Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf Gertraud Well:Wenn die Stubnmusi verstummt

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Von Gerhard Fischer

Sie war schon über 90, da trat sie noch in den Kammerspielen auf. Sie saß mit ihren weißen Haaren, dem knuffigen Gesicht und dem Dirndl inmitten ihrer auch schon grau gewordenen Kinder und spielte Zither. Als der Hausmusikabend "Fein sein, beinander bleibn" zu Ende ging, trat eine von ihren Töchtern nach vorne an den Bühnenrand und sang: "Aus is und gor is und schod is, dass wohr is." Anschließend gab es sehr viel Beifall, vor allem für die Frau mit den weißen Haaren, für Traudl Well.

In der Nacht zum Freitag ist Gertraud Well, genannt Traudl oder einfach "die Well-Mutti", mit 95 Jahren gestorben. Ihr Sohn Hans Well sagte, sie sei "friedlich eingeschlafen". Schod is.

Wer war diese Traudl Well? Sie spielte Zither und Harfe und trat in den Kammerspielen auf, aber vor allem war sie: die Mutter von 15 Kindern, die Mutter der Biermösl Blosn und der Wellküren. Eine Mutter, die als sorgend galt, als bescheiden, als lustig und leutselig. Und die dafür bekannt war, dass sie mit Leidenschaft Schafkopf spielte.

Traudl Well wurde 1919, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, als Gertraud Effinger geboren. Angeblich hätte sie in den Dreißigerjahren gerne Medizin studiert, aber sie musste früh die Schule verlassen - die Eltern konnten die Ausbildung nicht bezahlen. Sie heiratete den Dorflehrer Hermann Well, wohnte in einem Schulhaus ohne fließendes Wasser - und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Kinder, die dann zu dritt in einer Wanne baden mussten. Gefrühstückt wurde in Schichten, und das Geld war immer knapp, denn der Lehrer Well verdiente in den Fünfzigerjahren bloß 350 Mark im Monat. "Und des is a ganga", sagte Traudl Well einmal.

Keine heile Familienwelt der Wells

Sie lebten in Günzlhofen, einem kleinen Ort zwischen München und Augsburg, in einem Haus mit Eckbank, Kachelofen, Bauernschränken, Herrgottswinkel - das ganze Programm. Sie, Traudl Well, habe den Kindern das Flötenspielen beigebracht, ihr Mann das Singen. Bei der Musik rückte die Familie zusammen. Aber eine heile Welt war es nicht, Hans Well hat in seiner Biografie mit diesem Klischee aufgeräumt.

Er schreibt, dass es schwer war, "angenommen und gemocht zu werden", dass man "manchmal sehr alleine war" in der großen Geschwisterschar - und dass die Kinder, die besser singen und musizieren konnten, das bessere Essen bekamen. Darüber, und über andere Ungerechtigkeiten, sei immer wieder gesprochen worden, wenn man sich später traf, als die einen längst die berühmten Biermösl Blosn waren und die andern die bekannten Wellküren.

Deutsch und konservativ sei man erzogen worden, schreibt er. Da war es kein Wunder, dass es Disharmonien in der Musiker-Familie gab, als Hans, Michael und Christoph Well erwachsen und frech wurden und begannen, als Biermösl Blosn die Autoritäten in Bayern zu plagen, den Strauß, den Stoiber, den Herrn Pfarrer, die Baywa. "Anfangs war uns des gar ned recht, aber solang's die alten Sachen ned ganz vergessen, brauch' ich nix sagen", sagte Traudl Well einmal zur Süddeutschen Zeitung. Später meinte sie: "Ma g'wohnts."

40 Enkel und 20 Urenkel

Kinder und Eltern müssen sich nicht immer verstehen, Hauptsache sie mögen sich, sie sehen sich - und sie machen vielleicht auch noch Musik miteinander. Die Familie Well traf sich zur Stubnmusi, spielte an Weihnachten und an Geburtstagen zusammen, spielte für Freunde und Vereine und machte mehr als 40 Jahre lang ein Passionssingen in der Wallfahrtskirche Herrgottsruh bei Friedberg. Dass die Kirche dabei immer voll war, muss man nicht erwähnen. Ach ja, Traudl Well erinnerte sich nicht nur an die Musik und an die Geselligkeit bei den Treffen, sondern auch an das Essen, das früher immer so einfach gewesen ist. Nun war es anders. Einmal habe ein Sohn einen Truthahn spendiert, der "so groß war wiara Sau".

Zu den Kindern waren etwa 40 Enkel und 20 Urenkel dazugekommen. Die Well-Mutti war also als Oma und Uroma gefordert. Sie hat das genossen, heißt es. Ob jedoch die CSU so glücklich ist, dass es nun so viele Wells gibt? Christoph Well hat einmal gesagt: "Bald sind wir hoffentlich so viele, dass wir Einfluss aufs Wahlergebnis haben."

Viele Wells sind zuletzt immer wieder nach Günzlhofen gefahren, zu dem Haus, in dem Traudl Well weiterhin lebte. "Sie war in letzter Zeit ein Pflegefall", sagte Hans Well am Freitag der Süddeutschen Zeitung. "Und es war oft einer von uns bei ihr." Hervorheben möchte er allerdings seine Schwester Christa. Sie habe bei der Pflege der Mutter "Großes geleistet". Christa sei auch in der Nacht, als Traudl Well starb, bei ihr gewesen.

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Quelle:
SZ vom 17.01.2015
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