesungen werden.

Von Mohamad Alkhalaf

Die Bayern sind ein musikalisches Volk. Sie lieben ihre Volksmusik - so wie auch die Syrer ihre Volksmusik lieben. Unsere arabische Musik begleitete mich in meiner einstigen Heimat Rakka durch den Alltag. Beim Essen, beim Kartenspielen, beim Treffen mit meinen Freunden. Wir sangen gerne in unserem Dialekt dazu. Musik war immer ein Teil von uns.

Wie sehr einen das Leben aus Gewohnheiten herausreißen kann, merkt man sehr deutlich an der Musik, die einen umgibt. Nach meiner Flucht war ich auf einmal hier in Bayern. Wo nichts mehr wie vorher war. Auch in der Musik. Während einer meiner ersten S-Bahn-Fahrten traf ich einen Mann, der einen Gegenstand in der Hand hielt, der mich an eine Kanun erinnerte, ein orientalisches Zupfinstrument. Was der Mann mit sich trug, war in eine hölzerne Kastenform gebaut und hatte Saiten über einer Öffnung.

Offen war auch der Mann, als er meine neugierigen Blicke bemerkte. So machte er mich mit seinem Instrument bekannt. Es funktioniert wie eine Kanun - sprich, man zupft und streichelt die Saiten. Das Instrument spielte Töne, die ich aus Rakka kannte. Das berührte mich so sehr, dass ich Herzklopfen bekam und zu zittern anfing. Dass die Bayern dieses Instrument Zither nennen, ist wirklich äußerst treffend.

Der Mann lud mich zu sich ein, damit ich nähere Bekanntschaft mit der bayerischen Volksmusik, ihren Instrumenten und ihren Eigenarten machen konnte. Sie ist vielseitiger, als ich dachte. Es gibt zum Beispiel die Stubenmusi, die Blasmusi, das Jodeln und nicht zuletzt "Gstanzl", die oft Spitzen gegen die Obrigkeit beinhalten. Vor allem, dass in Bayern Gstanzl gesungen werden, fand ich besonders aufregend, lebten Musiker in Syrien in den Jahren vor meinem Abschied doch ähnlich gefährlich wie Journalisten.

Die bayerische Volksmusik macht mich fast süchtig. Auf Bergwanderungen höre ich sie während der Brotzeit auf der Alm. Sie regt gar meinen Appetit an. Ich singe seither gerne mit, auch wenn ich den Text oft nicht verstehe. Aber das ist bei der Musik nicht entscheidend.

Syrische Volksmusik ist oft melancholisch

In Syrien ist die Volksmusik wenig von Humor und Satire geprägt. Die bekannten Stücke sind eher melancholischer Natur, ich könnte dabei ganz trübsinnig werden. In Bayern sind die Lieder oft lustig, manchmal sogar aufmüpfig und meistens heiter. Sie verleiten mich zum Mitklatschen, Lachen und Tanzen. Bei meiner Hochzeit vor einigen Monaten spielte eine bayerische Gruppe zum Tanz auf. Meinen Freunden gefielen die bayerischen Gesänge, obwohl sie kein Wort von den Texten verstanden. Das ist aber auch nicht weiter wichtig. Weil Lieder Herzenssache sind und die Menschen verbinden, egal in welcher Sprache sie gesungen werden.

Seit ich in Kirchseeon östlich von München wohne, genieße ich meinen Feierabend mit Tee, Musik und Lektüre. Auf dem Oktoberfest, wo man die Keimzelle der Volksmusik vermuten würde, muss man sich hingegen in Acht nehmen. Dort kann einem schnell mal ein gescheiter Schmarrn aufgetischt werden, wie die Bayern so schön sagen. Wer auf dem Oktoberfest zu echter bayerischer Musi tanzen will, muss deswegen auf die Oide Wiesn gehen. Ich war fast jeden Tag mit meiner Oidn dort - sie im Dirndl, ich in der Lederhose.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2018
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