Süddeutsche Zeitung

Neuaubing/Gräfelfing:Gutachter widerspricht der Bahn

Lesezeit: 3 min

Eine Verkehrsexpertise kommt zu dem Ergebnis, dass eine Unterführung an der Brunhamstraße nach dem Bau der zweiten Stammstrecke überflüssig ist. Laut der Studie werden die Schranken nur 15 Minuten pro Stunde geschlossen sein, die DB hat 46 Minuten errechnet

Von Ellen Draxel, Neuaubing/Gräfelfing

Die Brunhamstraße braucht weder eine Unterführung noch eine Verbindung zur Straße am Gleisdreieck. Denn die Bahnschranke wird auch nach Fertigstellung der zweiten Stammstrecke lediglich knapp 15 Minuten pro Stunde geschlossen sein - nicht 46 Minuten, wie die Deutsche Bahn berechnet hat. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten des Verkehrsberaters Martin Vieregg, eines Spezialisten für Eisenbahn-Betriebsabläufe. Die Gemeinde Gräfelfing, wo der Verkehr mit dem Bau einer Unterführung in Neuaubing deutlich zunehmen würde, hatte das Beraterbüro Vieregg-Rössler beauftragt, sich die Schließzeiten anzusehen.

"Die Ergebnisse sind eindeutig und erfreulich", sagte Vieregg im Gräfelfinger Gemeinderat am Dienstagabend. Der Übergang selbst sei "ein erstaunlich gut funktionierender Bahnübergang", baulicher Verbesserungsbedarf bestehe dort kaum. Lediglich die Überlappungszeiten seien optimierbar - also die Zeiten, in denen Züge stadtein- wie stadtauswärts gleichzeitig die Schranke passieren könnten.

Um valide Daten zu erhalten, maß Viereggs Kollege die Sperrzeiten mit der Stoppuhr. In der Hauptverkehrszeit mit Zehn-Minuten-Takt ist die Schranke demnach heute 18,5 Minuten pro Stunde geschlossen, da sechs Züge in beide Richtungen vorbeifahren. Auch nach dem Bau der zweiten Stammstrecke werden es - dann mit 15-Minuten-Takt und Express-S-Bahnen - jeweils sechs Züge sein, zusätzlich könnte es laut Vieregg aber eine "Chance" auf Überlappungen geben. In Summe ergäbe sich damit eine Sperrzeit von 14,7 Minuten.

Wie er sich denn diese "doch deutliche Diskrepanz" zwischen seiner Zahl und jener der Deutschen Bahn erkläre, fragte Bürgermeister Peter Köstler (CSU). "Ich weiß auch nicht, was da in die Bahn gefahren ist", antwortete Vieregg. Er habe sich "furchtbar aufgeregt", inzwischen seien 80 Prozent der Aufträge, die sein Büro erhalte, Korrekturen von Bahnaussagen.

Sind Viereggs Berechnungen korrekt, bliebe der Gemeinde ein enormer Zuwachs an Verkehr erspart. Denn eine Unterführung an der Brunhamstraße, erläuterte Helmut Ammerl von der Obermeyer Infrastruktur GmbH, würde die Strecke für den Autoverkehr "deutlich attraktiver machen". In 15 Jahren, prognostizierte er, werde die Belastung in der Brunhamstraße allein durch die strukturelle Entwicklung in München und Gräfelfing von 9000 auf 11 500 Fahrten täglich steigen. Werde aber zusätzlich der Bahnübergang aufgelöst, müsse mit einem "riesigen Belastungssprung" gerechnet werden: Der Verkehr in der Brunhamstraße steige in diesem Fall auf 19 000 Fahrten am Tag, zu spüren bekämen das Aubinger wie Gräfelfinger. "Ganz ehrlich", schlussfolgerte Köstler, "dann ist die Lösung doch ganz einfach: Lassen wir es so, wie es ist." Die Politiker folgten seinem Vorschlag, der Gemeinderat lehnte den Beschlussvorschlag der Stadt München, an der Brunhamstraße eine Unterführung zu bauen, mit Verweis auf die Untersuchungen einstimmig ab. Gräfelfing will der Landeshauptstadt Viereggs Gutachten zur Verfügung stellen.

Robert Adam vom städtischen Mobilitätsreferat kündigte bereits an, die Deutsche Bahn mit Viereggs Zahlen konfrontieren zu wollen. Selbst überprüft hat München die von der Bahn angegebenen 46 Minuten Schließzeit nicht. "Wenn die Bahn das sagt, gehen wir davon aus, dass das stimmt", sagte Adam am Dienstag.

Bisher ging das Mobilitätsreferat davon aus, dass bei einer Verdoppelung der Schranken-Schließzeiten eine Unterführung die beste Lösung gegen den Stau rund um den Bahnübergang ist. Auch wenn das "aufwendig" werden könnte, mehr Verkehr für die Limes- und die Brunhamstraße bedeuten würde und man das Umfeld inklusive der Bodenseestraße um mindestens 80 Zentimeter absenken müsste. Aus Sicht der Verwaltung immer noch besser als eine vom Bezirksausschuss Aubing-Lochhausen-Langwied vorgeschlagene, parallel zu den Gleisen neu zu bauende Verbindungs-Trasse bis zur Straße Am Gleisdreieck und der dortigen Unterführung. Diese Route würde sich zwar positiv auf die Verkehrsbelastung auswirken, da sie durch ein Gewerbegebiet führt. Der Grund gehört aber nicht der Stadt, es müsste laut Adam dafür "vermutlich mindestens ein Gebäude abgerissen" und eine Straßenbrücke gebaut werden. Zudem gibt es dort Biotope, und Schleichverkehr wird auch befürchtet. Sollte die Bahn Viereggs Zahlen bestätigen, dann, sagt Adam, "ist alles gut. Dann lassen wir es einfach so wie jetzt."

Die Münchner Rathaus-CSU reagierte schon am Mittwoch: In einer Anfrage an Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wollen Fraktionschef Manuel Pretzl und Stadträtin Heike Kainz wissen, welche Schlüsse die Stadt aus den Zahlen ziehen will.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5245191
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.03.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.