Süddeutsche Zeitung

Gastronomie in München:Wirte auf der Durststrecke

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Es ist nicht nur so, dass Lokale seit fünf Monaten geschlossen sind oder mittlerweile schon ganz aufgegeben haben. Trotz langem Lockdown gibt es auch eine Reihe von Restaurantbetreibern, die darauf warten, endlich zum ersten Mal aufsperren zu dürfen.

Von Franz Kotteder

Seit November vergangenen Jahres geht fast gar nichts mehr für die Münchner Cafés, Gaststätten und Restaurants. Die meisten retten sich so über die Zeit, leben auf Pump von der Hausbank oder von staatlichen Hilfen und ein bisschen Straßenverkauf - alles in der Regel kein Vergleich mit normalen Verhältnissen. Einige nutzen die Wartezeit bis zum Ende des Lockdown, in dem sie umbauen: Das Substanz in der Ruppertstraße etwa, inzwischen eines der ältesten Musiklokale der Stadt, wird gerade zur Hafenkneipe umgebaut. Das Fischlokal Pescheria, das auch gut zu einem Hafen passen würde, zieht demnächst von der Fraunhoferstraße in die Pettenkoferstraße 1 am Sendlinger-Tor-Platz, die Pizzeria Spago musste dort schließen. Und auch den Spaten-Sepp, das ehemalige Bavarese im Dreimühlenviertel, gibt es nicht mehr. Die Brauerei hat aber schon einige neue Wirte als Bewerber auf der Matte stehen.

Doch es gibt in der Pandemie auch andere Schicksale in der Münchner Gastronomie: Wirtinnen und Wirte, die seit Monaten in den Startlöchern stehen und ihr nagelneues Lokal endlich aufmachen wollen. Einer von ihnen ist Klaus Englisch. Er hat Koch gelernt im Hotel Bayerischer Hof und zuletzt im Catering am Flughafen gearbeitet. Eigentlich wollte er sich bereits 2020 selbständig machen und im Camparihaus an der Maximilianstraße eine Weinbar eröffnen, als Minderheitsgesellschafter. Die Mehrheit von 70 Prozent hält das große italienische Weingut Masi aus Venetien, das gerade auf Expansionskurs ist.

Das Familienunternehmen, vor allem bekannt für recht gehaltvolle Amarone-Rotweine wie den Campofiorin und den Amarone classico della Valpolicella, nutzt Weinbars unter seinem Namen auch als Marketinginstrument. So gibt es "Masi Wine Bars" mittlerweile in Zürich, am Gardasee und in Cortina d'Ampezzo, die Maximilianstraße ist "wegen der zahlreich vertretenen italienischen Luxusmarken", wie Marketingdirektor Raffaele Boscaini sagt, ein attraktiver Standort für Masi.

Und Klaus Englisch soll dieses Konzept, bestehend aus edlen Weinen und klassischen venezianischen Gerichten wie Risotto Amarone und Stockfisch, nun umsetzen. Den Vertrag hat er bereits im Oktober 2019 unterschrieben, vor einem Jahr sollte es eigentlich schon losgehen in den Räumen des ehemaligen Vorstadtcafés Centro. Mit Corona begann dann aber eine lange Durststrecke, was für eine Weinbar natürlich besonders tragisch ist.

Anfangs war das nicht so schlimm, es gab da noch ein paar Auflagen des Brandschutzes, man hatte also noch zu tun. Der nächste Starttermin war dann der 1. Dezember, und seitdem wartet Klaus Englisch, dass es losgehen kann. "So viel zur Durststrecke", sagt er und lacht trocken, "die heißt für mich: Es geht viel raus, und es kommt nichts rein. Und mit Flughafencatering kann ich das momentan auch nicht überbrücken." Er habe jetzt momentan "eine ruhige Zeit", aber langsam sei dann doch nichts mehr übrig vom finanziellen Polster, das er sich für den Start in die Selbständigkeit angespart habe.

Wer etwas neues eröffnen will, braucht finanziellen Rückhalt

Ohne einen finanzkräftigen Partner im Hintergrund geht derzeit sowieso kaum etwas. Das stellt sich schnell heraus, wenn man mit Gastronomen spricht, die darauf warten, ihr neues Lokal endlich aufmachen zu können. So soll direkt am Viktualienmarkt, in der Prälat-Zistl-Straße 10, eigentlich seit Monaten ein gehobenes Fine-Dining-Restaurant namens Doma eröffnen. Die Räume der ehemaligen Pizzeria Al Mercato wurden nicht ohne größere Probleme umgebaut, und jetzt steht das Restaurant fast fertig da und wartet. Sein Betreiber möchte das Lokal zwar schon gern präsentieren, verschiebt dann aber mehrere Termine und entscheidet sich schließlich kurzfristig, doch noch nicht mit der Zeitung zu sprechen.

Sir Helga tut sich da schon leichter. Sir Helga ist ein Konzept, hinter dem potente Geldgeber stecken - in letzter Linie das Immobilienunternehmen Savvy Group in Luxemburg. Der deutsche Ableger hat seinen Sitz in der nicht ganz so mondänen Plinganserstraße in München und dort mit The Hosts Group ein eigenes Unternehmen, das Gastrokonzepte für die Immobilien der Firma entwickelt. "Unsere Muttergesellschaft baut hauptsächlich Wohnungen und Büros", sagt Juli Seiss, Geschäftsführerin der Hosts Group, "und sie hat sich bewusst dafür entschieden, im Erdgeschoss Orte der Kommunikation und Emotion in Form von Gastronomie zu schaffen."

Das erste Objekt dieser Ort ist also nun Sir Helga in der Mariannenstraße 3 im Lehel. Man könnte nun meinen, der Name sei angelehnt an das kleine bayerische Bistro Sir Tobi, ein paar Straßen weiter. Aber das täuscht. "Helga verbindet man mit einer Oma oder Tante", sagt Seiss, "und wir haben sie geadelt, weil wir einen hohen Anspruch erfüllen wollen." Das sieht man auch der Innenarchitektur an; der Tresen ist aus rosa Marmor, an der Decke hängen Kristalllüster. "2650 Kristalle haben wir geputzt", erzählt Seiss, "wir haben's genau gezählt."

Herausgekommen ist jetzt ein leicht plüschiges Wohnzimmer ohne Plüsch, das wegen der hohen Plexiglasstellwände zwischen den Tischen momentan nicht so ganz gemütlich wirkt. Aber was will man machen? Seit Juni vergangenen Jahres bastelt man an der Ausstattung, aufsperren wollte man schon im Januar. Jetzt verkauft man eben seit knapp zwei Wochen zum Mitnehmen und liefert, was die Küche so hergibt.

Konkret heißt das: internationale Gerichte vom gegrillten Saibling oder Rindsroulade aus Bayern über Pasta aus Italien bis hin zum Thai Curry, dazu allerlei Vor- und Nachspeisen sowie Dinge, mit denen sich gut brunchen lässt. Gemeinhin nennt man das neuerdings "Soul Food", und genau damit wirbt Sir Helga auch in seiner Nachbarschaft. Wie man sich überhaupt sehr international gibt und daher wohl viel Englisch für die Karte braucht. Weil man eigentlich von früh bis spät mit durchgehend warmer Küche aufhaben möchte, gibt es für die Abendstunden auch eine solide Weinkarte zwischen Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich sowie eine Reihe klassischer Cocktails. Restaurantleiterin Sandra Gerhardt soll jetzt den Laden schmeißen. Er ist das Pilotprojekt der Hosts Group, weitere Sir Helgas sollen schon bald folgen, in Berlin-Friedrichshain, Hamburg, Köln und Düsseldorf.

"Gastronomie mit System" nennt das Julia Seiss, in vorsichtiger Abgrenzung zum Begriff der Systemgastronomie, der einheitliche Speise- und Getränkekarten in großen Gastroketten mit zahlreichen Filialen umschreibt. "Gastronomie mit System" würde aber auch für die Cotidiano-Gruppe passen, die ein ähnliches Konzept verfolgt: Küche und Keller von früh bis spät, ein Mittelding zwischen Kaffeehaus und Wohnzimmer, kurz gefasst. Drei Restaurants der Gruppe gibt es in München, sieben sollen es demnächst sein.

Eines davon hätte eigentlich schon im vergangenen Sommer aufmachen sollen, das Cotidiano am Pasinger Marienplatz, in den Räumen des ehemaligen Bistros Confetti, von früher her noch vielen als Diskothek Pappschachtel bekannt. "Ich hatte meinen Job zum Ende März 2020 gekündigt, um rechtzeitig anfangen zu können", erzählt Nils Hünting. Er erfüllte sich damit, zusammen mit seiner Partnerin, eigentlich einen langgehegten Traum. Zuvor hatte er gut verdient als Verkaufsleiter, hatte eine passable Karriere in der Textilbranche. Aber eigentlich wollte er sich in der Gastronomie selbständig machen. Und dann kam die Möglichkeit, als Franchisenehmer die Cotidiano-Filiale in Pasing zu übernehmen, direkt neben dem neuen Miano-Hotel, das im April eröffnen will und dem man das Frühstück liefern soll.

Normalerweise eine sichere Bank. Aber was heißt das schon, bei Corona? Hünting nutzte die Umbauzeit des Lokals - inklusive unvermeidlicher Verzögerungen - immerhin, um sich als Quereinsteiger umfassend in die Gastro-Branche einzuarbeiten. Das Restaurant ist mit 110 Plätzen drinnen und noch einmal 112 draußen ja nicht klein, und 15 Mitarbeiter müssen auch erst ausgesucht und dann bei der Stange gehalten werden. Das alles ohne Einnahmen.

Hünting hofft nun auf den 19. April, vielleicht kann man dann zumindest die Außengastronomie öffnen. "Das alles ist natürlich schon mit großer Unsicherheit verbunden", sagt er: "Ich kann eigentlich seit einem Jahr nicht richtig planen."

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Quelle:
SZ vom 03.04.2021
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