Süddeutsche Zeitung

Münchner Kulturpolitik:Die Weltstadt verliert sich im Klein-Klein

Lesezeit: 3 min

Von Franz Kotteder, München

Wenn Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) an diesem Montagabend Künstler, Schauspieler, Autoren, Musiker und Veranstalter zu seinem Kulturempfang in das Forum des Gasteigs lädt, dann ist das auch ein Signal. Wir stehen zu unserem Kulturzentrum, will Reiter damit sagen, wir lassen es nicht verkommen, sondern werden es umfassend sanieren, auf dass es nachher schöner und funktionaler denn je dasteht, was insbesondere für seine viel gescholtene Philharmonie gelten soll. München soll, bitte schön, auch künftig leuchten.

Die Kulturschaffenden werden es mit Wohlwollen vernehmen, einerseits. Denn die Stadtspitze mutet ihnen anderseits ja einiges zu. Die Entdeckung des Haushaltslochs im Herbst vergangenen Jahres hat vieles verändert, gerade in der Kulturpolitik. Seither ist nichts mehr fix, was zuvor als notwendig erachtet wurde. Stellen, die man eigentlich braucht, werden nicht besetzt. Baumaßnahmen werden hinausgezögert, weil es besser aussieht, wenn sich die Kosten auf mehr Haushaltsjahre verteilen als eigentlich vorgesehen. Die wichtigste Frage scheint derzeit im Rathaus zu sein: Muss das gleich geschehen oder lässt sich's noch hinausschieben?

Der Vorteil von großen Koalitionen sei, so heißt es, dass sich große Vorhaben leichter durchsetzen lassen. Man könnte mit so einer Mehrheit ja zum Beispiel versuchen, die Wohnungsnot zu beheben. Oder wenigstens ein paar sanierungsbedürftige Kulturbauten wieder herrichten. Doch all das passiert nicht: Die großen Vorhaben werden eher hinausgezögert und manchmal auf fast peinliche Art kleiner gemacht, als es noch sinnvoll ist. Da ist bisweilen ein kleinliches Denken am Werk, das nicht zur Selbstdarstellung als Weltstadt passt.

Beispiel Gasteig. Fragt man bei der Stadt nach, wie es jetzt mit der nötigen Generalsanierung aussieht, erhält man die Antwort: "Im kommenden Frühjahr wird der Stadtrat darüber entscheiden." Ein Satz, der schon vor zwei Jahren und auch noch vor einem Jahr jeweils exakt so gefallen ist. Ob er im nächsten Sommer wieder so fallen wird?

Kulturreferent Hans-Georg Küppers (SPD) sagt, dass es nicht so entscheidend sei, ob man mit der Sanierung 2020 oder 2021 beginnt. Der Oberbürgermeister hingegen möchte unbedingt 2020 anfangen. Wenn möglich, versteht sich. Reiter wie Küppers setzen auf den Freistaat und seinen neuen Konzertsaal, der hoffentlich rechtzeitig fertig werden möge.

Dann könnten die Münchner Philharmoniker dort nämlich als Untermieter einziehen und bräuchten kein teures Ausweichquartier, während man die Philharmonie umbaut (für die Volkshochschule, die Stadtbibliothek und die Musikhochschule gibt es wohl günstigere Lösungen). Klingt gut, bringt die Philharmoniker aber auf Jahre hinaus in genau die Position des Bittstellers, die jahrzehntelang das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Gasteig innehatte und die ein nicht unwesentlicher Grund für den neuen Konzertsaal war.

Valery Gergievs Vertrag als Generalmusikdirektor der Philharmoniker läuft 2020 aus - ob er unter diesen Umständen verlängern will? Und welcher mögliche Nachfolger will sich auf etwas einlassen, was ja bestenfalls bedeutet: Mindestens fünf Jahre Stagnation? Könnte also sein, dass man da am falschen Eck spart.

Solche falschen Ecken gibt es eine ganze Reihe. Zum Beispiel beim Stadtmuseum, für das es ein herausragendes Sanierungskonzept mit einer tollen architektonischen Lösung gibt. Dem Vernehmen nach soll das jetzt abgespeckt und - was sonst - zeitlich gestreckt werden. Währenddessen schlummert das Haus der Baufälligkeit entgegen.

Im Kreativquartier an der Dachauer Straße 110 geht es schleppend voran, die beiden großen städtischen Hallen stehen immer noch leer. Wann sie saniert werden, entscheidet sich vermutlich mal wieder "im kommenden Frühjahr". Dabei soll es sich um ein Leuchtturmprojekt für eine boomende Wirtschaftsbranche handeln, in der die Stadt noch wirklich stark ist.

Der Neubau für das Volkstheater immerhin ist auf den Weg gebracht. Man sucht jetzt eine Firma, die ihn bis Ende 2020 hinstellt, mit allem Drum und Dran. Freilich: Etwas länger wird man auch hier brauchen, mit Mitte 2021 ist zu rechnen. Und wer auf einen noch späteren Zeitpunkt wetten wollte, ginge nach allen Erfahrungen mit derartigen Bauprojekten sicher kein Risiko ein.

Rechtzeitig fertig geworden ist hingegen das städtische Literaturarchiv Monacensia im historischen Hildebrandhaus. Den sehr gelungenen Umbau stellte die Stadt schon im vergangenen Herbst der Presse vor, Eröffnung: Sommer 2016. Offen ist er immer noch nicht, letzte Bauarbeiten und die Einstellung von Personal vertagte man wegen des Haushaltslochs. Jetzt peilt man den Spätherbst an.

So übt man sich also in Klein-Klein und hofft, dass die Münchner Kultur schon irgendwie ihre Strahlkraft behalten wird. Was sie übrigens dort auch tut, wo man investiert. Bei den Stadtbibliotheken etwa oder auch im Deutschen Theater, das nach seiner äußerst schwierigen Sanierung gerade mit 315 000 Besuchern das erfolgreichste Jahr seiner Geschichte verzeichnen konnte. Ähnlich sieht es beim runderneuerten Lenbachhaus aus. Solch erfolgreiche Projekte sind derzeit leider nicht in Sicht. Statt den großen Wurf zu wagen, verschiebt man ihn im Rathaus lieber - vermutlich "ins kommende Frühjahr".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3071787
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.07.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.